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Der böse Bub und die Volksheilige

Böser Bub von Sabine Scholz

Sabine Scholz – Josef Wolfgang Degen
„Böser Bub, ich bet, dassd in die Höll kommst“

Man muss gar nicht mal christlicher Mystiker sein, um den Oberpfälzer Dialekt, zumindest bei genuschelter Aussprache durch krankheitsbedingte Entrückung, für Aramäisch, das Idiom des Jesus von Nazareth, zu halten. Derartig öfter gesprochen zu haben wird bis heute von einem weltweiten wundergläubigen Anhängerkreis über die „Resl von Konnersreuth“ berichtet und ebenso für wahr gehalten wie ihre angebliche 34 ]ahre lange Nahrungslosigkeit und die Stigmatisierung durch ihre an kirchlichen Feiertagen blutenden Wundmale.
Zwar scheuen sich die Konnersreuther bis heute, mit der Geschichte ihrer bekanntesten Bürgerin in größerem Stil Geschäfte zu machen, doch schon in ihren jungen Jahren war die vom Glauben zutiefst durchdrungene Bauernmagd ein Magnet für Konnersreuth geworden: Ihre Leidensmale, ihre Visionen und Ekstasen wurden in zahlreichen Büchern und Zeitungsartikeln beschrieben, ihre angeblich nachtodlichen Wunder manifestieren sich in unzähligen Votivtafeln an ihrem Grab, das bis heute einen stetigen Pilgerstrom nach Konnersreuth zieht.

Therese Neumann

Therese Neumann

Obwohl Therese Neumann (1898-1962) schon zu Lebzeiten auch in katholischen Kreisen höchst umstritten war, verkündete der Regensburger Diözesanbischof Müller 2005 die Mitteilung der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse des Heiligen Stuhls, dass der Eröffnung des Seligsprechungsprozesses für Therese Neumann „nichts im Wege stehe“ (nihil obstat).
Denn ihre großen Kritiker wie der Regensburger Pfarrer Josef Hanauer, aber auch der ehemalige Vorsitzende Richter am Landgericht Mannheim, Dr. Wolf Wimmer, sind inzwischen tot. Jedoch hatte Letzterer bereits 1976 im „Kriminalistikheft“ unter der Überschrift „Psychologie des frommen Schwindels“ seine Skepsis bezüglich der Stigmata der „Resl“ als „Horrorsymptome, wie sie akut Hysterische gerne demonstrieren“ zusammengefasst.
Doch ob die Resl nun offiziell selig gesprochen wird oder nicht – eine Volksheilige ist sie längst. Dazu mag auch beigetragen haben, dass sie von manchen, nicht nur katholischen Anhängern zur zentralen Figur („Kraftquelle“) der kaum bekannten Widerstandsgruppe „Konnersreuther Kreis“ hochstilisiert wurde. Tatsächlich scheint die Neumann im November 1927 bemerkenswerten Einfluss auf Fritz Gerlich gehabt zu haben, den damaligen Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten. Der Journalist hatte nicht glauben wollen, was in seinem eigenen Blatt über die wundersamen Ereignisse in dem oberpfälzischen Marktflecken geschrieben worden war. „Um dem Schwindel auf die Spur zu kommen“ reiste Gerlich nach Konnersreuth, kam als Bekehrter zurück und gründete mit dem Journalisten Pater Ingbert Naab angeblich auf Resls Initiative hin die antifaschistische Wochenzeitung „Der Gerade Weg“. Die wurde 1933 verboten, Gerlich als „einer der ersten Märtyrer des Dritten Reichs“ ein Jahr später im KZ Dachau erschossen.
Dass die Neumann bei der ganzen Sache trotz Gestapo-Untersuchung, ihrer Verweigerung des Hitlergrußes und abfälliger Bemerkungen ungeschoren davonkam, sei auf Hitlers Abergläubigkeit und seine Angst vor der geheimnisvollen Macht der Resl zurückzuführen.

