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Wer bin ich und für welche Maschine?

Essay zum Projekt „Die Untoten. Life Sciences & Pulp Fiction.“ – von Oliver Müller

Der Mensch gestaltet mit seiner Technik schon längst nicht mehr nur die äußere Natur, sondern auch sich selbst. Neben der biotechnologischen Manipulation des Genoms sind es zunehmend die Neurotechnologien, mit denen der Mensch tief in das eigene Selbst eingreift.Vier Entwicklungen sind hier zu nennen, die die technische Formung des Menschen in den nächsten Jahren prägen werden:

(1) Durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften (und deren bildgebenden Verfahren) wird das Gehirn und seine Funktionen immer präziser kartiert. Die Erforschung des Gehirns scheint große Versprechen mit sich zu bringen. So erhofft man Auskünfte über die unbewussten Steuerungsmechanismen von Menschen und Einblicke in diejenigen Determinismen, die unser Entscheidungsverhalten (insbesondere das Verständnis von Kriminal- und Marktverhalten) bestimmen. Der Neurowissenschaftler mag aus reiner Neugier forschen, doch ist er Teil einer Gesellschaft, in der sein Wissen kein Selbstzweck ist, sondern biopolitischer Standortvorteil: Die Kartierung des Gehirns dient langfristig der Kontrolle des menschlichen Innenlebens.

(2) Die Forschung an Brain-Machine-Interfaces erlaubt eine immer engere Verschmelzung von Elektronik und Nervengewebe; so sind insbesondere in der Entwicklung von Neuroprothesen einige Fortschritte zu erwarten.

(3) Die tiefe Hirnstimulation ermöglicht nach einer neurochirurgischen Operation die Stimulierung von „tiefen“ Hirnregionen durch Neuroimplantate, um ganz bestimmte schwere Krankheiten „“ wie Morbus Parkinson „“ zu behandeln. Der an Parkinson erkrankte Soziologe Helmut Dubiel hat in seinem Buch „Tief im Hirn“ sehr präzise beschrieben, was es heißt, mit der Technik im Kopf zu leben und per Knopfdruck zwischen verschiedenen körperlichen, psychischen und mentalen Zuständen hin und her zu schalten. Seine Selbst-Beschreibungen sind Pionierarbeiten, sind ein Vorstoß in eine terra incognita, die in den nächsten Jahren zunehmend kolonisiert werden wird „“ so werden bereits erste Schritte zu neurotechnologischen Behandlungen von Zwangserkrankungen und schweren Depressionen unternommen.

(4) Wie die große Verbreitung aufmerksamkeitssteigernder und „stimmungsaufhellender“ Psychopharmaka zeigt, etabliert sich offenbar derzeit ein Markt für die „Optimierung“ von Gehirnleistungen. Unter „Neuro-Enhancement“ versteht man den Einsatz von therapeutischen Mitteln zur Steigerung von kognitiven oder mentalen Fähigkeiten oder die Modulation von Gefühlszuständen für Life-Style-Zwecke. Dies kann von der pharmakologischen Kompensation von Unzulänglichkeitserfahrungen in Beruf und Studium bis hin zu den transhumanistischen Visionen eines Ray Kurzweil reichen, der sich nicht weniger als die Abschaffung des Todes auf die Fahnen geschrieben hat.

