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Vormarsch der Evangelikalen

Klingt paramilitant – ist es auch. Und so brisant, dass sich mittlerweile vermehrt auch die öffentlich-rechtlichen Medien, heute in Form einer „Kulturzeit“-Reportage,  mit dem Vormarsch der ca. 1,4 Millionen deutschen Evangelikalen auseinandersetzen.
Sie verstehen sich als Missionare, aber nicht von der harmlosen Art der rein rhetorischen Glaubensverteidiger, sondern als fundamentalistische Aktivisten, die in jedem Gegenüber ein Bekehrungsopfer sehen, Abtrünnige in den „sozialen Tod“ hineinisolieren und auch vor Morddrohungen nicht zurückschrecken. Ungläubigen wird mit der „Ewigen Verdammnis“ gedroht, die Bibel gilt ihnen als irrtumsfreie Anleitung zum richtigen Leben und natürlich halten sie die Evolutionstheorie für teuflisches Blendwerk (wie die Naturwissenschaften überhaupt). Sie wenden sich gegen die „Übel dieser Zeit“, lehnen andere Religionen ab, sind gegen Abtreibung, Homosexualität und Sex vor der Ehe.

evagelikae in kulturzeitRund 52.000 Menschen kamen vom 29. März bis 5. April 2009 zur Missionskampagne „ProChrist“ in Chemnitz. Insgesamt erreichte die Großveranstaltung nach Angaben der Veranstalter per Satellit mehr als 1,1 Millionen Menschen lässt und bei einem Budget von 3,5 Mio Euro die dahinterstehende Propagandamacht erahnen.

Und welchen Erfolg sie damit bei einer sinnsuchenden Klientel haben, verdeutlicht das Beispiel des ehemaligen Hooligan und Neonazi  Oliver Schalk, der von einem Missionar bekehrt wurde und braune Parolen gegen evangelikale Glaubenssätze eintauschte: „Gehet hinaus in alle Welt und verkündet die frohe Botschaft. Jesus ist der Weg, nur Jesus allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben und nur durch Jesus selbst kommst du zu Gott. Ich sehe das für mich nicht als eine Pflichtoffensive oder als einen persönlichen Auftrag. Für mich ist das völlig klar, weil ich um mich herum Leute sehe, die ins Verlorene rennen.“
Bei öffentlicher Kritik an ihrer christlichen Leitkultur wird zurückgeschlagen wie von Wolfgang Baake, einem politischen Lobbyisten der „Evangelischen Allianz“:  „Dass Leute, die ganz klar den Atheismus prägen und favorisieren, nach vorne drängen, das ist klar und das ist eine Herausfoderung für uns Christen. Das ist eine ganz scharfe Anfrage an uns, was setzen wir dagegen?“

Keine Beschwichtigung, sondern regelrecht verantwortungslose Verharmlosung betreibt Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, wenn er über diese „Glaubensbrüder“ sagt: „Der Anspruch, sie alleine würden die Wahrheit des christlichen Glaubens aufrechterhalten, oder gerade sie alleine seien die richtigen Erben der Reformation, diese Ansprüche sind zurückgetreten. Man sieht deutlicher, dass in den Landeskirchen selbst auch ein Ringen um die Wahrheit des christlichen Glaubens lebendig ist. Auf diese Weise hat es von beiden Seiten, wenn man es so ausdrücken will, einen Wandel durch Annäherung gegeben. Das ist eine der verheißungsvollsten Entwicklungen, die es in unserer Kirche in den letzten 10 bis 20 Jahren gegeben hat.“ Damit steht er dem Papst in Sachen Realitätsverkennung in Nichts nach.

Klartext spricht dagegen der Theologe und Journalist Uwe Birnstein: „In diesem ganzen Weltmaßstab, der sich auch in Deutschland spiegelt, sind die Evangelikalen auf der Seite: Wir haben die Wahrheit gepachtet, wir stehen in der Wahrheit und ihr anderen nicht, und ihr habt euch uns gefälligst anzupassen.  Mit dieser Einstellung kommt man nach der Erfahrung von 2000 Jahren Kirchengeschichte nicht weiter, sondern endet darin, dass man sich die Schädel blutig haut, mit Gott auf der Gürtelschnalle.“

Ziemlich unwahrscheinlich, dass die fundamentalistischen Bibelkämpfer jemals von dieser Diskursgrundlage gehört haben – hier darf und muss wie bei jeder Sekte öffentlicher Widerstand (vor Allem in den Medien und Schulen!) geleistet werden, um der ideologischen Infiltration und restriktiv-faschistischen Wühlarbeit rechtzeitig Einhalt zu gebieten und das mühsam erarbeitete Wegstück im langen Prozess der Aufklärung weiter begehbar zu machen.

wf / 3sat-Kulturzeit (vom 7.4.09)

(Dieser Artikel als PDF)

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