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Aber sowas von Gypsy Music

Ein wenig zeitgenössischer europäischer Gitarren-Sound zum Regen-Wochenende

„Die Musik der Roma ist derart vielfältig, dass man von einer Roma-Musik nicht sprechen kann. Ähnlich heterogen wie die verschiedenen Roma-Gruppen stellt sich auch deren Musik dar. Die Fülle an musikalischen Stilen und Gattungen hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen: Hier spielen funktionale Kriterien ebenso eine Rolle wie unterschiedliche regionale und kulturelle Einflüsse benachbarter Völker sowie die jeweilige Gruppenzugehörigkeit der MusikerInnen.“, sagt die Musikethnologin Christiane Fennesz-Juhasz.

Ferenc Snétberger

Ferenc Snétberger

Nun begann die Geschichte der „Zigeunermusik“ natürlich nicht erst mit dem legendären Gitarristen Django Reinhardt und seinem genialischen Geiger Stephane Grappelli, aber erst die beiden französischen Musiker machten die Marke „Gypsy“ als Musikstil weltweit bekannt. Denn sie befreiten das ethno-musikalische Erbe der Roma aus der Ecke der romantisierenden Zigeuner-Folklore des 19. Jahrhunderts, indem sie die traditionellen Spielweisen mit dem Jazz, den französischen Valses Musettes und der seinerzeit modernen Akkord-Harmonik á la Claude Debussy oder Maurice Ravel verbanden.

Ein paar Jahrzehnte hielten sich viele ihrer musikalischen Nachfahren an diesen ‚amtlichen‘ Django-Reinhard-Stil und kreisten, wenngleich auf höchstem technischen Niveau, im Bereich des Epigonalen, bevor einige Roma-Musiker ihren Sound erneut mit Elementen des Modern Jazz, Soul, Pop und Rock erweiterten. Wie etwa Bireli Lagrene, der u.a. auch gern mal ein Jimi-Hendrix-Stückerl spielte.

Einer der wichtigsten Innovatoren des Gypsy ist zweifellos auch der Ungar Ferenc Snétberger, dessen Improvisationsarbeit sich im Gegensatz zum traditionell akkordorientierten Arpeggio-Stil mehr auf einer modalen Spielweise entwickelt. Der Swing der 1930er und der Bebop der 1950er verschmelzen dabei mit Jazzrock, Funk und Latin zum „Gypsy Modern Jazz“.

Hier hören wir Snétberger, der auch Filmmusiken und Orchesterwerke („For my People“) komponierte, in Trio-Besetzung mit dem norwegischen Bassisten Arild Andersen und dem italienischen Percussionisten Paolo Vinaccia:

Für Snétberger, der sich in seiner ungarischen Heimat auch sehr für den Roma-Musikernachwuchs engagiert, dient die Musik nicht zuletzt dazu, sein politisches Engagement gegen Behördenwillkür und soziale Diskriminierung zu artikulieren. Denn wie Ihr wisst, ist die Situation der meisten Roma europaweit noch immer ziemlich prekär, darauf wurde ja auch kürzlich zum „Tag der Roma“ in vielen Medien und mit etlichen Veranstaltungen wieder aufmerksam gemacht. Und gerade beklagte auch die ungarische Politikerin Livia Járóka, einzige Roma-Vertreterin unter den 754 Europa-Abgeordneten, dass sich die Lage der Roma „trotz bedeutenter Ausgaben nur geringfügig verbessert“ habe. Viele leben noch immer in dem Teufelskreis keine Schulbildung – kein Job – kein Geld und damit keine Chance auf Bildung. Dazu kommen die gängigen Vorurteile, die den Roma (in Deutschland „Sinti“) europaweit entgegen gebracht werden. Und auch wenn rassistische Diskriminierungen eigentlich durch Artikel 21 der Europäischen Charta für Menschenrechte verboten sind, sieht das Europäische Roma-Informationsbüro in etlichen Ländern sogar einen „politischen Unwillen“ unter dem Deckmantel von Versprechungen zu besseren Integrationsbemühungen.

Aber wen interessieren in unserer wohlsituierten europäischen Mehrheitsgesellschaft eigentlich die circa 12 Millionen Roma? Deren Lage kommt immer erst aufs mediale Tableau, wenn irgendwo TV-taugliche Übergriffe stattfinden oder wenn ein Bericht über bettelnde Strassenkinder aus Osteuropa unser ‚humanistisches‘ Weltbild mal für ein paar Minuten belästigt. Oder es flackert kurz das schlechte Gewissen im Zusammenhang mit ‚Vergangenheitsbewältigung‘ auf, wie alljährlich am 27. Januar, dem deutschen Holocaustgedenktag (von den Nazis wurden etwa 500.000 Sinti und Roma ermordet).
Vorletztes Jahr durfte dabei Ferenc Snétberger in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages als Solist auftreten – davon gibt’s auch diesen schönen Live-Mitschnitt – und man wünschte sich, die Politiker hätten nicht nur einen bleibenden Eindruck von seiner Musik, sondern auch von seinem Anliegen für die Zukunft mitgenommen…


Und nun hätt ich für alle Gitarrenkollegen, die auf gepflegte Distinktion Wert legen und ihr Repertoire für die nächsten Lagerfeuer-Auftritte oder nachbarschaftlichen Grillabende ein wenig aufhübschen wollen, noch dieses Snétberger-Solostückerl zum Nachspielen anzubieten:

Gutes Gelingen!

wf

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