Zum Inhalt springen
Startseite » Sind wir zur Gewalt verurteilt?

Sind wir zur Gewalt verurteilt?

Jan Luyken - Hexenverbrennung
Der Evolutionsbiologe Franz Wuketits sucht nach den Wurzeln von Mord, Krieg und Terror

Die Schicksalsfrage der Menschheit scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden.

Sigmund Freud

 

Schon Freud gab nichts auf die Erzählungen vom Edlen Wilden, von einer guten alten Zeit oder von noch immer existierenden Naturvölkern, in der die Menschen gewaltfrei miteinander auskamen, wo es keinen Neid, Hass und Totschlag gab. Ab etwa Mitte des 20. Jahrhunderts mussten auch die letzten diesbezüglichen Idealisten unter den Kulturanthropologen und Sozialwissenschaftlern einräumen, dass sowas offenbar nur eine Art Rousseauscher Wunschvorstellung war, weil sich in allen untersuchten Kulturen und Gesellschaften Hinweise auf die Ausübung von Gewalt finden ließen. Auch die Primatenforscher wie Jane Goodall ließen alle Hoffnung fahren, bei unseren nahen Verwandeten, den Schimpansen, Belege für ein friedfertiges Zusammenleben in vorzivilisatorischer Zeit zu finden, nachdem die Beobachtungen gezeigt hatten, durch welche Gewaltexzesse bis hin zur Ausrottung anderer Gruppen sich die Tiere auch in dieser Hinsicht als unsere nächsten Verwandeten entpuppten. (Freilich könnte man dagegen halten, dass die uns ebenso nahe verwandten Bonobos ihre Konflikte zumindest teilweise gewaltfrei durch einvernehmlichen, auch gleichgeschlechtlichen Sex, befrieden.)

Sind wir also zur Gewalt verurteilt? Diese Frage stellt der Wiener Biowissenschaftler und Evolutionstheoretiker Franz M. Wuketits schon im Untertitel seines neuen Buchs „Mord.Krieg.Terror.„, wobei er nicht nur eine Genealogie der Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungsformen vorlegt, sondern auch Deutungen  aus evolutionstheoretischer Perspektive über deren mögliche Ursachen, Motive und Auswirkungen vor dem Hintergrund archaischer Verhaltensantriebe anbietet. Nun weiß Wuketits natürlich genauso wie die an diesem Thema interessierte Leserschaft, dass  dazu in den letzten Jahren schon reichlich Material veröffentlicht wurde. Hervorgehoben sei hier die umfangreiche und umstrittene Untersuchung des  Evolutionspsychologen Steven Pinker „Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit„, in der ein stetiger Rückgang der Gewalt im Verlauf der zunehmenden menschlichen ‚Zivilisierung‘ belegt werden sollte.

Jan Luyken - Hexenverbrennung

Eine der Abbildungen im Buch:
Jan Luyken – Hexenverbrennung (1571)

Durch viele Verweise auf die Arbeiten Pinkers und etlicher anderer Fachkollegen (auch interdisziplinärer Ansätze) kann Wuketits seine Gewaltgeschichte auf circa 120 Textseiten komprimieren und in diesem „Schnelldurchlauf“ die historischen Stationen dieses Universalphänomens übersichtlich chronologisch und fast verlustfrei abfahren: Von der Selbstverständlichkeit des Dauer-Kriegszustands im Altertum mit seinen tribalistischen und revanchistischen Konzepten „Wir gegen die Anderen“ und „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ nebst der Verherrlichung von Kriegsgöttern > über das Mittelalter mit seinen Kreuzzügen, Inquisitionen und Hexenverfolgungen > bis zur Neuzeit mit ihren neuen Kriegstechniken, kolonialistischen Eroberungen, blutigen Revolutionen, Völkermorden, den Weltkriegen, der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und des zeitgenössichen Terrorismus. Wuketits zeigt dabei, dass zwar die Konkurrenz um Ressourcen ein wesentlicher Antrieb zu Gewaltakten war, dass aber auch rassistische Konzepte von „Übermenschen“ und „Untermenschen“ aus einem Bedürfnis nach Gruppenidentität keineswegs neu sind und dass jeder technische Fortschritt auch für eine ‚Perfektionierung‘ der Gewaltpraktiken genutzt wurde. Der Kitt, der menschliche Aggressorengruppen (im Unterschied zu tierischen) zusammenhält, motiviert und gewaltverstärkend wirkt, sind dabei oft weltanschauliche Ideologien, die jenseits eines ‚Kampfs ums nackte Dasein‘ der Legitimation der Gewalt dienen.

