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YouTube und die Knebelverträge der GEMA

Jetzt also auch YouTube.  Die GEMA versucht abzugreifen, wo und was nur geht, ohne sich um die veränderten kulturellen Realitäten in unserer Gesellschaft zu scheren. Statt sich um eine zeitgemäße Verwertungspraxis zu bemühen, werden die alten Knüppel ausgepackt und immer feste druff! Als ob wir musikalisch gesehen noch eine Operetten- oder Hitparaden-Nation wären.

Eine lausige Aussicht ohne erkennbaren Horizont offenbart diese Urheberrechts- und damit verbundene Aufführungs-Diskussion.
Hab ja kürzlich schon mal erwähnt, dass ich beruflich öfter mit dieser Musikverwertungsgesellschaft zu tun habe, sowohl als Veranstalter (Lizenznehmer) wie auch als Werkurheber (Rechteinhaber).
Prinzipell ist es ja eine feine Sache, wenn sich der eingetragene Verein „GEMA“ (Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte)  als zentrale Abrechnungsstelle um die Einnahmen aus Zweitverwertungen kümmert, das kann ein einzelner Künstler oder eine Band mangels Übersicht gar nicht erledigen. Aber dabei darf man nicht ein Inkasso betreiben, das den Veröffentlichungsinteressen der eigenen Mitglieder zuwider läuft und schon gar nicht, wenn in bestimmten Fällen ein derartiges Geldeintreiben von den Künstlern und Musikverlagen explizit nicht gewünscht wird, weil ihnen die Werkverbreitung, der Spaß am Musizieren oder die damit einhergehende Promotion wichtiger sind.

So hat es sich kürzlich bei unserem regionalen Kulturförderverein zugetragen, als ein weltbekannter Gitarrist bei uns ein niegelnagelneues, verlagsfreies Werk mit Orchester aufführte, das er nicht bei der GEMA gemeldet hatte (und dies auch nicht beabsichtigte): Die GEMA erfuhr davon, verlangte vom Künstler (als GEMA-Mitglied) eine rückwirkende Nachmeldung und von uns für das Konzert eine satte dreistellige Lizenzgebühr incl. „Kontrollkosten“ in doppelter Höhe wegen nicht erfolgter vorheriger (!) Anmeldung.

Noch übler wird den kleinen, meist idealistischen Clubbesitzern mitgespielt, wenn etwa eine Newcomer- oder Hobbyband musikalisch was zum Besten gibt, weils einfach ein cooler Abend werden soll. Wenn nicht für alle Musikstücke per „Musikfolgebogen“ nachgewiesen werden kann, dass es sich um Selbstgebasteltes handelt, wird die GEMA-Gebühr in voller Höhe fällig, auch wenn das Geld keinem Originalurheber zugeordnet werden kann.
Ja wohin diese Einnahmen denn flössen, wollte mein befreundeter Clubinhaber wisssen.
In den Gesamttopf, aus dem dann anteilig nach Berechtigungshöhe  an alle GEMA-Mitglieder ausgeschüttet wird (dazu muss man wissen, dass dieser Verteilerschlüssel sich nach den jeweiligen Anteilen am Gesamtumsatz richtet, d.h., wer grad ein paar Hits am Laufen hat, bekommt auch aus dem „Topf“ noch mehr dazu, egal ob bei dem besagten Konzert was von ihm gespielt wurde oder nicht – da gibts ein ähnliches Pauschalinkasso/-verteilung wie z.B. bei der Leerkassetten- oder CD-Rohling-Abgabe).

Und wenn ein paar Jungs & Mädels einfach a bisserl rumimprovisieren, dummerweise aber einer von denen Mitglied bei der GEMA ist? Pech gehabt:

Auszug aus einem Urteil des Amtsgericht Bochum vom 11.10.1990 AZ.: 44 C 383/90:

„Selbst wenn es sich bei sämtlichen Stücken, die bei dem Beklagten [von den Musikern]  aufgeführt wurden, nicht um Kompositionen, sondern um kollektive Improvisationen gehandelt haben sollte, können der Klägerin [GEMA] Vergütungsansprüche zustehen. Wie in dem Termin erörtert, entsteht der Urheberrechtsschutz mit der Entstehung des Werkes. Bei der Improvisation entsteht das Werk im Zeitpunkt der Aufführung. Zu diesem Zeitpunkt waren die urheberrechtlichen Nutzungsrechte […] aufgrund dieser Berechtigungsverträge bereits auf die Klägerin [GEMA] übergegangen.“

Im Klartext: Du, lieber Musikerkollege oder Veranstalter, brauchst mich, der ich doch wegen anderer Veröffentlichungen GEMA-Mitglied bin,  nicht mal mehr zu ’ner spontanen Jam-Session einladen, weil jedes von mir gespielte Solo-Fuzzerl ein neues „Werk“ ist und somit als automatisch angemeldet gilt und demzufolge für dich gebührenpflichtig ist! Und überhaupt spiel ich auch keinesfalls mehr just for fun in irgendeiner Öffentlichkeit,  weil ich sonst selber für mein Gedudel zur Kasse gebeten werden kann!

