Zum Inhalt springen
Startseite » Spekulatives zum „Bewusstsein“

Spekulatives zum „Bewusstsein“

gehirn

sowie ein Gespräch mit David Chalmers in „Sternstunde Philosophie“ und ein wenig Theorie-Futter

Wenn der Mensch etwas nicht so richtig versteht, bedient er sich ganz gern einer anschaulichen Metapher, manchmal auch eines Märchens, um einen Sachverhalt vorstellungskompatibel zu machen, zumal ja bekanntlich Begriffe ohne Anschauung leer sind. So ist das auch, wenn wir von einem „hellen Kopf“ sprechen und damit jemand meinen, der Zusammenhänge schnell durchschaut, sinnvolle Schlüsse ziehen und sein erworbenes Wissen adäquat für Problemlösungen einsetzen kann – kurz: er besitze einen hohen Grad an Bewusstheit, an „geistigem Licht“ also.

hirn

Geht da was beim Human Brain Project?

Wer auch immer zuerst den Ausdruck des „hellen Kopfs“ geprägt hat, ahnte vielleicht nicht, wie gut er damit die Problemstellung des „Bewusstsein-Habens“ in der Philosophie des Geistes metaphorisierte, denn wie das Licht der Glühbirne die Bewegung der Elektronen in einer Leitung voraussetzt, so benötigt das Aufleuchten des Bewusstseins, das ein Problem zu erhellen versucht (oder sich selbst – was durchaus auch problematisch sein kann), anscheinend die elektro-chemische Aktivität von Neuronen in unseren ‚Gehirn-Drähten‘, unserer biologischen ‚Hardware‘.
Also: Es muss eine (quantenphysikalische) Transformation stattfinden, im ersten Fall von der elektromagnetischen Bewegungsenergie im engen Draht in die raumdurchflutenden Lichtphotonen und im anderen Fall von elektro-chemischen Reaktionen jener Abermilliarden winziger Synapsen in weltumspannenden Geist (aber ja doch, lieber Markus Gabriel). Und klar, wie eine Glühlampe leuchtet unser Bewusstsein (auch nach innen) mal mehr, mal weniger stark, je nach ‚Energiezufuhr‘. Und wenn die Energiezufuhr anhält, leuchtet es wie die Lampe auch kontinuierlich, es gibt einen „Strom des Bewusstseins“ (William James).
Oder ist diese hübsche Analogie Quark und es verhält sich ganz anders? Vielleicht speist sich unser Bewusstsein aus ‚alternativen Energien‘, etwa aus einer Art überindividuellem Pool, aus der platonischen Ideenwelt, einem Weltgeist á la Hegel oder gar einem ewigen „Quantengedächtnis“, wie manche Esoteriker behaupten? Setzt unser subjektives Erleben die Teilhabe an einem transzendentalen Bewusstsein a priori voraus, wie Meister Kant sich das dachte?

In unserem anthropozentrischen Wahn haben wir ja lange vermutet, dass ein reflektierendes Ich-Bewusstsein eine Exklusivität von Homo Sapiens sei (auch wenn’s bei manchen Exemplaren unserer Spezies kaum wahrnehmbar ist). Doch nach und nach wird immer klarer, dass sich auch andere Tiere, wie etwa Menschenaffen, Schweine, Elefanten, Delfine und einige Rabenvögel (!) im Spiegel erkennen und Reflexionsfähigkeit voraussetzende Problemlösungsaufgaben bewältigen können. Und an die Vorstellung eines „kollektiven Bewusstseins“ etwa bei staatenbildenden Insekten (der Schwarm als Subjekt), das durch (ha!) elektro-chemische Prozesse gesteuert wird, traun wir uns auch nur ganz langsam heran, weil wir in letzter Konsequenz wohl unsere liebgewonnene Subjekt-Objekt-Dualität verabschieden müssten…
Allerdings scheinen unsere naturwissenschaftlichen Methoden ohnehin zu begrenzt, um Genaueres über menschliches und tierisches Qualia-Erleben herauszufinden, etwa „wie es sich für eine Fledermaus anfühlt, wenn sie Echolot-Wahrnehmungen hat.“ (Thomas Nagel)

