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Von Dada zu Fluxus: Jubiläums-Performances in Wiesbaden

…und ein hübscher Animationsfilm als Hommage an Mary Bauermeister

Zur Zeit feiert man in mehreren Wiesbadener Museen und Kultureinrichtungen das 50-jährige Jubiläum der weltweit ersten Fluxus-Performance, die im September 1962 im Rahmen der Fluxus-Festspiele Neuester Musik im Vortragsaal des Wiebadener Museums stattfand.

Als die radikal-experimentelle Kunstbewegung „Fluxus“ Anfang der 1960er Jahre durch das Kollektiv um den Litauer George Maciunas (1931- 1978) in Gang kam, verstand sie sich als Wiederaufnahme und Fortsetzung des Dada und fand ihre Ausdrucksformen in erster Linie in Musik, Aktion und Happening; meist in collageartigen Aktionsabläufen, changierend zwischen Spaß und Bewußtseinserweiterung, Fug und Unfug. An die Stelle der idealen, humanistischen Werte der Moderne wurden die Zufälle des Alltagslebens, Irrationalität und Widerspruch gesetzt.
Fluxus verstand sich als weltweit agierende Bewegung und schwappte aus Europa bald in die USA, wo sie sich mit der Hippie- und Freak-Szene verband; Frank Zappa etwa gehörte mit seinen ersten skurrilen Musik-Performances zwischen Nonsens & Shocking zu ihren frühen Adepten. Eine zentrale Figur dieses Umbruchs war auch der US-Musiktheoretiker und Komponist John Cage, ein Schüler von Arnold Schönberg, der die reine Materialität des Klangs gegen die rationalen Kalküle neuer Musik setzte.
Mary Bauermeister - perhaps, 1965

In Deutschland scharten sich die Fluxianer in erster Linie um die Künstlerin Mary Bauermeister. In den 1960er Jahren organisierte sie in ihrem Kölner Atelier das Contre-Festival, wo ungewöhnliche Konzerte für die neue avantgardistische Szene u.a. mit Werken von Nam June Paik, Hans G. Helms und eben John Cage aufgeführt wurden.
Als Liebeserklärung an diese „Mutter der Fluxusbewegung“ inszenierte der Regisseur Gregor Zootzky den cartoonähnlichen, zeichnerisch sehr ästhetischen Animationsfilm psst pp Piano „“ Hommage á Mary Bauermeister„  mit der Musik von Simon Stockhausen. Dabei bezieht er den prägenden Geist der Kunstgeschichte vom Dadaismus bis zu den Surrealisten, Freud und die Schrecken der Weltkriege ein.
Da der mehrfach ausgezeichnete, von der Filmstiftung NRW geförderte und bei den Regensburger Kurzfilmtagen zum Publikumsliebling avancierte Animationsfilm (in Gastrollen: John Cage und Karlheinz Stockhausen) nicht nur originell, sondern auch etwas anspruchsvoll ist, soll’s zu eurem besseren Vor-Verständnis hier noch eine kleine Einführung von Kerstin Skrobanek geben:

Im Zentrum des Films steht ein Abend, der sowohl in die Musik- als auch in die Kunstgeschichte als einer der größten „Vatermorde“ eingegangen ist: Der koreanische Musiker und spätere Performance- und Videokünstler Nam June Paik shampooniert seinem großen Vorbild John Cage die Haare und schneidet ihm die Krawatte ab. Diese Attacke auf Cage, die völlig unvorhergesehen kam und Cage zutiefst erschütterte, war für Paik ein wichtiges Ritual.
Paik, der eine klassische Musikausbildung genossen hatte und sich als Komponist verstand, beschloss zu dieser Zeit, seine Karriere als Komponist zu beenden, da er den Eindruck hatte, niemals an seine großen Vorbilder Cage und Stockhausen herankommen zu können. Der Schnitt durch die Krawatte von Cage bedeutete für ihn sozusagen einen Einschnitt in sein eigenes Leben, seine Laufbahn als Künstler. All seine Enttäuschung und Wut über das eigene „˜Versagen“™ kam in dieser Aktion zum Ausdruck.

Die im Film gezeigte Performance von Paik spiegelt aber noch einen zweiten wichtigen Aspekt des Films: die Radikaliät der Avantgarde als Reaktion auf die Erlebnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit. Paik spielte zunächst Chopin, um die Zuhörer in Musik einzuhüllen, die sie kannten und die ihnen Sicherheit gab. Plötzlich sprang er auf, stürzte das Klavier um und begann, das Publikum mit gespielten Maschinengewehrsalven zu attackieren. Auf diese Weise kritisierte er das hartnäckige Schweigen der Deutschen über die Gewalttaten des zweiten Weltkriegs.
In diesen Zusammenhang gehört auch der Auftritt des Schriftstellers Hans G Helms, der im Atelier sein Buch Fa:m“™ Ahniesgwow, dessen Idiom aus 28 verschiedenen Sprachen kompiliert wurde, vorstellte. Neben einer ungefähr zu erkennenden Liebesgeschichte thematisiert das Buch vor allem die Gewalt, Zerstörung und Unterdrückung, die Helms als Jude während des Krieges erlebt hatte. Mit seinen Rückgriffen auf Dada Zürich, die Surrealisten und die Nouveau Réalistes zu Beginn des Films, bettet Zootzky das Atelier Bauermeister in den Kontext der klassischen Avantgarden ein. Auch die Dada-Künstler in Zürich begegneten dem gewalttätigen Abschlachten tausender Menschen im ersten Weltkrieg mit beißendem Zynismus. Je brutaler und absurder der Krieg wurde, umso grotesker wurden die Veranstaltungen im Cabaret Voltaire.
Es entstanden die ersten Lautgedichte, die Hugo Ball in einem absurden Kostüm dem Publikum entgegen brüllte. Das Bürgertum mit seiner biederen Kunstauffassung und seinem fest gefügten Geschmack wurde ebenso attackiert und bloßgestellt, wie Paik dies in seiner Performance 1960 wieder tat. Die Spiegelung der Gewalt des Krieges in den Aktionen der Künstler ist von Anfang an ein wichtiges Thema des Films.

Kerstin Skrobanek M. A.

Infos zu den Wiesbadener Ausstellungen und Konzerten

wf

4 Gedanken zu „Von Dada zu Fluxus: Jubiläums-Performances in Wiesbaden“

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