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Kommunikationsprobleme in sozialen Systemen

Nicht nur als Pädagoge, auch in vielen anderen lebensweltlichen Kommunikationssituationen möchte man manchmal daran verzweifeln, dass viele (gemeinten) Inhalte beim Gegenüber aufgrund unterschiedlicher Sinnhorizonte missverstanden werden oder anscheinend gar nicht ankommen.
Unsere Kommunikations-Gesellschaft tendiert immer mehr zu immer kleineren Subsystemen, die sich wiederum aus Sub-Subsystemen zusammensetzen; das ‚Gelingen‘ von Kommunikation wird durch die zunehmende Kontingenz des erworbenen Wissens und der individuellen Erfahrungen erschwert. Ein ‚Fachidiot‘ redet am anderen ‚Fachidioten‘ vorbei, eine Party mit Leuten unterschiedlicher Sozial- und Bildungsgenese organisiert sich kommunikativ auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, dem Subsystem ‚Party‘.

Zu dieser Kommunikationsproblematik hat uns Bernd Porr, Master of Arts in Communication-Science and Journalism an der University of Glasgow, einen Gastbeitrag zur Verfügung gestellt, der auf kommunikationstheoretischer Basis (unter Einbeziehung von Luhmanns Systemtheorie) etliche Begriffe und Zusammenhänge sozialer Kommunikationsprobleme darstellt und so vielleicht zu einer gelungeneren Verständigungspraxis im eigenen Kommunikationsalltag beitragen kann.

wf


Soziale Systeme

von Bernd Porr/ University of Glasgow

Definitionen

Soziale Systeme (Kommunikationssysteme) erfordern einen hohen Abstraktionsgrad seitens des Lesers. Dieser sollte nicht versuchen, sich darunter etwas Verdinglichtes vorzustellen, sondern nur etwas rein Analytisches. Das Kommunikationssystem liegt zwischen den Personen und nicht in den Personen. Um das Verständnis zu erleichtern gibt es ein paar Definitionen.

Doppelte Kontingenz

Der Begriff der Kontingenz beschreibt das Zufällige der Umwelt. Die Umwelt erscheint dem System in der Form von Zufall. Man kann das erwarten, aber es könnte ganz anders ablaufen. Wenn eine Person etwas sagt, dann kann sie nicht sicher sein, was eine zweite Person darauf antwortet. Wichtig ist nur, dass möglichst jede Antwort der anderen Person in den Sinnhorizont eingebaut werden kann, also Anschlußvorstellungen zu ermöglichen.

Ein soziales System entsteht nun, wenn zwei solche Personen (psychische Systeme) sich gegenseitig ’stören‘. Beide wollen ihr Verhalten aufeinander abstellen bzw. jede Person will auf das Verhalten des anderen anschließen. Das wechselseitige Spiel von gegenseitigem Anschließen wird durch die Sinnhorizonte beider Personen bestimmt, die für den jeweils anderen jedoch unzugänglich bleiben. Das ist das interessante an diesem Wechselspiel: durch die unterschiedlichen Sinnhorizonte wird ein Gespräch oder ein Tennisspiel nie durch eine Person determiniert werden können, da es immer der Zufälligkeit der jeweils anderen Person unterworfen ist. Dieses Einlassen auf eine wechselseitige Zufälligkeit nennt man doppelte Kontingenz.

Kommunikation

Information existiert nur im Bewusstsein der jeweiligen Person. Wie ausgeführt wurde, ist Information eine Ansammlung von Möglichkeiten oder umgekehrt ausgedrückt eine Ansammlung von Selektionen. Wenn Information entsteht, dann ist sie ein Angebot zur Selektion. „Du Idiot!“, schränkt z.B. den Sinnhorizont der anderen Person mit großer Wahrscheinlichkeit ein. Die Information im jeweiligen Bewusstsein ist also ein Ereignis, welches den aktuellen Sinnhorizont verändert.
Wenn eine Information doppelt auftritt, so ist sie so viel wert wie eine einzige Information.
Wenn also jemand feststellt, dass Ostereier bunt sind, dann ist dies eine Selektion, die den Sinnhorizont einschränkt. Es wäre dann ziemlich müßig, Gedanken an weiße Eier zu verschwenden. Wenn nun eine Person ihm diese Erkenntnis ein zweites Mal mitteilt, dann ist die Information keine mehr, da sie den Sinnhorizont nicht mehr ändert.

