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Pure Finger-Hexerei gegen religiöse Autoritäten

…und ein Buchtipp zur persischen Kulturgeschichte

Nachdem’s hier schon länger keinen Beitrag gab, und noch viel länger keinen mit Musike, möcht ich euch heut für das geduldige Warten mit ein wenig abgefahrener Finger-Hexerei entschädigen. Während im westlichen Kulturkreis die Schlaginstrumente meist mit Stöcken, Fußpedalen oder ähnlichen grobmotorischen Hilfsmitteln bedient werden, haben sich vor allem in der mittelasiatischen Percussions-Tradition filigrane Fingertechniken entwickelt, die auch jeden Schreibmaschinen-Weltmeister ob ihrer Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer vor Neid erblassen lassen würden.

Die Musik des iranischen Kulturraums (zu dem auch Afghanistan und Tadschikistan gehören) reicht nachweislich bis in die Zeit des elamischen Königreiches (mit ersten städtischen Zentren ab 3500 v. Chr.) zurück, und stand als kontinuierlich gewachsene soziokulturelle Instanz stets in einem ambivalenten Verhältnis zu wechselnden staatlichen und religiösen Autoritäten – vor allem seit der Islamisierung der Iraner wurden deren tradierte Musik und Tänze von den Obrigkeiten argwöhnisch betrachtet, von den Mullahs gar für unzüchtiges Teufelszeug gehalten. Aber keine Unterdrückung konnte den Iranern ihre Liebe zu ihren musikalischen Wurzeln verleiden – bis heute sind populäre Musiker aus der Zeit der Sassaniden wie etwa Barbad, Sarkad, Ramtin und Nakissa im Iran wohl bekannt und hunderte von Stücken aus jener Zeit werden noch beziehungsweise wieder gespielt. Denn in den letzten Jahren wurde die restriktive Kulturpolitik im Iran etwas gelockert, und seither sind Konzerte mit Meistern der klassischen persischen Musik in Teheran fast immer ausverkauft.

Aus dieser Tradition stammt auch der Tombak-Spieler Mohammad Reza Mortazavi, der schon als 9-Jähriger seine Lehrmeister in Isfahan an den Wandteppisch trommelte. Das und der Gewinn vieler Wettbewerbe reichte ihm nicht, und weil ihm weder die konservativen Strukturen im persischen Klassik-Bizz noch das Regime und die Mullahs behagten, zog er 2001 nach Berlin, um seinen eigenen Sound und seine Spieltechniken unkonventionell weiter zu entwickeln. Dabei sympathisiert er öffentlich mit den iranischen Regimegegnern und setzt den religiösen Autoritäten seine Spiritualität entgegen, die aus der rauschhaften Energie seiner Musik entsteht: „Ich gehe in Trance. Musik kommt durch uns, nicht von uns. Wenn man loslässt, dann passiert etwas Natürliches, was alle hören wollen.“

Und wer bisher geglaubt hat, man könne auf einer einzigen Trommel zu einer vertrackten Rhythmik nicht auch noch Melodien zaubern, der wird hier von Mohammad Reza Mortazavi nicht nur eines Besseren, sondern eines Allerbesten belehrt:

    Mohammad Reza Mortazavi live an Tombak and Daf auf der „Green Hands Solo-Tour“

wf


axworthy - iranWer mehr über die drei Jahrtausende lange Kulturgeschichte Persiens erfahren möchte, dem sei dieses neue Buch von Michael Axworthy nahegelegt. Gerade weil uns der Iran in den gleichgeschalteten Massenmedien als bedrohlich und kriegstreiberisch geschildert wird und weil wir verstehen sollten, warum eine Konfliktlösung so schwer zu finden scheint, wäre Aufklärung über die ‚Seele‘ dieses Volks nicht verkehrt. Alexander Kluge hat das so ausgedrückt: »Es gibt in Deutschland keine richtige Vorstellung von Persien. Das Land ist nach wie vor eine Blackbox. Dieses Nichtwissen müssen wir beenden.«

Iran – Weltreich des Geistes: Weltreich des Geistes. Von Zoroaster bis heute
von Michael Axworthy
Verlag Klaus Wagenbach – 320 Seiten
ISBN-13: 978-3803136367

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