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Kleiner Kragenplatzer hinsichtlich der Akademisierung der Poesie

Ein verärgerter Essay über die selbstgefälligen und sich-selbst-bedienenden ‚Elitefraktionen‘ in der deutschen Lyriklandschaft – von Michael Zoch

In der zeitgenössichen deutschen Lyrik sind zwei Hauptströmungen auszumachen, die sich, gelinde augedrückt, unvereinbar gegenüberstehen. Auf der einen Seite Social Beat im weiteren Sinne in der Nachfolge und Tradition von Bukowski, weitestgehend Epigonentum, von einigen wenigen löblichen Ausnahmen abgesehen, authentisch immerhin zuweilen oder zumindest um Authentizität bemüht, letztenendes aber im Wiederkäuen der immer gleichen Thematiken steckengeblieben.
Auf der anderen Seite die Elitesprechfraktion, herrührend bzw. herniedergekommen aus der poststrukturalistisch-medientheoretischen Sprachneujustierungsphilosophie, studierte Poetologen mit der dazugehörigen Poetologie des Poetologischen, Preis um Preis einheimsend, gleichgeschaltet von den Gralshütern des lyrischen Meinungsmonopols und den dazugehörigen Akademien in Leipzig und Hildesheim, an denen die maßgebende Leitlinie der offiziellen, zeitgenössischen deutschen Lyrik bzw. Poetologie bzw. Poetik kreiert und definiert wird.
Es drängt sich in diesem Zusammenhang als Erstes die Frage auf: wann ist bahnbrechende Poesie von bleibender Bedeutung jemals an Akademien entstanden? Und zweitens: woher rührt dieser Hang zu einer gefühlsresistenten Plastiksprache, die erstens nicht gelesen wird außer in wiederum studiert-poetologischen Fachkreisen und die zweitens auf der zwang- und krampfhaften Suche nach dem experimentell Neuen längst im Experiment erstarrt ist?

Es ist dies eine Sprache bzw. eine Form der Sprachverunglimpfung, die, auf sprachtheoretischen Grundlagen, versucht, die Sprache als Sprache im Sinne einer sprachlichen Demontage des Sprachlichen zu entsprachlichen und dabei meint, das lyrische Rad neu zu erfinden, wo doch bestenfalls ein Achsenbruch zu konstatieren ist. Es ist dies eine von vornherein und von Grund auf tote Sprache. Sie ist im übelsten Sinne des Wortes akademisch, sie ist den Quellen des lebendig Schöpferischen vollkommen entrückt und enthoben, ist nicht einmal mehr Schöpfung, sondern bestenfalls hausbackenes Nachplappern im Grunde zutiefst traditioneller und längst überkommener Avantgardeattitüden und somit ein Wandeln auf ausgetretenen Pfaden, also ebenfalls Epigonentum.
Das wilde, archaische, ursprüngliche, gegeninstitutionelle Element der Poesie ist vollkommen abhanden gekommen auf Kosten einer Poetologie des bieder-linientreu Akademischen, das dann auch noch mit der Selbstverständlichkeit eines bundesdeutschen Busfahrplans durch die Vergabe von Stipendien und Preisen der staats(mit)tragenden, zwangsläufig gesellschaftskonformen Literaturinstitutionen belobhudelt und beglaubigt wird.
Wann hat zum letzten Mal ein Dichter, der von außerhalb des staatlich subventionierten Literaturbetriebs kam, trotzdem oder gerade deshalb, eines der bedeutenden Stipendien erhalten? Einer, der nicht in Leipzig oder Hildesheim studiert hat bzw. von den poetologischen Meinungskonformern in deren Umfeld sanktoniert worden ist? Wann hat zum letzten Mal ein Dichter einen der wichtigen Lyrikpreise gewonnen?
Sie studieren alle Poetik, diese neuen Poetiker, und haben nichts zu sagen, außer vielleicht: wir haben nichts zu sagen, sagen es aber in einer echt voll ganz neuen Sprache, die gut ist und Avantgarde vor allem und neu und aber auch Avantgarde und zudem jetzt endlich auch poetologisch abgesichert dank der neuen Frischeformel aus den Poetiklabors der Lyrikindustrie. Wo ist das Wagnis, das Risiko, Aufstand, Seele, das wahrhaftig Existenzielle? Sie sitzen da im goldenen Käfig ihrer wohlklimatisierten Hörsäle und Herr Tellkamp oder Herr Stolterfoht hält seine Leipziger Vorlesungen zur Poetik und alle klatschen brav Beifall und fühlen sich geehrt, dass einer der Ihren, der es auf der akademisch-literarischen Karriereleiter bis nach ganz oben geschafft hat, ihnen Vorträge darüber hält wie sie zu schreiben haben, wie MAN zu schreiben hat.
Und die Akademien züchten sich ihr eigenes Mittelmaß, ihren eigenen poetologischen Einheitsbrei heran und verkaufen es auf dem Markt als umwälzende Neuerung und die FAZ und die SÜDDEUTSCHE geben in einer ebenso neopoststrukturalisierten Sprache der Kritik ihren Segen dazu und alle sind glücklich und zufrieden, dass die Sache mit der Poetik wie geschmiert läuft und keiner aus der Reihe tanzt und auf die Strasse kotzt bzw. auf die Seiten der kompatibiliserten Gedichtbände.