Nun ist es kein Zufall, dass ich das Thema Bewusstsein gerade jetzt wieder mal in diese Notizblätter stelle, denn es gehört nicht nur zu den Dauerbrennern im philosophischen Diskurs, sondern schwappt wellenartig öfter mal hoch wie in den letzten Wochen, als in einigen Medien Artikel dazu erschienen. Etwa (um nur zwei herauszugreifen) ein Artikel zur Bewusstseinsforschung in der „Süddeutschen“ und ein Themendossier Bewusstsein im Schweizer Magazin Philosophie.ch, das sich löblicherweise der philosophischen Volksaufklärung verschrieben hat. Auf diese Beiträge hatte ich schon auf FB hingewiesen, wollte sie aber nicht ganz unkommentiert stehen lassen ;-)

Natürlich hatten wir das Thema auch hier schon öfter auf’m Tableau (z.B. hier), weil es einerseits zu den spekulativsten und „rätselhaftesten Charakteristika des Universums“ gehört und andererseits unser Bewusstsein „der wichtigste Aspekt unseres Lebens ist; denn schließlich ist es eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir Dingen in unserem Leben Bedeutung beimessen können. Wenn es aber ohne das Bewusstsein überhaupt nichts Wichtiges für uns geben würde, kann nichts wichtiger sein als das Bewusstsein selbst.“ (John Searle). Und auch wenn bei manchen Lesern hier gleich ein Abwehr-Affekt hochsteigt, würd ich doch Thomas Metzinger zustimmen, wenn er meint: „Das Problem des Bewusstseins bildet heute „“ vielleicht zusammen mit der Frage nach der Entstehung unseres Universums „“ die äußerste Grenze des menschlichen Strebens nach Erkenntnis.“

Nun wäre ein all about zu diesem Groß-Thema  hier erfüllen zu wollen natürlich ein maßloser Anspruch, aber zumindest eine begriffliche Grundlage für Spekulationen über „Bewusstsein“ möcht ich euch anbieten. Dazu hab ich mich für die Übernahme der Klassifikation von sieben verschiedenen möglichen Positionen in der Philosophie des Geistes entschieden, die der australische Philosoph David Chalmers in seinem 2002 erschienenen Artikel Consciousness and its Place in Nature vorgeschlagen hat. Als unterscheidendes Merkmal insbesondere der materialistischen Positionen wählt er dabei die Art der Antwort auf das „schwierige Problem des Bewusstseins“.

Vorangestellt ein Gespräch von Barbara Bleisch mit David Chalmers über unser Gehirn und Bewusstsein in „Sternstunde Philosophie“:

 

Da verlinkte Artikel laut meiner Klickstatistik-Erfahrung nur von wenigen Leserinnen verfolgt werden, gibts Chalmers Klassifikation als direkte Übernahme aus der deutschen Wikipedia:

 

Klassifikation der Positionen in der Philosophie des Geistes

 

Typ-A Materialismus

Der Typ-A Materialist behauptet, es gebe zwischen phänomenalen und physikalischen Tatsachen keine Kluft. In seiner radikalen Ausprägung bestreitet er das Vorhandensein von Bewusstsein gänzlich und tendiert zu einer vollständig funktionalistischen oder behavioristischen Interpretation des Bewusstseinsbegriffs. In weniger radikalen Ausprägungen gesteht er eine geringe epistemische (auf das Wissen bezogene) Kluft zu, behauptet aber, diese sei leicht zu schließen. Chalmers argumentiert gegen den Typ-A Materialismus, dass dieser das Offensichtliche leugne. Er analysiert die Argumente, die der Typ-A Materialist vorbringt, um hierzu berechtigt zu sein. Er kommt zu dem Schluss, dass keines dieser Argumente dazu berechtigt, die Existenz phänomenaler Tatsachen gänzlich zu bestreiten: „Diese Behauptung wird nicht durch Argumente gestützt, sondern durch Beobachtungen einer bestimmten Art zusammen mit der Widerlegung von Gegenargumenten.“ Chalmers lehnt daher den Typ-A Materialismus ab.