Will eine Person eine Information einer anderen Person mitteilen, dann muss sie diese Information in eine Mitteilung umformen, in der Hoffnung, dass die andere Person diese wieder in Information verwandeln kann. Dieser Prozess der Umformung ist wieder eine Selektion im Kontext der möglichen Mitteilungen. Natürlich wird dazu die äußerst praktische Errungenschaft Sprache verwendet. Entscheidend ist, dass diese Mitteilung aus der Sicht des Mitteilenden erzeugt wird, so dass dieser nur hoffen kann, dass der Empfänger damit etwas anfangen kann. Die Sprache liefert hier die Illusion, dass sie die Information darstellt.
Vor allem der Mitteilende ist ja der Überzeugung, dass er genau das richtige sagt, da die Mitteilung in seinem Sinnhorizont entstanden ist.
Ob aber dann beim Zuhörer die gleiche Information daraus wird und ob diese kompatibel mit seinem individuellen Sinnhorizont ist, lässt sich erstens schlecht nachprüfen und ist zweitens auch sehr unwahrscheinlich.

Einem Beobachter ist natürlich nur das Verhalten zugänglich. Er sieht das Verhalten von zwei Personen und schließt auf Kommunikation. Diese ist aber mehr als nur Verhalten. Die Umwandlung der Information in eine Mitteilung und die Interpretation dieser in der zweiten Person gehören auch zur Kommunikation. Beide Personen müssen sich darüber im klaren sein, dass es eine Differenz von Information und Mitteilung gibt.

Die zu übermittelnde Information ist ja selbst eine Selektion. Diese Selektion wird mit Hilfe einer weiteren Selektion in eine Mitteilung verwandelt. Der dritte Schritt ist dann die Erwartung einer Annahmeselektion. Dieser letzte Schritt liegt nun beim Zuhörer. Er kann nun ganz im Sinne der Kontingenz die angebotene Information annehmen oder ablehnen. Diese drei Selektionen ergeben zusammen Kommunikation.

Nicht mehr direkt der Kommunikation zugehörig aber trotzdem wichtig ist das Verständnis. Die Information mag nun beim Adressaten angekommen sein, aber dieser kann diese Information nur richtig in sein Sinnsystem einordnen, wenn er berücksichtigt, dass diese Information aus einem fremden Sinnsystem stammt. Erst das Hineinversetzen in das andere System ermöglicht den richtigen Gebrauch der Information.
Ganz richtig wird es nie sein, aber es muss zumindest der Versuch gestartet werden. Der Adressat wird niemals in das fremde System hineinschauen können, aber er kann sich ein Modell des Sinns dieses Systems machen [LUHMANN 1994, S.110,].
Derjenige, der eine Information auf die Reise schickt, wird erst im Laufe der Kommunikation erfahren, ob sie überhaupt richtig verstanden worden ist. Das Problem ist dabei, dass die Rückmeldung über das Verständnis nur eine Mitteilung ist, die erst wieder zur Information im Bewusstsein wird. Die Information über das Verständnis der verschickten Information kann aber auch falsch verstanden werden. Man sieht, dass der Prozess des Verstehens ein mühseliger ist, der aber immer so ablaufen muss.

„Verfügt das System, von dem wir ausgehen, über die Fähigkeit zu verstehen, kann es Systeme in seiner Umwelt aus deren Umwelt begreifen.“ [LUHMANN 1994, S.256,].