Das passt irgendwie ganz schlecht mit dem Selbstbestimmungsrecht des Deutschen Urheberrechts zusammen, in dem es wörtlich heißt:

„Dem Urheber wird das Recht der Verwertung seines Werkes zugebilligt: Dieses umfasst Vervielfältigung, Verbreitung, Ausstellung, öffentliche Wiedergabe und Bearbeitung des Werkes. Der Urheber darf die Rahmenbedingungen der Verwertung festlegen, hat somit das Recht auf die Erstveröffentlichung und auf die erste Inhaltsmitteilung.“

Daraus kann eigentlich nur abgeleitet werden, dass die GEMA mit sittenwidrigen Knebelverträgen arbeitet.
Und wirft ausserdem die Frage auf, ob man in Deutschland das vieldiskutierte „Recht auf Kultur“  ins Grundgesetz hineinschreiben kann. YouTube hat die Frage der „Kulturförderung“ unter diesen Bedingungen für sich schon beantwortet.


Ein paar weitere Gedanken zu GEMA und Musikindustrie hat sich Johnny Häusler im „Spreeblick“gemacht.

(Dieser Artikel als PDF)

wf

8 Gedanken zu „YouTube und die Knebelverträge der GEMA“

  1. wenn du die GEMA und ihre dummheit hasst, leg sie doch einfach mal ein paar Wochen/ monate lahm. das ist ziemlich einfach und wird dir eine menge spass bereiten. gemäß Â§ 10 des Urh WG sind die GEMA-Mitarbeiter VERPFLICHTET dir auskunft zu erteilen, welcher Song und welcher Interpret von der GEMA vertreten wird und welcher nicht. stell deine anfrage in vorbereitung auf eine MÖGLICHE ÖFFENTLICHE party. du möchtest natürlich nur sicher gehen, dass alles korrekt ist. die anfrage stellst du, weil die GEMA recherche auf der website leider nur auszüge anbietet. du möchtest nämlich aufgrund der GEMA Auskunft entscheiden, welche songs du spielen wirst und welche nicht. ;) dann sendest du eine 20 seitenlange titel und interpretenliste, am besten auf karopapier ausgedruckt per post, an die bezirksdirektion, die für deinen wohnort zuständig ist oder für geizige: eine mail mit dem anhang als unveränderbares pdf. so müssen die damen und herren nämlich alle songs u.s.w. von hand in ihren rechner hauen. und bei tausenden von titeln kann das dauern“¦. diesen tipp gibst du noch allen deinen freunden und die ihren freunden und dann kümmert sich da bald keiner mehr um was anderes. als mögliche titellisten eignen sich die playlists von internetradios übrigens. aber wichtig!! es muss per post oder wenigstens als unveränderbare pdf versendet werden.

  2. @ skywalker:
    Ich will ja die GEMA gar nicht lahmlegen, nur, dass sie
    1. nachvollziehbare und transparente, den digitalen Aufführungsformen adäquate Abrechnungsverfahren einführt
    2. und vor Allem die kreative Kulturarbeit nicht durch Abzocke der „Kleinen“ behindert und diese Knebelvereinbarungen mit den Urhebern abschafft – denn die müssen selbst entscheiden dürfen, was sie mit ihren Werken anfangen und z.B. per Creative Commons bestimmte Nutzungsrechte ohne Inkasso einräumen können.
    Oder z.B. ihre eigene Musik unentgeltlich aufführen oder für Kulturförderzwecke frei erlauben dürfen (ich hab z.B. an der GEMA vorbei ein Stückerl unter anderem Titel-Namen für eine Filmhochschul-Videoproduktion kostenlos zur Verfügung gestellt – eigentlich „illegal“).
    Bei YouTube mussten wg. GEMA etliche Pädagogik-Musikvideos (u.A. von Jeff Beck) geräumt werden, obwohl deren Urheber und Verlage freiwillig auf Einnahmen daraus verzichtet hatten!

    Es geht darum, verschiedene Verwertungsformen parallel zu ermöglichen und das Selbstbestimmungsrecht der Urheber nicht zu „kriminalisieren“.

  3. Die Inquisition der Musikindustrie! Alleiniger Wahrheitsanspruch und unverblümtes Sich-durch-netzen zum Wohle der unbedarften Zweitverwerter. Das Fegefeuer wurde uns aufgezeigt durch das Schicksal aussätziger Raubkopierer. Ich mag diesen Artikel; was mir bislang entgangen ist, macht endlich Sinn – zumindest von der Warte des Lesers aus gesehen.

  4. Pingback: Philosophische Schnipsel » Bundestags-Petition zu Urheberrecht und GEMA

  5. @ Marcel: das undifferenzierte Gepöbel und die Rumhackerei dieser „Anonymous“ sind eher kontraproduktiv beim Bemühen um eine Verbesserung des Urheber- und Lizenzrechts. Die hier schon erwähnte Bundestagspetition in Sachen GEMA war ein richtiger Schritt, hat zur Anhörung im Bundestag und zu einer Enquetekommission geführt. Das dumme Gequake von Leuten, die offenbar kein Einkommen mit ihrer geistigen Leistung erzielen müssen, wird den notwendigen Gesetzgebungsprozess wohl nicht beschleunigen…

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