Typ-B Materialismus

Der Typ-B Materialismus gesteht eine epistemische Kluft zwischen dem Physischen und dem Phänomenalen zu, bestreitet aber, dass man daraus auf eine metaphysische Kluft schließen darf. Mit dieser Position wird den epistemologischen Schwierigkeiten Rechnung getragen, ohne eine materialistische Position verlassen zu müssen. Chalmers zeigt zunächst, dass die von Typ-B Materialisten vorgebrachten Analogien zu anderen wissenschaftlichen Fortschritten nicht stichhaltig sind, so etwa die Identität von Wasser und H2O oder von Genen und DNS. Deren Identität wurde letztlich auf empirischem Wege geschlossen, was gemäß Chalmers jedoch für das schwierige Problem des Bewusstseins nicht möglich ist. Er zeigt, dass alle angeführten Analogien eine rein empirische Kluft aufweisen, nicht jedoch eine epistemische Kluft. Somit besteht kein Grund zu der Annahme, dass unser Wissensfortschritt diese Kluft eines Tages schließen wird. Der Typ-B Materialist kann auf dieses Argument reagieren, indem er die epistemische Kluft zu einem fundamentalen Prinzip der Natur erhebt. Chalmers lässt dies jedoch nicht gelten und argumentiert dabei wie folgt: Fundamentale Prinzipien, wie sie etwa in der Physik postuliert werden (z. B. die Gravitation), betreffen durchweg die Beziehung zwischen unterschiedlichen Entitäten oder Eigenschaften. Stattdessen versucht der Typ-B Materialist die Identität von Physischem und Phänomenalem in den Rang eines fundamentalen Prinzips zu erheben, ein Vorgehen für das es laut Chalmers kein weiteres unabhängiges Beispiel gibt. Die von Chalmers vorgetragene weitere Analyse des Typ-B Materialismus ist komplex und führt schließlich zur Ablehnung dieser Position.

Typ-C Materialismus

Der Typ-C Materialist gesteht ebenfalls eine epistemische Kluft zu, behauptet aber, diese Kluft sei für uns entweder heute oder auch für alle Zukunft auf Grund unserer kognitiven Beschränkungen nicht zu schließen. Phänomenale Wahrheiten könnten zwar grundsätzlich aus physikalischen Wahrheiten abgeleitet werden, gegenwärtig oder auf Grund fundamentaler Beschränkungen seien wir hierzu jedoch nicht in der Lage. Chalmers zeigt zunächst, dass der Typ-C Materialismus oftmals als Variante des Typ-A Materialismus auftritt, indem er letztlich die Existenz des phänomenalen Bewusstseins lediglich bestreitet, ohne dafür gute Argumente zu liefern. Der Position, eines Tages lasse sich Bewusstsein auf physische Prinzipien zurückführen, tritt Chalmers wie folgt entgegen: Physische Beschreibungen seien immer Beschreibungen von Struktur und Dynamik. Aus solchen Beschreibungen seien immer nur andere Beschreibungen von Struktur und Dynamik ableitbar. Phänomenales Bewusstsein habe jedoch nichts mit Eigenschaften wie Größe, Form, Position und Bewegung zu tun, somit auch nichts mit Struktur und Dynamik. Welche Fortschritte auch immer hinsichtlich unserer Kenntnisse über das Physische errungen werden, diese können mithin das Bewusstsein nicht erklären, es sei denn, sie beziehen Bewusstsein in ihre Erklärungen ein. Dies geschieht z. T. bereits durch einige Autoren der Quantentheorie. Damit verlassen diese Autoren jedoch den Boden des Materialismus und vertreten letztlich einen Typ-D Dualismus oder einen Typ-F Monismus. Der Typ-C Materialismus wird somit von Chalmers ebenfalls abgelehnt.

