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Ein Lob des Fatalismus

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Irgendwann lernen es alle, so sehr sie sich auch abstrampeln in der Hoffnung, ihres eigenen Glückes Schmied zu sein: Das Unplanbare und Unvorhersehbare gehört zum Wesen dieser Welt, zu den Lebensrisiken, gegen die man sich nicht versichern kann. Der naive Glaube, man könne jederzeit alles unter Kontrolle halten und sich in sorgfältig geknüpften Sicherheitsnetzen unbeschadet durch seine Planspiele schaukeln lassen, blättert einem in den Hin-und-Her-Geworfenheiten des konkreten Lebens nach und nach von der Seele. Manche verzweifeln daran, andere resignieren, einige sehen sich als Opfer böser Mächte – aber es gibt auch die, denen es gelingt, in Unglück und Schmerz Fassung & Haltung zu bewahren.

drobinski: lob des fatalismus

Einen Weg dorthin versucht Matthias Drobinski, im Brotberuf Autor und Redakteur bei der SZ, in seinem kleinformatigen Büchlein „Lob des Fatalismus“ aufzuzeigen. Nein, keinen Lifestyle-Ratgeber (von denen es ja schon Regalkilometer gibt) wolle er damit vorlegen, auch keine geschlossene Philosophie präsentieren, sondern einem „aufgeklärten, partiellen Fatalismus“ in Form eines Essays á la Montaigne „ein Lied zu singen“, zu dem „Widerspruch allerdings erwünscht“ sei.

Nun wird einigen von euch beim Begriff eines „aufgeklärten, partiellen Fatalismus“ wohl das gute alte Gelassenheitsgebet einfallen: „Gott, gib mit die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Eben darauf baut auch Drobinski seinen „richtig angewandten Fatalismus“ auf, der „gelassen und locker, geradezu cool“ mache. Er befreie von der „Pest der Glückssuche“ und dem Zwang zur Selbstoptimierung, nehme dem Lebensende den Schrecken und vorher diversen Lebenswendungen auch, und erhebe Einspruch, wenn die Sicherheit zum höchsten Gut ernannt wird.

Natürlich wünschten sich alle ein glückliches Leben, weil das Teil ihres Menschseins sei (wie schon Seneca glaubte), doch „um nicht sehr unglücklich zu werden, ist das sicherste Mittel, dass man nicht verlange, sehr glücklich zu sein“ warnt Schopenhauer. Und weil der „immerwährende Glückszustand eine Horrorvorstellung“ sei, hält Drobinski auch nicht viel von den Selbstoptimierungs-Dogmen und der „Glückshysterie“ der Positiven Psychologie á la Martin Seligman oder Dale Carnegie; näher ist dem Autor das „Streben nach einem sinnvollen Leben“, wie es der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid in seinen Büchern propagiert. Mitsamt dieser Melancholie, die weiß, „dass die Welt unerlöst ist – ohne sie deshalb als Jammertal zu empfinden“.

Drobinski macht in kleinen Geschichten und an vielen aktuellen Beispielen aus Politik und Gesellschaft anschaulich, wie sich die Haltung seines „positiven Fatalismus“ unterscheidet von den negativen Aspekten der passiven Schicksalsergebenheit wie Unterwürfigkeit, tatenlosem Hinnehmen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung und etwa dem Glauben an einen „biologischen Determinismus“. Dabei zeigt er auch die unterschiedlichen Facetten und Wertschätzungen auf, die der Fatalismus-Begriff  in seiner ‚abendländischen‘ Karriere durchlaufen hat; bei Platon und Aristoteles, den Stoikern, Cicero, in der Gnadenlehre des Kirchenvaters Augustinus, in den Vorbestimmtheits-Lehren von Martin Luther und Jean Calvin, bei Spinoza, Kant, Fichte, Schelling, Schopenhauer und natürlich in Nietzsches „Amor fati“ (mitsamt dessen Missdeutung durch die Nazis).

So weit, so gut (und bekannt), und den gewünschten „Widerspruch“ könnte sich Drobinski am Ehesten zu den Thesen in seinem Schlusskapitel einfangen. Dort plädiert Drobinski (der studierte Theologe) für die Variante eines „christlichen Fatalismus“, die „den Blick verstärkt auf die verunsichernde, die irritierende Seite Gottes lenkt“, was bedeute, „die Wahrheit als nie zu erreichendes Ziel einer immer doch notwendigen Suche zu begreifen“. Die Erkenntnis, dass Gottes Wahrheit außerhalb dieser Welt existiere, habe Christen immer wieder die Kraft gegeben, gegen innerweltliche Wahrheits-, Absolutheits- und Totalitätsansprüche Widerstand zu leisten; gegen die des Nationalsozialismus und die des Kommunismus – aber auch gegen jene Dogmatiker des Kapitalismus, die die Herrschaft des Geldes religiös überhöhen. Das sei das „Wächteramt der Christen“. Und er entlässt seine Leser mit einer Art Wort zum Sonntag: „Es  wäre ein fröhlicher Glaube, dass man die letzte Wahrheit getrost den höheren Instanzen im Jenseits überlassen kann.“

Hm, kann man da noch von einem „aufgeklärten Fatalismus“ sprechen? Ich möcht mich in meinem Reich der Gründe jedenfalls nicht auf ‚höhere Instanzen‘ in einem Jenseits verlassen, und der Glaube an eine ‚letzte Wahrheit‘ spielt für meine Optionen des Handelns oder Nicht-Handelns im konkreten Lebensvollzug mit seinen vielen kleinen, täglich neu zu verhandelnden ‚Wahrheiten‘, für mein Widerstand-leisten, auch keine Rolle. Doch auch wenn Drobinski in diesem letzten Kapitel die anzustrebende „Coolness“ eines positiven Fatalismus in eine Forderung nach „Gottvertrauen“ übersetzt, ist ihm in toto ein gut lesbarer und anregender Essay gelungen, der dem verunsicherten Menschlein zeigt, dass sich mit einer guten Portion Fatalismus das Leben wohl besser meistern lässt.
Zwei, drei Kapitelchen mehr hätten’s aber schon sein dürfen, wenigstens ein paar Anmerkungen und Querverbindungen zu ähnlichen, nicht-religiösen Fatalismus-Konzepten in anderen Kulturkreisen; etwa zum Umgang mit Schicksal, Wandlung, Leid und Erdulden in der buddhistischen Philosophie oder im daostischen Wu Wei.

wf


Matthias Drobinski: Lob des Fatalismus
Gebundene Ausgabe: 132 Seiten
Claudius Verlag 2018, Euro 14.-
ISBN-13: 978-3532628119

 

2 Gedanken zu „Ein Lob des Fatalismus“

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