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Die Ökonomie des Glücks

 „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr. Und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen. Die andere Partei hingegen kennt beide Seiten.“

John Stuart Mill

In den USA ist das „Streben nach Glück“ (persuit of happiness) sogar in der Verfassung verankert, allerdings nur als der Anspruch, sich Richtung Glück auf die Socken zu machen und nicht als Garantie für dessen Erreichen. So einfach ist’s halt nicht mit dem Glück, mit dem unvorhersehbar wechselnden Auf und Ab der Emotionen, die man auch mit bestem Willen nicht festhalten kann. Und es ist auch nicht vorhersagbar, wen das Glück wann und wie trifft: vielleicht ist’s nur ein kurzer Sonnenstrahl an einem Regentag; ein Geruch, den eine leichte Brise über die Strasse weht; eine zärtliche Erinnerung; eine saftige Bratwurst mit Senf; die berührende Zeile eines Gedichts; ein paar Takte aus der „Ode an die Freude“.

Grad weil das Glück so schwer zu benennen ist, versuchen Regierungen, Werbeagenturen und soziologische Fakultäten seit Jahren, ein paar allgemeingültige Kriterien für das Wohlbefinden des Volkes aufzustellen und daran zu messen. Dabei geht es allerdings eher um die nächste Verwandte des Glücks, die Zufriedenheit, und dazu zählt man gewöhnlich das Pro-Kopf-Einkommen, das allgemeine Wirtschaftswachstum, die Lebenserwartung oder ähnlich statistisch verwertbare Daten, um sich einen groben Eindruck zu verschaffen. Naheliegend, dass unter solchen Gesichtspunkten die sogenannten „Dritte-Welt-Länder“, hauptsächlich die an oder in Wüstengebieten gelegenen, ganz unten an der Messlatte hängen blieben.
Aber mittlerweile hegen die Glücksforscher Zweifel, ob sich auf diese Art überhaupt Glück und Zufriedenheit der Menschen messen lässt; solche gesamtgesellschaftlichen Faktoren sind zu unpersönlich, eher unmenschlich, da der galloppierende technische Fortschritt und die Überproduktivität in den „hochentwickelten“ Gesellschaften auch mit einer individuellen Stresszunahme und einem Verlust sozialer Bindungen einhergeht.
In Bhutan hat sich deshalb die Regierung schon vor einigen Jahren entschieden, ihres Volkes Glück nicht länger an ökonomischem und technologischem Wachstum zu messen und dem allgemeinen Wohlgefühl stattdessen durch eine Verbesserung bzw. Bewahrung der ökologischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen des Landes auf die Sprünge zu helfen. Scheint zu klappen, denn auf der Skala persönlicher Glücksbefragungen liegt das kleine Land am Rand des Himalaya mit der überwiegend buddhistischen Bevölkerung mittlerweile vor Costa Rica, Dänemark, der Schweiz, Kanada usw.

Da wollen nun einige andere Länder nicht nachstehen, was den Stand ihres Glückskontos angeht, und so hat sich kürzlich auch die Britische Regierung vorgenommen, die tatsächliche Zufriedenheit ihrer Bevölkerung unter neuen, personalisierteren Gesichtspunkten messen zu lassen und Jil Matheson, die Chefin der Nationalen Statistikbehörde, damit beauftragt, entsprechende Fragen auszuarbeiten. Bei der Entwicklung eines zeitgemäßen Fragebogens kam ihr Roger Cohen diese Woche in der New York Times zuhilfe und schlug dazu die Aufnahme folgender Fragen vor:

  • Wie häufig vergessen Sie ihren Internet-Benutzernamen und ihr Password und wie sehr irritiert sie das?
  • Was empfinden Sie, wenn ihre Telefonverbindung plötzlich abbricht und Sie via voice-mail in der Hölle eines Bungalore Call Center landen?
  • Heben die Überwachungskameras an jeder Ecke Ihre Stimmung?
  • Was halten Sie vom Dauer-Nieselregen?
  • Wie oft sind Sie verzweifelt und wem geben Sie die Schuld daran?
  • Mögen Sie Ihre Familie und/oder ihre Nachbarn?

Schwer zu sagen, welche Ergebnisse Frau Matheson erhalten wird, schließlich sind die Briten gut trainierte Stoiker, haben ihren Humor an die Gegebenheiten angepasst und daraus die Weisheit gekeltert, dass es eh nur besser werden kann.
Dagegen sind die Franzosen eher Grantlhuber und weil das auch Präsident Nicolas Sarcozy weiß, lässt der nun vom französischen Statistikamt gar nicht erst nach dem Wohlbefinden seiner Landsleute, sondern gleich nach dem Grad ihrer Unzufriedenheit fragen.

Allerdings ist zu befürchten, dass auch eine immer bessere Feinjustierung des Wohlfühl-Index und das bei diesen Umfragen rausgeschmissene Geld nicht wesentlich zu einer allgemeinen Glückserhöhung beiträgt. Obwohl, solche Umfragen sind ja auch immer kleine Maßnahmen gegen die private Langeweile, die sich heute schon für viele Zeitgenossen als stärkstes Hindernis für eine selbstbestimmte glückliche Lebensführung ins (Nicht-)Denken geschlichen hat.
In nicht allzu ferner Zukunft könnte das noch schlimmer werden, wenn die existenzielle Grundsicherung endgültig von Robotik und künstlicher Intelligenz erledigt wird; dann könnte die Große Allgemeine Langeweile zur schrecklichsten Bedrohung für das Glücklichsein in modernen Zivilisationen werden. Vielleicht gibts in diesem Paradies des Nichts-Tuns dann gar keine Gelegenheiten mehr, dem Ratschlag von Oliver Wendell Holmes zu folgen: „Da das Leben aus Tat und Leidenschaft besteht, ist der Mensch aufgerufen, an den Leidenschaften und Taten seiner Zeit teilzunehmen – eingedenk der sonst drohenden Gefahr, überhaupt nicht gelebt zu haben.“

Es fällt mir nicht leicht, diese kleine Schnurre nun mit einem hübschen und moralisch korrekten summa summarum zum Thema Glück abzuschließen. Aber ich versuchs mal mit einer freundlichen Übernahme von den alten Chinesen: „Willst du einen Tag lang glücklich sein, betrinke dich; eine Woche lang, dann schlachte ein Schwein, einen Monat, dann heirate; ein Leben lang, dann werde Gärtner.“
Da könnt was dran sein, schließlich hats der gute Voltaire am Ende seines ereignisreichen Lebens ja auch beherzigt, sich auf sein Landgut zurückgezogen und den Rat seines Candide befolgt: „Bestelle deinen Garten!“

wf (Crossposting in „der Freitag“)

2 Gedanken zu „Die Ökonomie des Glücks“

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