Typ-Q Materialismus

Chalmers beschreibt eine weitere Form des Materialismus, die insbesondere von Anhängern des Philosophen Willard Van Orman Quine vertreten wird (daher „Typ-Q“). Diese Position würde die Unterscheidung der oben getroffenen materialistischen Positionen ablehnen, da sie etwa auch die Unterscheidung zwischen begrifflicher und empirischer Wahrheit ablehnt. Chalmers legt dar, dass auch diese Position letztlich eine Antwort auf das schwierige Problem des Bewusstseins geben muss, die sich als ein Materialismus der Typen A bis C entpuppt. Chalmers stellt abschließend zur Behandlung der materialistischen Positionen fest, dass er keine weitere Alternative sieht, um den Materialismus zu verteidigen. Da alle beschriebenen Positionen für ihn nicht haltbar sind, muss demgemäß nach Chalmers der Materialismus falsch sein. In der Folge behandelt Chalmers mögliche Alternativen zum Materialismus.

Typ-D Dualismus

Der Typ-D Dualismus geht davon aus, dass der (mikro)physische Bereich nicht kausal geschlossen ist. Das Phänomenale ist umgekehrt gegenüber der physikalischen Welt kausal wirksam. Die bekannteste Variante des Typ-D Dualismus ist ein Substanzdualismus, wie ihn Descartes vertreten hat (daher auch „Typ-D“). Auch Formen des Eigenschaftsdualismus können unter den Typ-D fallen, insofern die phänomenalen Eigenschaften als kausal wirksam betrachtet werden. Chalmers geht in der Folge auf die Standard-Einwände gegen den Dualismus ein. Eines dieser Argumente kritisiert, dass sich eine Interaktion zwischen den beiden postulierten Substanzen nicht nachweisen lasse. Chalmers wendet dagegen ein, dass die Physik einen solchen Nachweis auch für andere fundamentale Interaktionen nicht erbringt. So behaupte beispielsweise die Newtonsche Physik, dass eine kausale Interaktion in Form von Gravitation bestehe, erkläre jedoch nicht weiter, wie Gravitation wirke „“ die Wirkung wird einfach angenommen. Ein weiteres Standardargument gegen den Dualismus besteht in der kausalen Geschlossenheit des Physikalischen. Der Dualismus stehe hierzu im Widerspruch und somit auch im Widerspruch zur Wissenschaft. Chalmers begegnet diesem Argument auf verschiedene Weise. Zunächst stellt er fest, dass die Physik durchaus Spielraum für die Annahme weiterer basaler Grundkräfte lasse, von denen aktuell vier angenommen werden. Im Anschluss argumentiert er, dass insbesondere die nicht-deterministischen Aspekte der Quantenphysik Raum für eine interaktionistische Interpretation lassen. Er beschließt die Diskussion mit der Feststellung: „Zusammenfassend kann man sagen, dass der Standardeinwand gegen den Interaktionismus nur wenig Durchschlagskraft besitzt, der Interaktionismus ist zumindest eine Möglichkeit, die es weiter zu erforschen lohnt.“

Typ-E Dualismus

Der Typ-E Dualismus sieht das Physische und das Phänomenale als metaphysisch verschieden an, betrachtet dabei jedoch im Gegensatz zum Typ-D Dualismus das Phänomenale als kausal wirkungslos. Es handelt sich bei dieser Position somit um den sogenannten Epiphänomenalismus (daher auch „Typ-E“). Der Typ-E Dualismus entgeht dem Standard-Gegenargument zum Dualismus, indem er die kausale Geschlossenheit des Physischen anerkennt. Dies geschieht unter Preisgabe der mentalen Verursachung und somit um den Preis der Intuition, dass unsere phänomenalen Wahrnehmungen (z. B. die Wahrnehmung einer roten Ampel) Ursache für unsere Handlungen (Bremsen des Fahrzeugs) sind. Chalmers führt gegen diese Intuition u. a. David Hume ins Feld, der gezeigt hat, dass der Anschein der Kausalität durch die bloße Aufeinanderfolge von Ereignissen entstehen und somit die Intuition ggf. falsch sein kann. Ein komplexeres Argument gegen den Epiphänomenalismus betrachtet die Beziehung zwischen Bewusstsein und seinen Repräsentationen, wie sie etwa in der Aussage „Ich habe Bewusstsein“ zum Ausdruck kommt. Diese Aussage kann gemäß dem Epiphänomenalismus zwar von einem bewussten Wesen getroffen werden, jedoch wäre sie rein physisch verursacht. Chalmers argumentiert, dass die Überzeugung, Bewusstsein zu haben und demgemäß die Aussage „Ich habe Bewusstsein“ zu treffen, nicht notwendig durch das Bewusstsein verursacht werden muss. Das Bewusstsein konstituiere lediglich diese Überzeugung. Chalmers beurteilt den Typ-E Dualismus abschließend als eine „kohärente Theorie ohne fatale Schwierigkeiten“, die jedoch gleichzeitig wenig elegant und kontraintuitiv sei.