Kommunikation funktioniert also nur, wenn alle im Kommunikationssystem die Differenz von Mitteilung und Information berücksichtigen. Informationen existieren nur als Ereignisse im Bewusstsein der jeweiligen Person. Das Bewusstsein kann mit einem anderen Bewusstsein nur mit Hilfe der Mitteilung kommunizieren.
Das Problem dabei ist, dass die Mitteilung im Sinnhorizont des Mitteilenden entsteht, so dass nur dieser weiß, was er damit gemeint hat. Der Zuhörer kann höchstens der Illusion unterliegen, dass er in der Mitteilung den gleichen Sinn sieht.
In Wirklichkeit kann er sich nur dem eigentlichen nähern. Diese Illusion wird noch durch den Gebrauch von Sprache verstärkt, da diese die Mitteilungen standardisiert – aber natürlich nicht die einzelnen Bewusstseine. Gerade diese Illusion hat vielleicht den Begriff der Aufrichtigkeit entstehen lassen. Doch Aufrichtigkeit wird gerade in dem Moment untergraben, in dem man sie mitteilen möchte. Die Mitteilung der Aufrichtigkeit kann falsch verstanden werden. Es gibt keine Möglichkeit, jemandem zu sagen, was man wirklich meint.

„Man kann gleichwohl nicht sagen, dass man meint, was man sagt. Man kann es zwar sprachlich ausführen, aber die Beteuerung erweckt Zweifel, wirkt also gegen die Absicht. Außerdem müsste man dabei voraussetzen, dass man auch sagen könnte, dass man nicht meint, was man sagt. Wenn man aber dies sagt, kann der Partner nicht wissen, was man meint, wenn man sagt, dass man nicht meint, was man sagt.“ [LUHMANN 1994, S.208,].

Elemente und Struktur

Die Elemente der sozialen Systeme sind Kommunikationen. Die Struktur ist somit ein Verweisungszusammenhang zwischen den Kommunikationen. Beobachtbar ist aber nicht die Kommunikation, sondern nur die Handlung, die Teil der Kommunikation ist. Die Struktur wird hier, wie auch bei den psychischen Systemen, durch Sinn erzeugt.
Sinn legt fest, welche Kommunikation der aktuellen folgt, welche anschlussfähig ist. Der Sinnhorizont ist aber nicht in den Personen repräsentiert, sondern liegt zwischen diesen. Jemand sagt einen Satz, der seinem (psychischen) Sinnhorizont entspringt. Die Antwort einer anderen Person stammt aus deren psychischem Sinnzusammenhang und ist deshalb durch die erste Person gar nicht genau kontrollierbar.
Die Entwicklung einer Diskussion oder auch eines Gespräches ist das Produkt aller beteiligten psychischen Systeme. Deswegen entsteht durch das wechselseitige Sprechen etwas völlig Neues. Der Sinn wird durch das ganze Kommunikationssystem gebildet, also durch alle beteiligten Personen. Die Grenzen liegen einfach da, wo Kommunikation nicht mehr anschlussfähig ist. Man sagt etwas, aber es gibt keine Antwort.

Interpenetration

Das Kommunikationssystem arbeitet mit Kommunikationen oder aus der Beobachterperspektive mit Handlungen. Auf Grund der Geschlossenheit der psychischen Systeme nimmt Kommunikation einen Weg, der durch die Gemeinschaft aller Personen bestimmt wird. Jede Person will dem Zufall aller anderen Personen entgegenwirken – aber das wollen alle anderen Personen auch!

Das Bewusstsein arbeitet mit Vorstellungen. Vorstellungen folgen Vorstellungen. Diese sind aber keine Sprache im Sinne eines akustischen Lautes. Denken ist nicht inneres Sprechen. Dies würde bedeuten, dass man die Information im Kopf in eine Mitteilung verwandeln würde, um sie sofort wieder in eine Information zurückzuverwandeln.
Das Bewusstsein kann mit Informationen direkt operieren, da die Informationen für den eigenen Sinn bestimmt sind. Mitteilungen müssen nur dann entstehen, wenn die Information für einen anderen Sinnzusammenhang bestimmt ist – also für ein anderes autopoietisches System.
Wie man sieht, sind Vorstellungen und Kommunikationen nicht identisch. Trotzdem benötigen sich die beiden Systeme wechselseitig. Wir haben es wieder mit Interpenetration zu tun. Für das Kommunikationssystem ist das psychische System Umwelt und umgekehrt.