Diese kollektiven Formen von Gewalt wären nicht möglich ohne eine dem Menschen innewohnende starke biologische Komponente der Aggressionsbereitschaft, die Wuketits als eine zu unserem stammesgeschichtlichen Erbe gehörige „Naturkonstante“ ansieht, wenn sie zur Verteidigung des eigenen Lebens, der eigenen Sexualpartner und Nachkommen, des eigenen Territoriums und der eigenen sozialen Machtposition dient (der Schimpanse in uns). Da auch  in der heutigen ‚Zivilisationsgesellschaft‘ die Prinzipien des „Darwinschen Wettbewerbs“ um Ressourcen gelten und jeder für sich die eigenen Gene, Familie, Wohnung, Bankkonto und Status erobern und verteidigen muss,  sind Aggressionen, wenn auch meist in ritualisierter oder sublimierter Form, unser täglich Psychobrot. Und ganz von Körperverletzungen, Totschlag, Mord, Selbstmord und soziopathischem Verhalten verschont zu bleiben, kann sich auch heute noch keine Gesellschaft rühmen und wird es wohl auch in Zukunft nicht können. Denn der Preis für ein Höchstmaß an Sicherheit wäre: noch mehr Verbote, Zwänge und die Entmündigung des Einzelnen durch einen allgegenwärtigen „Leviathan“. Der würde es zum Beispiel nicht dulden, dass bei der ritualisierten Körperverletzung im Fußballsport allein im kleinen Österreich alljährlich über 30.000 Verletzte in die Krankenhäuser eingeliefert werden und wohl auf jedem Ball und jedem Trikot Warnungen anbringen wie „Fußball gefährdet ihre Gesundheit. Fangen Sie erst gar nicht damit an.“
Diesen Preis möchte Wuketis nicht zahlen: „Wer meint, jeder möglichen Gefahr vorbeugend begegnen zu müssen, darf sich auf keine spontane Aktion mehr einlassen, muss jede Kreativität unterdrücken und sich mit einem Leben in Ödnis und Langeweile abfinden – um dann aber doch, wie es halt kommen kann, in seiner vermeintlich sicheren Wohnung von der plötzlich einstürzenden Decke erschlagen zu werden.“

Das Verhältnis Freiheit <> Sicherheit lässt sich angesichts der aktuellen weltweiten Bedrohungsszenarien nicht so regeln, dass Gewaltrisiken ausgeschlossen werden können; aber muss auch in Zukunft die gewaltfreie Welt eine Utopie bleiben? Diese Frage stellt Wuketis in seinem Schlusskapitel und bleibt in Sachen Hoffnungserfüllung skeptisch: „Wer irgendwann auf eine friedliche Welt gehofft hat, dessen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt“. So erging es Albert Einstein mit seiner Forderung nach einem „feierlichen Verzicht auf gegenseitige Gewaltanwendung“ ebenso wie Immanuel Kants Vorschlag einer „Entmilitarisierung“ aus seinem Entwurf „Zum ewigen Frieden„.
Alle Hoffnung aber will Wuketits nicht fahren lassen, und so lässt er noch einmal Steven Pinker zu Wort kommen: „Bei allem Kummer in unserem Leben, bei allen Schwierigkeiten, die auf der Welt noch bleiben, ist der Rückgang der Gewalt eine Leistung, die wir würdigen können, und ein Impuls, die Kräfte von Zivilisation und Aufklärung, durch die sie möglich wurde, hoch zu schätzen.“
Doch so optimistisch das klingt, weiß Wuketits doch: „Aber sie können an der Gewalt selbst nichts ändern, solange politische und religiöse Ideologien dominieren, Erziehung und Bildung unter die Räder von Ideologien gerät und sich freiwillig viele Menschen Ideologien ergeben und selbstverschuldet in die Unmündiglkit stolpern; und solange es der Weltpolitik und Weltwirtschaft nicht gelingt, die Ressourcen gerechter zu verteilen, woran Politiker und Ökonomen aber anscheinend nicht interessiert sind.“

(Und wir hätten da noch den Vorschlag, dem anderen Primaten in uns, dem Bonobo, mehr Spielraum zu lassen.)

wf


Franz Wuketits
Ein auch für Laien gut verständliches Sachbuch mit etlichen Abbildungen, die zurückhaltend verwendeten Fachbegriffe  werden in einem anhängigen Glossar knapp erläutert, komplettiert durch ein umfangreiches Personenregister.