Typ-F Monismus

Unter dem Typ-F Monismus fasst Chalmers eine Reihe von Positionen zusammen, denen gemeinsam ist, dass phänomenale oder protophänomenale Eigenschaften als „intrinsische Natur“ der physischen Realität angesehen werden (Neutraler Monismus, Panpsychismus). Er führt diese Position auf eine Erörterung der Physik von Bertrand Russell zurück. In The Analysis of Matter legt Russell dar, dass die Physik zwar Aussagen über die Beziehungen verschiedener Entitäten trifft, jedoch nichts über die inneren Eigenschaften dieser Entitäten aussagt. Der Typ-F Monismus fügt nun einfach der physikalischen Theorie eine Theorie der intrinsischen Natur hinzu, ohne etwa die kausale Geschlossenheit des Physischen oder die Struktur der physikalischen Theorie in Frage zu stellen. In dieser Weise, so Chalmers, bilden „(proto)phänomenale Eigenschaften […] die letzte kategoriale Basis aller physischen Verursachung.“ Er stellt fest, dass der Typ-F Monismus Gemeinsamkeiten sowohl mit dem Materialismus wie auch mit dem Dualismus hat: „Dem Buchstaben nach ist der Typ-F Monismus materialistisch, während es sich dem Geist nach um eine dualistische Theorie handelt.“ Einer der wichtigsten Einwände gegen den Typ-F Monismus ist das erstmals von William James formulierte Kombinationsproblem: Es ist aktuell völlig unklar, wie aus unzähligen protophänomenalen Bewusstseinseinheiten ein übergeordnetes Bewusstsein wie das eines Menschen entstehen soll. Chalmers stellt fest: „Ich glaube, es handelt sich hier um das mit Abstand größte Problem des Typ-F Monismus. Ob es gelöst werden kann oder nicht, ist gegenwärtig eine offene Frage.“

Eigenschaftsdualismus

Die Diagnose des schwierigen Problems des Bewusstseins hat Chalmers zu einer Position geführt, die Eigenschaftsdualismus genannt wird. Eine solche Position lehnt den Materialismus ab, unterscheidet sich jedoch auch stark vom klassischen Dualismus. Der klassische Dualismus war von zwei Substanzen ausgegangen „“ Materie und Geist -, während der Eigenschaftsdualist nur eine Substanz anerkennt, nämlich die Materie. Der Eigenschaftsdualist ist jedoch darauf festgelegt, dass nicht alle Eigenschaften physische Eigenschaften sind. Konkret heißt dies bei Chalmers: Der Mensch hat neben den physischen Eigenschaften (etwa Masse oder Form) auch eine Art von nichtphysischen Eigenschaften (nämlich Erlebnisgehalte oder Qualia).