Funktionale Differenzierung

Innerhalb des Kommunikationssystems gibt es die Tendenz zur Ausbildung von Subsystemen. Für diese Systeme ist dann das restliche Kommunikationssystem Umwelt. Dies bedeutet aber nicht, dass nun eine Person nur einem System angehört, sondern es können natürlich Überschneidungen existieren. So kann jemand einerseits einen Beruf ausüben, der ein geschlossenes System darstellt und andererseits dem Kommunikationssystem ‚Familie‘ angehören.

Unsere Gesellschaft tendiert im großen und ganzen zu immer kleineren Subsystemen, die wiederum Subsubsysteme besitzen. Besonders auffällig ist dieser Prozess im Berufsleben, wo es praktisch nur noch ‚Fachidioten‘ gibt.
Ein Jurist wird sich hervorragend stundenlang mit einem Kollegen unterhalten können. Mit einem Mathematiker wird er wahrscheinlich nur einen gemeinsamen Sinnhorizont beim Wetter finden. Ein Mathematiker wird aber von anderen Mathematikern nicht als solcher angesehen, sondern als Numeriker, Algebraiker oder Informatiker.
Das Subsystem bildet weitere Subsysteme aus, um Komplexität zu reduzieren. Die Komplexität wird dadurch im Subsystem verringert, da das Subsubsystem nun Umwelt ist und die spezifischen Probleme dieses Systems nicht mehr interessieren oder vielleicht gar nicht mehr sichtbar sind.

Auch im Freizeitsektor gibt es einen Trend zur funktionalen Differenzierung. Die Spezialmagazine – sei es das Frauenmagazin für die Frau bis 25, ledig aber ohne Öko-Bewusstsein oder das Männermagazin für den Karrierertyp ab 30 bis 31 1/2 – boomen am Kiosk.

Das Kommunikationssystem ‚Party‘ steht nun vor dem Dilemma, dass sich dort unter Umständen Personen völlig verschiedener Subsysteme unterhalten müssen. Diese Gefährdung der Anschlussfähigkeit wird natürlich elegant gelöst: die Gäste bilden einfach das Subsystem ‚Party‘!

Aus der Sicht des Beobachters (auch des Selbstbeobachtenden) wird die Grenze von Umwelt und System durch Handlungen hergestellt. Jedes Subsystem wird als Handlungssystem gesehen, welches für die beteiligten Personen Anschlussfähigkeit gewährleistet. Auch Personen ausserhalb des Systems können eventuell an Handlungen anschließen. Wenn dann eine Handlungskette irgendwann wieder im System landet, dann ist der oben beschriebene Umweltkontakt durch Selbstkontakt vollzogen [LUHMANN 1994, S.248,].

Kommunikationssysteme stellen die Differenz von Umwelt und System durch Selbstbeobachtung her. Vielleicht hat der heutige Kult der Individualität erst den Blick auf das einzelne autopoietische Lebewesen gestärkt. Historisch sieht Luhmann eine kontinuierliche Entwicklung zur Individualität hin.
Am Anfang stand der Heroismus, der aber wenig zur individuellen Selbstverwirklichung geeignet war. Es gab das gemeine Volk, welches sich wohl auch so verstand. Heutzutage präsentiert sich der einzelne Mensch als individueller Kosmos, der sich als autopoietisches System so wertvoll fühlt wie sich vor ihm nur ganze Volksgruppen gefühlt haben [LUHMANN 1994, S.361,].