Böser Bub von Sabine ScholzVor diesem Hintergrund entwickelt die in Turin lebende Germanistin und Autorin Sabine Scholz, bekannt als Erbhüterin des Hegel-Gegenspielers Max Stirner (sie schrieb u.A. den von ihm inspirierten Roman „Die Sonne hat keinen Eigentümer“) den Doku-Biographiemix „Böser Bub, ich bet, dassd in die Höll kommst“, in dem das Leben der Neumann und die Jugendjahre des Erlanger Logikers und Philosophen Josef Wolfgang Degen in mehreren Perspektivwechseln zusammengeführt werden.
Drehort beider Erzählstränge ist das Oberpfälzer Dorf Konnersreuth mit dem katholischen Klostergymnasium Fockenfeld, das auf Initiative der Therese Neumann 1955 als Spätberufenenschule des Salesianerordens gegründet und an der Wolfgang Degen bis zum Abitur 1967 unterrichtet wurde.
Dort kam es auch zur persönlichen Begegnung des Schülers mit der Stigmatisierten ein paar Wochen vor ihrem Tod. In dieser titelgebenden Schlüsselszene ‚verflucht‘ die laut Zeugenaussagen heimlich beim Essen Beobachtete den Degen nach dessen diesbezüglicher investigativer Nachfrage: „Du böser Bub, ich bet, dassd‘ in die Höll kommst!“
Damit wird bei dem Jugendlichen „eine tiefe religiöse Bestandsaufnahme ausgelöst“, die auch Initiation für die spätere existenzphilosophische Auseinandersetzung zwischen „dem Degen“ und Sabine Scholz ist – nicht nur während ihrer Liebesbeziehung, sondern auch als Erzählrahmen des Buches und roter Faden in ihren spärlichen, aber regelmäßigen Kontakten danach.
Der Zweifel aber war schon vorher angelegt in dem Ministranten Wolfgang, und der Grund dafür taucht gleich zweimal wortgleich in Degens autobiographischen, jedoch aus der 3.-Person-Perspektive geschriebenen Jugenderinnerungen im zweiten Buchteil auf: „Aber als ihn seine Eltern darüber aufklärten, dass es weder das Christkind noch den Nikolaus gibt, war er sehr verwundert, warum es dann ausgerechnet den lieben Gott geben sollte.“
Aus dieser Skepsis entwickelt sich Degens Vorhaben, Priester zu werden, um die Existenz des christlichen Gottes mit logischen Mitteln zu widerlegen. Und wird zur Grundlage seiner späteren rationalistisch-naturwissenschaftlichen Position, mit der er in Gesprächen mit der ‚Platonikerin‘ Scholz deren Idee vom „Eros als Synonym für Kreativität“ mit der Frege’schen „Erotik der mathematischen Formeln“ begegnet.
Psychologische Selbst-Interpretationsfreude kommt hinzu, wenn sich „der Degen“ nach seiner sexualfeindlichen katholisch-kleinbürgerlichen Sozialisation in der bairischen Provinz der 1960er Jahre das erste Mal verliebt, und zwar als echter ‚Freud-Klassiker‘ „in eine Frau, die mit mehreren Männern was hatte. Sie war mit den Neumanns verwandt und hatte die Resl eines nachts in der Speis gesehen.“
Für den jungen Wolfgang eine weitere Bestätigung seiner Vermutung, die Neumann sei eine Simulantin und Scheinheilige. Und obwohl über diese Jugendverliebtheit nichts weiter erzählt wird, symbolisiert sie Degens Emanzipation vom jugendlichen Glaubenszweifler zu einem erwachsenen „Bösen Bub“, der die Konzepte von Gott und Teufel, Himmel und Hölle mit dem „moralischen Beweis“ der Theodizee und der Absurdität der katholischen Lehre widerlegt „“ für ihn ist „die Nichtexistenz von theologischen Entitäten doch überhaupt kein Verlust“.

Diese Polarität von Gottes- und Wunderglaube versus Antitheismus und dem scheinbar Normalen, die Frage nach der Realität und Wirkung der Existenz von Nicht-Physischem zieht sich als dialektische Reflexionsebene durch das ganze, anekdotisch strukturierte und unprätentiös geschriebene Büchlein; in dem Sabine Scholz aber, wie in ihren meisten anderen, auch von einer Herzensangelegenheit erzählt: von einer Zweier-Beziehung, in der sich über Jahre hinweg philosophischer Diskurs und erotische Anziehung nicht ausschließen – allerdings nicht ohne im letzten ‚Liebesgespräch‘ mit „dem Degen“ explizit darauf hinzuweisen, dass ja auch Nietzsche ausgerechnet in Turin verrückt geworden sei.

Jedenfallls hat, wie mir die Autorin kürzlich im ‚realen Leben‘ versicherte, „der Degen“ noch Einiges vor, um die Seligsprechung der „Resl“ zu verhindern…

Sabine Scholz / Josef Wolfgang Degen
„Böser Bub, ich bet, dassd in die Höll kommst“
beam-ebooks, 102 Seiten

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© wf

4 Gedanken zu „Der böse Bub und die Volksheilige“

  1. Wer wollte bestreiten, daß eine miefige geistige Enge selbst den Glauben an den „lieben Gott“ als einen „Teufelskult“ erscheinen lassen und manchen eine „Gottesvergiftung“ bescheren kann? Aber auch die aufgeklärteren freisinnigen „Gott ist tot“-Adepten werden bisweilen von einem unerklärlichen Wahnsinn befallen – und das nicht nur in Turin und wenn sie Friedrich Nietzsche heißen.

  2. Leider wird bei den salesianern auf die falschen verwiesen. Träger des „klostergymnasiums“ sind nicht die salesianer Don Boscos sondern die vom hl. Franz von Sales!

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