Der Weg vom schwierigen Problem des Bewusstseins zur These des Eigenschaftsdualismus ist recht steinig und liegt auf einem hohen theoretischen Niveau. Die Grundidee lässt sich dennoch verständlich machen: Chalmers geht davon aus, dass der Materialismus auf reduktive Erklärungen festgelegt ist. Dies bedeutet, dass der Erlebnisgehalt im Prinzip auf die grundlegenden physischen Eigenschaften reduzierbar sein muss „“ wenn der Materialismus wahr ist. Eine solche Reduktion setzt nach Chalmers jedoch ein Moment der Notwendigkeit voraus, das die grundlegenden physischen Eigenschaften und die höherstufigen Eigenschaften miteinander verbindet. Diese Notwendigkeit ist aber im Fall des Erlebnisgehalts nicht gegeben. Demzufolge ist es – im philosophischen Gedankenexperimenta priori möglich, dass es Zombies gibt. Zombies stellen hierbei eine exakte (!) materielle Kopie eines gewöhnlichen Menschen dar, nur mit dem signifikanten Unterschied, dass sie kein (!) Bewusstsein haben. Da die Existenz eines Zombies a priori möglich ist, ist die angesprochene Notwendigkeit, welche der Materialismus voraussetzt, nicht zwingend. Also ist der Materialismus falsch. Dieses Argument kann man nur dann wirklich verstehen, wenn klar ist, was mit „Notwendigkeit“ gemeint ist. Genau dies versucht Chalmers zu erklären und – anknüpfend an Saul Aaron Kripke – durch die sog. Zweidimensionale Semantik auf eine fundierte Basis zu stellen.

Notwendigkeit, Supervenienz und Reduktion

Die Begriffe Notwendigkeit, Supervenienz und Reduktion hängen eng miteinander zusammen. Beginnen wir mit Supervenienz: Eine Eigenschaft A superveniert genau dann über den Eigenschaften B, wenn es keine Veränderung in A geben kann, ohne dass sich B verändert. Ein Beispiel: Es kann keine Änderung der biologischen Eigenschaften geben, ohne dass sich dabei auch Änderungen von chemischen Eigenschaften ergeben.

Meistens sind solche Supervenienzbeziehungen kein Zufall, und so kommt die Notwendigkeit ins Spiel. A kann mit Notwendigkeit über B supervenieren, weil etwa B durch Naturgesetze A verursacht. Chalmers spricht hier von natürlicher Supervenienz. A kann aber auch mit Notwendigkeit über B supervenieren, weil B A logisch oder begrifflich impliziert. Chalmers spricht dann von logischer Supervenienz.

Chalmers These ist nun, dass nur die logische Supervenienz für Reduktionen hinreichend ist. A kann nur dann auf B reduziert werden, wenn A aus B logisch oder begrifflich folgt. Konkreter: Eine höherstufige Eigenschaft kann nur dann auf physische Eigenschaften reduziert (und so in ein materialistisches Weltbild integriert) werden, wenn aus der Existenz der physischen Eigenschaften die höherstufige Eigenschaft logisch oder begrifflich folgt.

Wir können nun Chalmers Argument gegen den Materialismus besser verstehen. Chalmers meint, dass fast alle Eigenschaften logisch über den physischen Eigenschaften supervenieren und damit reduktiv erklärbar sind. Ein klassisches Reduktionsbeispiel ist Wasser. Wasser lässt sich auf H2O reduzieren, weil die Eigenschaften des Wassers aus den Eigenschaften der H2O-Moleküle mit Hilfe der grundlegenden Naturgesetze logisch-begrifflich ableitbar sind. Nun schlägt aber eine solche Ableitbarkeit bei einer Eigenschaft des Menschen fehl: Aus den biologischen Eigenschaften des Menschen lassen sich nicht die Erlebnisgehalte logisch-begrifflich ableiten. Also schlägt die logische Supervenienz fehl, also schlägt die Reduktion fehl, also lassen sich Erlebnisgehalte nicht in ein materialistisches Weltbild integrieren. Es gibt aber Erlebnisgehalte. Also ist der Materialismus falsch.

 

Und schließlich möcht ich euch noch diese drei Links zum Thema empfehlen (könnt ihr gern in den Comments um weitere ergänzen):

Bewusstsein (Zusammenfassung von Geschichte und Begriffsentwicklung / Uni Mainz)

– Eine Handvoll Bemerkungen zur begrifflichen Unübersichtlichkeit von „Bewusstsein“ – von Andreas Kemmerling

