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Versagt die Philosophie?

Denker-Gehirn

Wenn der Berg ruft, schweigen die Medien, und so musste ich den letzten Scobel-Pflichttermin nun via 3sat-Mediathek nachholen, was wie erwartet einigermaßen lohnend war.
Es ging in der Gesprächsrunde mit Julian Nida-Rümelin und Wolf Singer um die weltweit mit Leidenschaft diskutierte Frage, ob die Philosophie ihre Deutungshoheit hinsichtlich komplexer menschlicher Bewusstseinsprozesse an die Neurobiologie als neue Leitwissenschaft abgegeben hat und ob wir unser Menschenbild deshalb grundsätzlich revidieren müssen.

Denker-GehirnOhne sich von Scobel mit konfrontationstherapeutischen Provokationen in fraktionseigene Schützengräben treiben zu lassen, fanden die beiden völlig unbornierten, unabgehobenen ‚Großmeister‘ schnell zu einer Klartextebene, auf der die Vernetztheit und wechselseitige Befruchtung ihrer Disziplinen verständlich wurde.

Singer beklagte dabei die plakative Vereinfachung der Neuroforschung in den Medien und deren Adaption durch esoterische Bewegungen (etwa durch die Konstrukte ’neurobiologischer Gottesbeweise‘), vor Allem aber, dass neuronale Prozesse in der Allgemeinvorstellung noch immer fälschlicherweise mit Maschinenprozessen wie im 19. Jahrhundert assoziiert würden.

Nida-Rümelin klatschte noch ’n Pfund drauf und hielt den Kaminfeuer-Sprechblasen etlicher geisteswissenschaftlicher Kollegen entgegen „Eine gute Philosophie muss immer auf der Höhe der empirischen Entwicklungen sein“ und verstärkte den journalismuskritischen Singer-Ton: „Das Feuilleton spiegelt in seiner teilweise noch kartesischen Auffassung nicht den Stand der Gegenwartsphilosophie.“

Eingangs der Sendung hatte Scobel auf das Manifest 11 führender Neurowissenschaftler als Zusammenfassung des Status Quo der Hirnforschung hingewiesen, aber sendezeitbedingt wurden die darin induzierten Fragestellungen nur kurz angeblitzt, etwa die ethischen Probleme durch die Möglichkeiten des Eingriffs in die Persönlichkeitsstruktur, das ‚Mind Reading‘, die quantitative und qualitative Blickwinkelerweiterung über unsere Selbst-Bewusstheit.
Wer sich grundlegend mit der philosophischen (unter Einbeziehung der naturwissenschaftlichen) Sichtweise auf die ‚Natur des Geistes‘ auseinandersetzen will, der sei auf das auch im 3sat-Sendekontext empfohlene Buch von Michael Pauen „Was ist der Mensch?“ hingewiesen (Kurzrezi hier).

Die aktuellen Bemühungen, den geistes-/ naturwissenschaftlichen Diskurs  besser zu vernetzen, unterstützten auch Singer und Nida-Rümelin in ihren ‚Schlussplädoyers‘; es ginge um ‚Kohärenz des wissenschaftlichen Weltbilds‘, um das ‚In-Beziehung-Setzen mentaler zu neuronalen Zuständen‘ (Qualia-Problem) und darum, als ‚Fürsprecher für eine Konfliktlösung geistiger und materieller Prozesse‘ zusammenzuarbeiten.

Aktuell zum Thema: In der heutigen Süddeutschen Zeitung mokiert sich Alexander Kissler über die neueste Provokation des Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera, der wieder mal die „Verbalwissenschaften“ als realitätsfremdes „Privatvergnügen“ attackiert und die Biologie als Leitwissenschaft für einen „Neuen Humanismus“ postuliert. Man lese selbst!

3sat-Themenportal zur Sendung

wf

2 Gedanken zu „Versagt die Philosophie?“

  1. Wahrscheinlich interessieren sich die „normalen Leute“ weder sonderlich viel für die „Hirngespinste“ der Geisteswissenschaftler noch für das „Gequatsche“ der Naturwissenschaftler, sondern um so mehr dafür, daß sie heute und auch morgen noch „etwas auf die Gabel“ bekommen – Kritische Sozialwissenschaft.

  2. Pingback: Philosophische Schnipsel

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