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Axel Honneth plays Dylan

Axel Honneth

Noch vor wenigen Jahren hätte kaum jemand geglaubt, dass es für die Philosophie in den Medien eine andere Nische als die des Mauerblümchens geben könnte; doch mittlerweile wuchern philosophische und artverwandte Themen nicht nur auf den Bestseller-Tischen der Buchhandlungen, auch so ziemlich jeder öffentlich-rechtliche Fernsehsender hat da ein oder mehrere Angebote im Programm. Und das liegt nicht nur daran, dass die Produktion einer Philosophiesendung vergleichsweise billig ist (was allerdings manche Redaktion zu der Annahme verführt, dass auch die inhaltliche Vorbereitung billig sein dürfe).

Zu den anständig gemachten gehört die SF-Gesprächsreihe „Sternstunden Philosophie“,  bei der Moderatoren und Gäste im Plauderton das Vorurteil widerlegen, Philosophen könnten sich nicht verständlich ausdrücken – jeder Fünfachtelbildungsbürger kann da folgen, und das ist auch gut so, denn auf jenen gründet schließlich das Wachstum des durchschnittlichen Geistessozialprodukts einer Kulturnation, nicht wahr?

honneth recht der freiheitKürzlich war dort Axel Honneth, Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und amtierender Generalissimo der von Horkheimer und Adorno begründeten „Kritischen Theorie„, zu Gast und sprach mit Barbara Bleisch über eine zeitgemäße Ausrichtung der KT, den Strukturwandel im Kapitalismus und seine optimistische Behauptung «Die Welt wird immer gerechter». Honneth sieht dabei „verletzte Ehre“ als ein Grundmotiv sozialer Kämpfe und führt einen zentralen Gedanken Hegels weiter, nachdem wechselseitige Anerkennung und Gerechtigkeit einander bedingen. Das könne im Idealfall auch unsere Liebesbeziehungen zum Guten hin verändern…

Wie die meisten Philosophen war auch Honneth mal ein recht lebensumtriebiger Bursche (klares Denken bracht ja eine eigenempirische Grundierung) und so ‚gesteht‘ der Fussball- und Musikliebhaber im Gespräch, dass es ursprünglich „die Rockmusik war, die mir eine reflexive Distanz ermöglichte … und mich politisierte“.
Sein besonderes Verhältnis zu Bob Dylan, dessen Songs er veritablen philosophischen Gehalt zugesteht, da sie sich ja auch im Themenkreis „Anerkennung/ Outlaw – Gerechtigkeit – Freiheit“ bewegen, brachte Honneth 2006 dazu, zusammen mit Susan Neiman (Moralphilosophie), Diedrich Diederichsen (Popkultur) und Günter Amendt (Sex und Drogen), die auch alle Dylan-Fans sind, den interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Kongress „Bringing It All Back Home „“ Internationaler Bob Dylan-Kongress“ nebst zugehöriger Buchveröffentlichung zu organisieren.
Nach seiner Motivation dafür befragt, antwortete Honneth damals im SPIEGEL: „Mich hat immer interessiert, herauszufinden, ob meine Faszination für die Musik von Bob Dylan auch irgendetwas mit meinen philosophischen Interessen zu tun haben könnte … Auch bei Bob Dylan geht es um die Artikulation von verschiedenen, sich ausschließenden Freiheitsbegriffen. Das berührt eng meine eigene philosophische Arbeit.“

Deshalb ist diese Sternstunden-Plauderei auch mit einem kurzen s/w-Filmausschnitt einer alten Liveaufnahme von Dylans „Don’t think twice“ garniert – aber an welcher Stelle genau sich diese Rarität befindet, das verrat ich hier natürlich nicht ;-)

Sternstunde Philosophie vom 22.01.2012

Wer sich nach diesem Appetizer tiefgehender mit Honneths Thesen im Buch „Das Recht der Freiheit“ auseinandersetzen möchte, dem sei der Honneth-Lesekreis im Theorieblog mit kommentierten Einführungen zu den einzelnen Kapiteln empfohlen.


Nachtrag (vom 4.2.): Im „Tagesspiegel“ gibts ein aktuelles, recht lesenswertes Interwiev mit Honneth
Nachtrag II (vom 25.2.): In der „Zeit“ zu Honneths Literaturrezeption „Wenn Philosophen Romane lesen“

wf

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3 Gedanken zu „Axel Honneth plays Dylan“

  1. Es sind Gerüchte im Umlauf, dass die Kritische Theorie der Philosophie eine praktische und zentrale Bedeutung für die Gesellschaft einräumen möchte, und sich davon bessere Verhältnisse in zukünftigen Gesellschaften verspricht.

    Der Satz, dass sich wechselseitige Anerkennung und Gerechtigkeit einander bedingen, setzte voraus, dass man a) wüsste, was Gerechtigkeit denn sei, und b) auch die bei einer Mafia erzielte Anerkennung wegen eines begangenen Mordes eine Art von Gerechtigkeit nicht abgesprochen werden könne.
    Wie unschwer zu erkennen, bestimmt Gesellschaft, was anerkennenswert zu sein habe oder nicht, um damit Gerechtigkeit zu formulieren, oder in Umkehrung zu bestimmen, was gerecht sei oder nicht, um anerkennen zu können oder nicht.

    Was Gesellschaft denn sei, versuchte schon der Literaturnobelpreisträger Halldor Laxness zu ermitteln, da diese noch nicht existierte, als er aufwuchs. Er hoffe daher, so seine Sätze im Buch „Auf der Hauswiese“, dass es sie heute gäbe, damit man sie verbessern könne, obwohl ihre Anschrift unbekannt sei, und es nicht möglich sei, sie vor Gericht zu belangen.

    Mit der Zeit wurde vergessen, dass sich Gemeinschaften einst deswegen bildeten, um ausreichend Nahrung zu finden, der Bedrohung durch andere Spezies zu begegnen, und voneinander zu lernen, und als ihnen diese Beweggründe abhandenkamen, verwandelten sich diese gesunden Gewebe in Krebsgeschwüre, die man heute mit dem Wort Gesellschaft umschreibt.

  2. Klar, lieber Björn, bleiben Universalien wie „Gerechtigkeit“ oder „Anerkennung“ solang hohle Begriffe, bis sie, wie z.B. bei Aktionsbegründungen der Mafia, in einem Sinnzusammenhang mit propositionalem Gehalt gefüllt werden – und da unterschiedliche Gesellschaften, ja sogar einzelne Subjekte, ihre Eigen-Moralitäten mit relativen „Wahrheiten“ begründen können, können Verbesserungen der Verhältnisse in zukünftigen (Welt-)Gesellschaften nur auf Verhandlungsbasis erfolgen. Dass die KT dazu was beitragen kann, steht für mich außer Frage, wenn man denn z.B. die öffentlichen Einmischungen etwa von Habermas oder Zizek in diesen Diskurs als Konsequenz des KT-Denkens begreift.
    Aber Laxness würde ich schon widersprechen, wenn er eure alte isländische Gemeinschaft nicht als „Gesellschaft“ sieht: kennzeichnen doch gerade das gemeinsame Rechtssystem, Sprache und Kultur eine solche. Und auf den alten Joke, man könne eine Gesellschaft mangels Adressierbarkeit nicht vor Gericht belangen oder verändern, möcht ich hier nicht eingehen, weil der dem Genre des Kabaretts zuzuordnen ist ;-)

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