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Vom (Un-)Wesen der Spielmannszüge

Ob es sich bei den jahresendlichen Aufmärschen der Fanfaren- und Spielmannszüge um gelebte oder im Zappa’schen Sinn verwesende Tradition handelt, sei zunächst dahingestellt. Jedenfalls trommelt sich seit gestern wieder dieses alljährliche Ritual durch unsere Kleinstadt, zunächst noch leise, aus der Ferne sich langsam heran arbeitend, doch mit der sehr konkreten Drohung, auch diesmal unsere Straße nicht zu verschonen. Aber weil man ja um die kommende Unbill weiß, lässt sich Vorkehrung zu einem erträglichen Überstehen treffen, ja sogar ein wenig pädagogischer Nutzen daraus ziehen.
Zwar kann ich dem um die jeweilige Zeit anwesenden Schüler nicht vorher die Stunde absagen, da eine genaue Uhrzeit jener Heimsuchung nicht vorhersagbar ist, doch steht dann der Tee für die unfreiwillige Unterrichtspause schon bereit, und wenn das Tröten & Trommeln des Spielmannszugs vor dem Hause angelangt ist, ergibt sich erstmal Gelegenheit für Basisübungen in Gebärdensprache.
Zwischendurch pausiert die Truppe, um an die umliegenden Haustüren zu einer Kollekte auszuschwärmen, die bei musiktraditionalistisch Wohlmeinenden gern auch in Form einiger schneller „Kurzer“ entrichtet wird. Da ist dann bei so manchem Bläser bald nicht nur der Ansatz verschwommen. Erstaunlich dabei ist deren Kondition, denn seit einigen Jahren wird nicht mehr nur, wie ich mich aus früherer Zeit zu erinnern glaube, am Silvestertag das Böse aus dem alten Jahr geblasen, sondern man beginnt bereits zwei Tage zuvor, anscheinend um die quantitativen Ergebnisse der einen wie der anderen Form der Kollekte zu verbessern.
Das durfte ich vergangenes Jahr face to face erleben, denn just wie es der Zufall wollte, ging ich bei jener Gelegenheit nach einem Klingeln an die Haustür, um einem erwarteten Schüler zu öffnen. Doch da standen sie schon, zu dritt mit ihren Lärmutensilien auf dem Buckel, und hielten mir mit dem selbstgefälligen Grinsen der Angesüffelten eine blecherne Spardose entgegen. Und weil auch ich nicht immer Herr der geistreichen Rede bin, wenns spontan zugeht, fiel mir in diesem Moment nur der abgestandene Witz ein, ob man denn gekommen sei, um mich mit ein wenig Schmerzensgeld zu entschädigen. Meine sofort einsetzende Reue ließ mich einen Schritt in den Flur zurückweichen, und so ward mir statt der befürchteten Watschn nur ein schnaubender Grunzer entgegengeschleudert, schon aus einem wankenden Abdrehen heraus. Immerhin durfte ich für mich in Anspruch nehmen, die anderen Hausbewohner vor weiteren Klingelbelästigungen bewahrt zu haben.

spielmannszug DDR wiki commons

Nun besteht meine weitere pädagogische Nutzbarmachung des Ereignisses darin, dass ich nach dem akustischen Rückzug des Gedröhns den armen, ja eigentlich nur zufällig anwesenden Schüler mit einem kurzen musikhistorischen, dabei aber meiner Boshaftigkeit entsprechend suggestiven Exkurs in etwa dieser Art beschwatze:
„Angefangen hat ja der ganze Fanfaren-Klamauk (wie so manch anderer auch) mit einem offenbar Gottgewollten militärischen Zweck, als die Israeliten mit den Posaunen vor Jericho zur Landnahme Kanaans bliesen. Ein schöner Mythos für das kollektive Gedächtnis, dem die Musikbataillone aller Heerscharen seit Jahrtausenden ihre Legitimation verdanken.
Nach und nach wurde klangtechnisch aufgerüstet, die Türken etwa führten den Schellenbaum in ihre Marschmusik ein (weshalb man diesen Tschingdarassa-Sound mitunter als „türkische Musik“ bezeichnet), und auch abseits der Schlachtfelder eignete sich das Spielmannswesen bestens zur Stärkung des völkischen Kampfeswillens und zur Selbstdarstellung der Machthaber. Das war zu Zeiten von Preußens Gloria so und das war bei den Nationalsozialisten so, die bei ihren Reichsparteitagen in Nürnberg und anderen Veranstaltungen die Spielmannszüge der SA und der SS aufmarschieren ließen. Sogar die real existierenden Sozialisten der DDR glaubten danach noch an die Wirkung solcher Propaganda für den Staatserhalt und gegen den Klassenfeind – guck dir mal das Foto hier an! Und was man heut vom Großen Zapfenstreich für einen Herrn Guttenberg mit dem geschmetterten Smoke on the Water halten kann, überlass ich dann mal deiner eigenen Interpretation…“

Aber nachdem ja eine der Künste in der Pädagogik darin besteht, Schüler mit einer positiven Stimmung aus der Stunde zu entlassen, kram ich dann noch gern die schöne Geschichte (und den Sound) von jenem Spielmannszug hervor, der einst, in den 1980ern, unser Städtchen in hübsche Verwirrung versetzt hatte. Damals war eine amerikanische Marching Band, die „Dirty Dozen Brass Band“ bei uns zu Gast, um bei einem kleinen Jazzfestival im Rahmen der Reihe „Jazz im Pfaffenwinkel“ aufzutreten. Zum Zwecke der Bewerbung ihres abendlichen Auftritts marschierten die neun Jungs schon am Nachmittag funky groovend durch die Altstadt und abends auf der Bühne spielten sie dann solche Sachen:

    Übrigens: Musiker aus der lokalen Spielmannszugszene hab ich damals im Publikum keine gesichtet ;-)

wf


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