Diese Mischung aus einer immer weiter reichenden Verfügbarmachung und Kontrolle von Gehirnleistungen und der gesteigerten Nachfrage nach medizinischen Mitteln für Gesunde und der damit verbundenen Induzierung von Bedürfnissen nach neurotechnologischer Selbstgestaltung könnte in den nächsten Jahren und Jahrzehnten explosiv werden „“ jedenfalls wird sich die Frage nach den Grenzen der Maschinisierung und Technisierung des Menschen immer wieder neu stellen. Um hier Einschätzungen zu treffen, kann man nicht einfach auf den Natur-Technik-Gegensatz zurückgreifen, da der Mensch ein kompliziertes Natur-Kultur-Wesen ist, das durch seine „natürliche Künstlichkeit“ (Helmut Plessner) charakterisiert ist.
Meiner Meinung nach muss es darum gehen, die Veränderung des Selbstverständnisses des sich technisierenden Wesens und die Änderungen von Handlungsstrukturen durch Technisierungsprozesse näher zu untersuchen, um auf diese Weise kritische (Selbst-)Deutungsmuster für Mensch-Maschine-Wesen zu entwickeln. Mein Ausgangspunkt ist daher die Einsicht, dass der Mensch seiner Natur nach das sich selbst deutende und sich selbst definierende Wesen ist.
So unterstreicht der Philosoph Charles Taylor: „Zum Teil sind wir das, was wir kraft der von uns akzeptierten Selbst-Definitionen sind, ganz gleich wie wir zu ihnen gelangt sind […]. Veränderungen der Selbst-Definition des Menschen bedingen Veränderungen dessen, was der Mensch ist […].“
Da Medizintechnologien immer offensichtlicher auch zu Anthropotechniken werden, ist die Art und Weise, als was sich der Mensch versteht, Motor von Innovationen auch in diesem Feld. Die Selbstdeutung als schlecht funktionierende Bio-Maschine oder als verbesserungsnötige Biomasse wird Konsequenzen für die Entwicklung und den Einsatz von Biotechnologien haben. Nach Cornelius Borck ist die Biomedizin eine „naturwissenschaftlich elaborierte Selbstinterpretation des Menschen“ und daher sollte diese Selbstinterpretation und die damit zusammenhängende Selbstverortung in der technischen Zivilisation zum Gegenstand der philosophischen Reflexion gemacht werden, weil diese den normativen Rahmen unseres Denkens und Handelns mitbestimmen.
Vor diesem Hintergrund interessiert mich die Auswirkung von Technisierungsprozessen auf den individuellen Handlungsrahmen. Dabei gehe ich davon aus, dass Technisierungsprozesse prinzipiell von einer ambivalenten Struktur sind, d.h. einerseits konstituiert Technik unsere Wirklichkeit, da durch sie Kausalzusammenhänge erkannt und kausale Einwirkungsmöglichkeiten manifest werden. Mit der Technik ist infolgedessen ein entsprechender Begriff von „Wahrheit“ und „Logik“ verbunden, was uns die Wirklichkeit in einem bestimmten, in sich stimmigen Raster zugänglich und gestaltbar macht.
Gleichzeitig kann dies andererseits aber dazu führen, dass die technische Wahrheit zur Norm aller kulturellen und sozialen Bereiche wird, dass ihre partielle Rationalität derart universalisiert wird, dass der Mensch nur noch als bloßer „Bestand“ betrachtet wird. Dann können Entfremdungsphänomene wie „Selbstinstrumentalisierung“ und „Selbstverdinglichung“ auftreten.
Formen von Selbstinstrumentalisierung liegen nach einem kulturkritischen Topos etwa dann vor, wenn die Mittel die Zwecke dominieren. Durch die Perfektionierung der Mittel können sowohl das eigentliche Ziel der Tätigkeit als auch Handlungsalternativen marginalisiert werden. Das Problem der Technisierung liegt also nicht in der quantitativen Zunahme technischer Zugriffe auf das Gehirn, sondern in einer durch die Fixierung auf die technischen Mittel derart veränderten Selbstinterpretation, in der etwa Handlungen oder Weisen, sein Leben zu führen, nach dem Kriterium des „reibungslos Funktionierens“ bewertet werden.
Eine weitere Form der Selbstinstrumentalisierung kann man mit dem Phänomen des „Technodeterminismus“ umreißen. Unter Technodeterminismus verstehe ich die vermutete Zwangsläufigkeit der Umsetzung von technischen Entwicklungen: wenn jemand also z.B. der Meinung ist, dass man sowieso nichts machen könne, da sich die Technologien ohnehin durchsetzen. Dieses „falsche Bewusstsein“ wird zu einer Selbstinstrumentalisierung, wenn eine solche technodeterministische Einstellung derart das Handlungsspektrum von Personen dominiert, dass Handlungsalternativen aus dem Blick geraten oder abgewertet werden. Derart fatalistische Denkmuster gegenüber der technischen Welt erzeugen resignative Stimmungen „“ kein guter Nährboden für Nachdenken, Kontroverse und Widerspruch.
Mit Günther Anders“™ Begriff der „prometheischen Scham“ lassen sich weitere Formen der Selbstverdinglichung identifizieren: Die moderne Technik ändert das menschliche Selbstverständnis derart, dass sich der Mensch sich selbst verdanken will und sich daher schämt, „geworden, statt gemacht zu sein.“ Verdinglichend sind Technisierungsprozesse, wenn der Mensch sich selbst nur noch als ein „Gerät für Geräte“ betrachtet. In Anlehnung an die „imitatio Christi“ („Nachfolge Christi“) nennt Anders dies „imitatio instrumentorum“: Der Mensch führt seine Selbstverwandlung den Geräten zuliebe durch, was im Extremfall zu einer „Selbsterniedrigung vor dem Selbstgemachten“ führen kann.
Das klingt dramatisch, doch man muss sehen, dass es nicht nur so ist, dass wir die Technologien nach unseren Bedürfnissen und Ideen entwerfen, sondern dass wir uns selbst gleichzeitig auch im Horizont des technisch Möglichen interpretieren und unsere Handlungsoptionen oder unsere Lebensweise den Bedingungen der Technisierungsprozesse anpassen. Wohin uns neurowissenschaftliche Selbstdeutung und neurotechnologische Selbstgestaltung auch führen werden, zu glücklicheren Angestellten, effektiveren Soldaten oder leistungsfähigeren Leistungsträgern: Nicht die Verschmelzung zwischen Mensch und Maschine sollte uns beunruhigen, sondern die innere Technisierung der Menschen.

Oliver Müller/ Erstpublikation in „lookKIT“, Ausgabe 01/2011

 

„Die Untoten. Life Sciences & Pulp Fiction.“

Kongress & Inszenierung
12.-14. Mai 2011, Kampnagel Hamburg
 

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