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While my Sitar gently weeps

Wahrscheinlich hat George Harrison mehr von Ravi Shankar gelernt, als den anderen Beatles lieb sein konnte. Nein, nicht allein das Spiel auf der Sitar, die beispielsweise bei Norwegian Wood und Within You Without You mitsurrte, sondern als konvertierter Hindu auch eine demütigere Haltung hinsichtlich der Kunst des Musizierens überhaupt. Und irgendwann hatte er, der melancholische Sinnsucher, es auch satt, mit seinen musikalisch-spirituellen Ideen von den Chef-Songwritern Lennon/McCartney ausgebremst zu werden. Er wollte wohl den Kommerz-Pop hinter sich lassen, kaufte sich ne Autostunde westlich von London ein spooky castle mit einem romantischen Park und nahm dort Hunderte von Songs auf, die großteils erst vor kurzem ausgegraben wurden und nun erst das Ohr der Öffentlichkeit erreichen.
Zusammen mit Ravi Shankar und einigen befreundeten Musikern organisierte der weltbekannteste Sitar-Schüler 1971 mit dem Konzert für Bangladesch das erste richtig große Benefizkonzert und beförderte damit den Indien-Hype aus der ‚Schmuddelecke‘ der Hippie-Kultur in die Sphäre der gutbürgerlichen Akzeptanz.

Die Sitar spielte dabei sowas wie eine Vermittlerrolle, denn Shankar, schon seit seinem Auftritt beim Woodstock-Festival ein Star und Liebling der gerade entstehenden Worldmusic-Szene (die ja von Jazzern wie John Coltrane in Gang gesetzt wurde), stand mit seinen langen Improvisationen auf diesem Instrument für geistige Freiheit und psychedelische Welterweiterung – auch wenn dem Inder selbst diese Vereinnahmung gar nicht behagte und er sich lieber als „weltweiten Botschafter des indischen Kulturerbes“ sah. Mit diesen Worten würdigte auch Indiens Premierminister Manmohan Singh das Lebenswerk Shankars, als dieser vorletzte Woche mit 92 Jahren starb. Fast bis zum Schluss war Shankar auf den Bühnen dieser Welt unterwegs (er feierte seinen 90er mit einem Livekonzert im Sydney Opera House), wobei er seit Jahren meistens von seiner jüngsten Tochter und Sitar-Schülerin Anoushka begleitet wurde, obwohl diese selbst schon erfolgreich an ihrer eigenen Solo-Karriere bastelte. Seine andere Tochter, Norah Jones, ist ja schon seit einem Jahrzehnt als Soul- und Jazzsängerin weltweit erfolgreich.
Auch auf dem Subkontinent selbst, der so von gesellschaftlichen und kulturellen Gegensätzen geprägt ist wie kaum ein anderes Land, hat Shankar durch seine internationale Popularität zu einer verstärkten Rückbesinnung auf die klassische indische Musik beigetragen, auch wenn nach wie vor das allgegenwärtige Bollywood-Gedudel die akustische Hauptnahrung junger Inder ist.

Zu Shankars Tod gabs weltweit unzählige Nachrufe, und unter den von mir gelesenen empfehle ich (trotz Veröffentlichung im SPIEGEL) jenen von Hasnain Kazim – wer’s neutraler und informativer mag, klicke auf die recht ausführliche Wikipedia-Seite zu Shankar.

Hier ein Ausschnitt aus einem BBC-Mitschnitt at The Symphony Hall, Birmingham, der das improvisierte und dabei wunderbar ineinander fließende Zusammenspiel von Vater Ravi, Tochter Anoushka und den übrigen Musikern schön rüberbringt und der auch prima zur ohrverlesenen Sound-Sammlung in diesem Blog passt:

Manche Leser wissen vielleicht, dass ich auch eine persönliche Beziehung zu Shankars Musik hab, die über die reine Rezeption hinausgeht. Zwar wurde ich als post-68er nicht in jener ’spirituellen‘ Geisteshaltung sozialisiert, die mir beim Klang einer Sitar ein mystisches Trancefeeling hätte bescheren können, aber meine um einige Jahre älteren Gitarrenlehrer wiesen mich als erste auf den guten Stoff hin, etwa auf Paint it Black von den Stones. Der Rest in Sachen Sitar ergab sich dann durch meine eigenen Entdeckungsreisen in diese (von mir jugendlich-romantisch verklärte) Musik-Zeit und bald liebäugelte ich mit der Anschaffung einer solchen Langhals-Laute. Nicht zuletzt wegen des erhofften Distinktionsgewinns gegenüber den hunderten anderer Gitarristen hier im Oberland ;-)
Und so kam es denn, dass mein Bruder, der von dieser meiner Begehrlichkeit wohl wusste, mir vor nunmehr gut 20 Jahren von einer seiner Indien-Reisen eine Sitar mitbrachte, baugleiches Modell wie Shankars. (Dabei überstiegen allerdings die Kosten für die Luftfracht des ungetümen Kastens den indischen Kaufpreis des handmade Instruments deutlich). Und da er, selbst Musiker, meine geringen Vorkenntnisse gleich mit bedacht hatte, lag auch eine indische, aber in Englisch verfasste Schule für das Instrument nebst Einführung in die klassische indische Musik bei.
Ragas für alle Tageszeiten und Stimmungen waren nun eine Zeitlang mein täglich Musikbrot, doch in Ermangelung eines indisch geschulten Percussionisten blieben mir die komplexen Metren für eine originalgetreue Adaption dieser Traditionen in der Praxis unzugänglich. Zudem erfordert die für einen Gitarristen ungewohnte Körperhaltung einige Gewöhnung; man kann das Riesenteil zum kontrollierten Spielen weder umhängen noch auf einem Stuhl sitzend bedienen, so dass erstmal Bodensitz-Training angesagt war. Und dann das ständige Stimmen der Spiel- und der mitschwirrenden Bordunsaiten! Aber irgendwann gelangen mir dann doch mehrminütige Performances, auch bei einigen Livekonzerten und sogar die CD-Einspielung eines improvisierten Raga mit Widmung an mein Bruderherz (auf der Scheibe „magic mood“). Natürlich weit entfernt von der spieltechnischen Qualität eines Ravi Shankar oder gar großer Meister wie Vilayat Kahn.
Aber ich bereue nicht, es gemacht zu haben, und, naja, vielleicht…

wf

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