Input/Output

Das Kommunikationssystem definiert seine Grenzen über Sinn. Im Rahmen der Selbstbeschreibung des Systems werden diese Grenzen durch die Handlungen abgesteckt, die aus der Sicht des Systems Sinn ergeben. Das System selber ist aber nicht statisch; es kann jederzeit seine Grenzen verändern und so neue Sinnkontexte integrieren oder auch ausgrenzen. Die Zeit setzt hier also eine Richtung, welche Ergebnisse anpeilt.
Sehr plastisch erscheint diese Form der Selbstbeschreibung und Grenzziehung in den sogenannten Zeitgeistmagazinen, die monatlich ihre ‚in‘- und ‚out‘-Hitlisten verbreiten, wobei auch die Themen unter ‚out‘ solange noch einen Sinn für das System ergeben, solange sie kommunikativ bekämpft werden – doch dann ist Schluss.

Über diese Grenzen hinweg passiert über den Umweg Umwelt natürlich auch Kommunikation. Personen oder Subsysteme können im Rahmen der Selbstbeschreibung des Systems nun nicht nur als Grenzposten zur Umwelt (und auch zu anderen Systemen) sondern auch als Input- oder Output-Stellen gesehen werden. Z.B. Parteien haben dieses Prinzip durch die Einstellung spezialisierter Referenten bis zur Perfektion getrieben.
Auch die Schokoriegelfabrik hat ihre Werbeabteilung an der Grenze zur Umwelt, um diese mit raffinierten Methoden in die ‚richtige‘ Richtung zu bewegen. Ob die Gehirnwäsche der Umwelt Erfolg gehabt hat, zeigt sich dann erst wieder im System, wenn die Produktionszahlen erhöht werden, wenn die Händler beim Input (den Kaufleuten) mehr Schokoriegel anfordern.

Luhmann gibt noch ein anderes Beispiel von Input/Output, welches nicht so offensichtlich ist und welches auch Probleme aufzeigt: das Erziehungssystem. Das Erziehungssystem hat sich Aufgabe gemacht, Sozialisation zeitlich zu beschleunigen [LUHMANN 1994, S.280,].
Zunächst testet das System die zu sozialisierenden Personen (gemeinhin bekannt als Schüler), um die Ausgangslage festzustellen. Dann wird mit Hilfe von intensiver Kommunikation versucht, den Endzustand herzustellen.
Dabei stellt sich das Problem, dass die Schüler entweder Umwelt des Erziehungssystems bleiben, dann ist der Zugang aus der Sicht des Systems unmöglich, da verschiedene Sinnhorizonte existieren. Oder der Schüler sozialisiert sich im Erziehungssystem, so dass nun ein gemeinsamer Sinnhorizont existiert:

„Das Handeln tritt mit seinen Absichten, seinen Idealen, seinen Rollenzwängen, ins System ein und wird im System erlebt und beurteilt. Es wird sozusagen mit den Schlingen der Selbstreferenz wieder eingefangen und gibt dem, der erzogen werden soll, die Freiheit, auf diese Absicht als solche zu reagieren – ihr aus bloßem Opportunismus zu folgen oder sich ihr soweit möglich zu entziehen.“ [LUHMANN 1994, S.282,].

Medien

Medien werden in der Systemtheorie anders definiert als in der Alltagssprache. Da es keinen Transport von A nach B gibt, sondern nur doppelte Kontingenz und die Differenz Information/Mitteilung, muss der Medienbegriff umdefiniert werden.

Das Medium reduziert die drei Unwahrscheinlichkeiten der Kommunikation, da wären:

Missverstehen

Wäre Kommunikation nur durch Körpersprache möglich, so wäre das Erzeugen von einermaßen eindeutigen Mitteilungen sehr schwierig. Oder das Repertoire der Mitteilungen (und damit der Sinnhorizont) müsste drastisch eingeschränkt werden.
So ist es z.B. für Gehörlose wesentlich schwieriger, sich auf ein hohes intellektuelles Niveau zu bringen. Blinden Menschen fällt dies aber wesentlich leichter. Dies deutet darauf hin, dass Sprache in der Lage ist, das Missverstehen wesentlich zu reduzieren und den jeweiligen Sinnhorizont ins Unermessliche wachsen zu lassen. Sie erlaubt Kommunikation nicht nur über die unmittelbare Umgebung, sondern kann den Sinnhorizont von der konkreten Situation völlig loslösen. So unterhält man sich zwanglos über den nächsten Urlaub oder über die Fete am letzten Wochenende.