Diese in den Feuilletons hochgejazzte neue Poetologie der sprachlichen Dekonstruktion oder Dekompression oder neutönendenen Neukonstruktion von Neu-Wirklichkeit atmet den Mief des Universitären wie es schlimmer kaum sein könnte, was von den Repräsentanten bzw. Sprachröhrchen selbiger Richtung im Zuge und aufgrund der selbstgefälligen Selbstbeweihräucherung eben dieser Poetologie des stromlinienförmigen Gleichschritts und Gleichklangs nicht einmal ansatzweise selbst registriert bzw. reflektiert wird, denn eine poetologische Krähe hackt bekanntlich der anderen kein Auge aus und man ist gemeinsam neu und versteht sich und liegt im poetologischen Erneuerungseifer bzw. Voranschreiten sowieso ganz auf einer Wellenlänge.
Diese Poetik der Poetologen ist spießbürgerliches Magistertum in Reinkultur, sie ist blasierter Ästhetizimus von kaum noch zu überbietender Harmlosigkeit in der Tradition eines Stefan George mit dem Anspruch, der medialen Bilderflut eine sprachliche Neucodierung entgegenzusetzen bzw. zur Seite zu stellen, um an genau diesem Anspruch mit einer vor- und nachvertheoretisierten Form von Sprache kläglich zu scheitern. Denn es ist genau dieses Theoretische, das Theorem, welches dem Lyrischen als lebendigem Spiegel des Realen im Wege und zudem diametral entgegen steht.

Poesie ist etwas Elementares, ist etwas Urgewaltiges, Unzähmbares, ist nicht Beiwerk, nicht Zierde, sondern intimste Struktur des menschlichen Geistes, des Menschlichen überhaupt, sie ist ihrem Wesen nach von Grund auf anarchischer Struktur, sie ist Dynamit gegen alles Hemmende und Einschränkende, ist ein Akt der Entfesselung und Entgrenzung, und jede Form von Akademik läuft ihrem Wesen aufgrunddessen von Grund auf zuwider. Poesie ist Poesie und braucht keine Poetologie bzw. Poetik und letztere sind letzenendes und in letzter Konsequenz die Totengräber ersterer. Poesie spricht für sich selbst, steht für sich selbst, IST sie selbst durch sich selbst aus sich selbst heraus, ist sich selbst Genüge oder sie ist eben keine Poesie. Poetologie und Poetik hingegen sind der vollkommen überflüssige und zudem von vorn herein zum Scheitern verurteilte Versuch, einer Poesie, die nicht in der Lage bzw. gewillt ist, auf den eigenen zwei Beinen zu stehen, einen halbwegs stützenden Unterbau zu verschaffen, also bestenfalls eine Krücke bzw. Gehhilfe.
Poesie, die an Universitäten (und im Übrigen auch in Workshops und Seminaren) gelehrt wird, ist keine Poesie und kann und wird auch niemals Poesie sein. Eine solche „Poesie“ mag vielleicht sogar von Wissen um die Sprache und die Form und die handwerkliche Handhabung des Materials Sprache nur so strotzen, aber sie ist trotzdem ihrem Wesen nach niemals Dichtung im eigentlichen, ursprünglichen Sinne sondern bestenfalls Lakaientum und damit obsolet.

Heute wird an den Akademien Avantgarde gelehrt. Das ist ein vollkommen unhaltbarer Widerspruch an und in sich. Avantgarde vollzieht sich außerhalb stattlicher Instutionen, Avantgarde ist ihrem innersten Wesen und Wollen nach antistaatlich und subversiv und sie wendet sich gegen jede Form von gesellschaftlich-instutionellem Ordungsprinzip, Avantgarde ist auf die Zertrümmerung oder zumindest Aushebelung bzw. grundlegende Neustrukturierung genau dieser Ordnung und ihrer Institutionen gerichtet.
Wenn also diese neumodischen, plastiksprachlichen, staatlich bestellten Poetologiebeamten einen tatsächlich sinnvollen und fruchbaren Beitrag zur zeitgenössischen deutschen Poesie leisten wollen, sollten sie schleunigst damit beginnen, ihre universitären Lehrstätten abzureißen, sich dem hinter den Qualmwolken abzeichnenden Horizont zuwenden und vielleicht umgehend ein Gedicht darüber schreiben, eines, das nackt ist und echt und wahrhaftig wie ein Raubtier in freier Wildbahn, eines, das der medialen Bilderflut kratzend, beißend, fauchend an die Gurgel springt, eines, das nicht postpoetotheoretisch domestiziert ist.

© Michael Zoch (Braunschweig / Dezember 2009)

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