5 Gedanken zu „Sind wir zur Gewalt verurteilt?“

  1. Als Mensch bin ich zu nichts verurteilt – und ansonsten bin ich mir bewusst, dass ich sterben werde. Den Affen oder einem anderen Tier in mir gebe ich keinen Spielraum. Wenn ich keine Macht über die Dinge habe, dann hilft die Gewalt auch nicht. Die Konkurrenz um Ressourcen zerstört letztlich die Lebensbedingungen für alle. Das ist dann auch die Ebene der Affen, die keinen Einfluss auf das nächste level haben. Als Mensch stelle ich mir Fragen u.a. nach dem Sinn.

  2. Affe ist doch nur eine Bezeichnung für das, was einer nicht kontrollieren will. Im Zen wird das als Affengeist bezeichnet.
    Das nächste level ist die Aufrichtigkeit, vor allem sich selbst gegenüber. Und ich bin kein Affe, nie gewesen und werde es auch nicht sein. Und ich habe auch keine Affen in mir. Das ist eine Metapher für Emotionen, die ich den Affen zuschreibe. Ich kann mich da via Projektion hineinversetzen – aber da halte ich es mit Nagel – ich weiß nicht, wie das ist ein Affe zu sein.
    Im Unterschied zu Tieren kann ein Mensch seine Angst überwinden und „über sich hinaus“ wachsen. Das meint das nächste Level auch. Insofern kann der das, was er mit dem Tier noch gemeinsam hat auch hinter sich lassen und gewaltlos sein.

  3. @Aiko: Es geht nicht darum, den Affengeist zu kontrollieren, es geht darum, ihm keine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen – er „lebt“ nämlich von der Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wird. Und das ist die, die man anderen/m vorenthält (s.u.).

    @wf: Aus dem Text:
    „Da auch in der heutigen „šZivilisationsgesellschaft“˜ die Prinzipien des „Darwinschen Wettbewerbs“ um Ressourcen gelten und jeder für sich die eigenen Gene, Familie, Wohnung, Bankkonto und Status erobern und verteidigen muss, sind Aggressionen, wenn auch meist in ritualisierter oder sublimierter Form, unser täglich Psychobrot.“

    Erobern? Wer oder was hat diese Dinge in seinem Besitz? Verteidigen? Wer oder was greift diese Dinge an?

    Das ist doch des Übels Kern: Haben wollen und behalten wollen, weil man meint, zu wenig zu haben oder zu bekommen. Beachtung wollen wir haben! Weil jeder von uns in einer Gruppe (bei diesem Gedanken bildet ein Einzelner bereits eine Gruppe, schließlich ist er mit sich selbst zusammen…) etwas zur Gruppe beitragen will, was letztlich sein eigenes Überleben und das Überleben der Gruppe sichern soll und für diesen Beitrag akzeptiert werden möchte, anerkannt sein möchte, da wir Menschen nunmal sozial veranlagte Wesen sind und von Anerkennung „leben“.

    Tja, und schon freut sich der o.g. Affe(ngeist)… dem es im übrigen egal ist, ob man ihn schlägt oder liebt, kontrolliert oder bewundert oder ihn einfach als das sieht, was er ist: (Ein) Geist. Hauptsache, er wird beachtet. Das „Dumme“ daran: (Dieser) Geist ist ein Fass ohne Boden, (der) Geist kann sich selbst nicht zur Gänze fassen, dieser Akt bleibt immer unvollständig, „unvollkommen“. Im Grunde herrscht also immer ein Mangel…

    1. Es gibt ja weder einen Affen in einem Menschen, noch einen Affengeist. Die Ansicht, man erleide einen Mangel ist ja das, was antreibt und unruhig macht. Und um diese Ansicht und ihren Wirklichkeitsgehalt geht es. Wie Gandhi das mal so schön sagte: Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier. (und auch für jederfrau)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.