Sprache zeichnet sich durch sogenannten Zeichengebrauch aus. Durch den wechselseitigen Gebrauch dieser Zeichen kommt dann Kommunikation zustande. Das verführt leicht zu der Illusion, dass Mitteilung (aus Zeichen bestehend) und Information identisch sind, da alle Personen das gleiche Zeichenrepertoire verwenden. Zumindest entsteht der Eindruck, dass eine Information immer das gleiche Zeichen erzeugt und umgekehrt, es also eine eindeutige Zuordnung gibt.
Es gibt Bereiche der Psychologie, die diesem Irrtum unterliegen und den Informationsgehalt von Sätzen messen, indem sie die Wahrscheinlichkeit für jedes Wort in einem Text bestimmen und dann die Information mit der bei Information eingeführten Formel berechnen. Der Zahlenwert stellt zwar eine Information dar, sie ist aber weder mit derjenigen des Sprechers noch mit derjenigen des Zuhörers identisch.

Zusätzlich hat Sprache den Vorteil, nur als Mitteilung und damit als Information verstanden zu werden. In seltenen Fällen ist sie nur ‚Geräusch‘ (z.B. Berieselung durch Radio oder „Viva“).
Körpersprache ist hingegen nicht unbedingt als Mitteilung zu identifizieren oder sie ist nicht eindeutig genug. So kann ein Lächeln entweder Schadenfreude, Emphathie oder eben gar nichts bedeuten.

Betrachtet man die Grenze psychisches System / Kommunikationssystem, so hat die Sprache die Aufgabe, dem psychischen System die Komplexität des Kommunikationsystems zur Verfügung zu stellen. Sprache ist in der Lage, die Vorstellungen zu strukturieren, wobei aber die Vorstellungen selber kein ‚inneres Reden‘ sind.

Reichweite

Bekannt ist, dass gesprochene Sprache rein physikalisch nur eine beschränkte Reichweite hat, sowohl was die Entfernung als auch die Hörerzahl angeht. Wer seine Texte weiter als zehn Meter verbreiten möchte, muss sich einer effektiven Technik bedienen. Seit Gutenberg wurden immer ausgefeiltere Techniken entwicklet, die die Reichweite drastisch erhöhten. Bücher waren wohl die ersten dieser sehr effektiven Medien, sehr viel später gefolgt von den ‚elektronischen Medien‘. Während vor allem am Anfang der elektronischen Entwicklung die drahtlose Funkverbindung vorherrschend war, so entwickelt sich immer mehr das Kabel zu dem Massenmedium.
Jedes dieser Medien hat die Kommunikationskultur entscheidend geprägt, da nur bestimmte Themen für den Massenmarkt zu gebrauchen waren und sind. Jedes Medium hat seine technischen Möglichkeiten, die den Inhalt entscheidend mitprägen.
So stand beim Buch früher der Text im Vordergrund, da dieser einfach zu setzen war. Bilder konnten erst Anfang dieses Jahrhunderts effektiv eingesetzt werden, als chemische und optische Verfahren entwickelt wurden. Auch der Film wurde ganz offensichtlich durch das technisch Machbare geprägt, drastisch zu sehen bei der Entwicklung des Science-fiction.

Ablehnung

Trotz aller technischen Raffinessen und dem Medium der Sprache hat der Rezipient immer noch die Freiheit, die Information, die frisch in seinem Bewusstsein entstanden ist, abzulehnen. Oder genauso schlimm: er ordnet sie einfach absichtlich anders in seinen Sinnhorizont ein (man denke hier an das zu 50 Prozent gefüllte Glas, welches halb voll oder halb leer sein kann).
Hier greifen nun die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Diese verwenden die Einheit von Selektion und Motivation. Oder anders ausgedrückt: wenn die Person die Information annimmt, dann wird sie in irgendeiner Weise belohnt.
Dies muss man sehr allgemein sehen, da es ja schließlich darum geht, dass die Autopoiesis des Systems zu jedem Zeitpunkt weiterbestehen kann. Wenn also durch die Annahme einer Information die Anschlussfähigkeit der Kommunikation gesichert wird, so ist das eine Belohnung.
Diese Medien können sehr subtile Formen annehmen. Das kleine Wörtchen „ist“ kann auch in diesem Sinne eingesetzt werden. Wenn jemand sagt: „Das ist so und nicht anders.“, dann wird es seitens des Hörers wahrscheinlich kaum Widerspruch geben, da der Mitteilende ein Faktum genannt hat – und Fakten sind in unserer Zeit heilig. Luhmann nennt folgende Beispiele:
Wahrheit, Liebe, Eigentum/Geld, Macht/Recht; in Ansätzen religiöser Glaube, Kunst und heute vielleicht zivisilatorisch standardisierte „Grundwerte“ [LUHMANN 1994, S.222,].

Interessant bei dieser Aufzählung sind die Begriffe ‚Wahrheit‘ und ‚Liebe‘. Beide implizieren schon die Belohnung und motivieren zur Annahme, oder anders ausgedrückt: sie sind positiv besetzt.
Unter den Grundwerten versteht er hier zum Beispiel umweltgerechtes Verhalten. Wenn jemand zu einem dosenbiertrinkenden Rezipienten sagt, dass das aber umweltschädlich sei, dann wird er garantiert eine Reaktion erhalten – entweder so oder so.

Binärer Code

Ein binärer Code ist eine zweiseitige Form, wobei die andere Seite durch das Wörtchen ’nicht‘ erreicht wird. Unsere Sprache ist voll von diesen Formen, ja man gewinnt die Illusion, dass es zu jedem Wort das Negativ gibt. Der Computer ist das Symbol der Zweiwertigkeit schlechthin, indem er nur noch so „denken“ kann.
Subsysteme der Gesellschaft verwenden im Rahmen ihrer Grenzziehung und Selbstbeschreibung diese Formen, um möglichst einfach in solchen arbeiten zu können. So erreicht das System ‚Wirtschaft‘ mit der Differenz bezahlbar/nicht bezahlbar eine einfache, aber sehr leistungsfähige Leitdifferenz.
Hier sieht man auch sehr gut, dass die Grenzziehung sehr einfach vollzogen werden kann. Wenn Kommunikation mit dieser Differenz möglich ist, so befindet man sich im System, wenn dies nicht möglich ist, befindet man sich an der Grenze zur Umwelt. Die Umwelt selbst zeichnet sich durch die Sinnlosigkeit im wahrsten Sinne aus, indem sie diese Differenz nicht verstehen kann.

© Bernd Porr / (Originalartikel auf seiner Homepage)


gewaltfreie kommunikationZur weiteren Vertiefung des Themas empfehle ich euch auch diese Wikipedia-Lektüre:

– Zwischenmenschliche Kommunikation

– Nonverbale Kommunikation

– sowie den Beitrag Kommunikationsformen aus der „Coaching-Kiste“

wf

Ein Gedanke zu „Kommunikationsprobleme in sozialen Systemen“

  1. Sehr schöner Ein- und Überblick. Ich hätte wahrscheinlich einige Formulierung anders gewählt z.B. „das Kommunikationssystem liegt dazwischen“ empfinde ich als zu salopp. Aber Kommunikation ist ja eh unwahrscheinlich und wir müssen uns wohl oder übel mit einer gewissen Unschärfe begnügen ;)

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