Wikipedia-Portal „Geist und Gehirn“ (bietet eine ständig aktualisierte Übersicht zu der interdisziplinären Vernetzung zwischen der Philosophie, den Neuro- und den Kognitionswissenschaften und der Psychologie)

wf

7 Gedanken zu „Spekulatives zum „Bewusstsein““

  1. Wow! für diesen Lesestoff brauche ich aber ein Weilchen.
    Deshalb zunächstmal nur einen kurzen Kommentar zu: „Das Problem des Bewusstseins bildet heute „“ vielleicht zusammen mit der Frage nach der Entstehung unseres Universums „“ die äußerste Grenze des menschlichen Strebens nach Erkenntnis.“ – Das gilt tatsächlich für alle, die Erkenntnis auf bewußtlose Weise betreiben. Wie sonst sollte das Bewußtsein eine äußerste Grenze des menschlichen Erkenntnisstrebens bilden?

  2. Jo, dann komm ich deiner Aufforderung gern mal nach und verweise auf die Rezension von Markus Gabriel zu Thomas Nagels neuem Buch „Geist und Kosmos“. Darin spekuliert Nagel, dass „das Universum allmählich erwacht und sich seiner selbst bewusst wird“ und dass wir die Frage der Philosophie des Geistes neu stellen müssen. Sie laute nun: „wie wir die Natur als ein System verstehen können, das fähig ist, Geist zu erzeugen“. Hab’s selber noch nicht gelesen, steht aber auf meiner Liste.

    Hier die Rezi: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/thomas-nagel-geist-und-kosmos-da-schlug-die-natur-die-augen-auf-12599621.html

    Gruß Claus

  3. Auf FB hat Kommentator Daniel-Pascal auf den interessanten Essay * Eine Handvoll Bemerkungen zur begrifflichen Unübersichtlichkeit von „Bewusstsein“ * von Andreas Kemmerling hingewiesen, den ich gern am Artikelende verlinkt hab. Oder direkt hier aufrufbar:
    http://www.philosophie.uni-hd.de/imperia/md/content/fakultaeten/phil/philosophischesseminar2/kemmerling/v_56_begrifflicheunuebersichtlichkeitvonbewusstsein.pdf
    _______________________________________________

    @ Claus: Danke für den Rezensionshinweis, klingt interessant und ich werde mir diesen Nagel auch unter den Nagel reißen (sorry, bin heut humortechnisch a bisserl reduziert, Nachwirkung einer Schach-Wettkampfpartie…)

  4. Da hat man ja was zu kauen mit diesem Text. Danke für die schöne Zusammenstellung. Ich bin damals mit Daniel Denett ausgestiegen… Chalmers klingt nachdenkenswert. Das m.E. beste Argument kommt leider bei Deiner Zusammenstellung etwas zu spät: die Reduktionen. Das scheint tatsächlich ein schlagendes Argument zu sein. Alle Eigenschaften folgen aus der chemischen Beschreibung. Da entsteht beim Menschen dann eine Lücke, die materialistisch kaum zu schließen ist. Das freut mich, überrascht mich aber auch – ich hatte gedacht, die ganzen Neuro-Heinis hätten längst die Deutungsmacht übernommen und postuliert, dass Psychisches ja im Physischen sichtbar wird (z.B. neue Hirnverdrahtungen etc., die ganze Platizität des Hirns). Da ist Chalmers eine willkommene Gegenstimme.

    Das Einzige, was mich immer irritiert, ist, dass so stark auf die ‚Eigenschaften‘ des Geistigen abgehoben wird und nicht auf die Funktionen. Das ist natürlich ganz altes Zeug, aber überzeugt mich noch immer: Bewusstsein ist gerichtet, also nicht für sich, nicht eine Eigenschaft, sondern immer nur funktional zu beschreiben. (Mich hat J. Hoffmann: ‚Vorhersage und Erkenntnis‘ stark beeindruckt mit seinem ganz funktionalen Ansatz.)

    1. In der Tat, lieber JimKnopf, hat es in der Geist-Philo eine Deutungshoheit der ‚Neuro-Heinis‘ nie wirklich gegeben, höchstens ein paar Jahre Aufmandeln auf der Ebene der medialen Effekthascherei oder als Werbeetikett für die Einwerbung von institutionellen Mitteln bzw. der Absatzförderung auf dem pseudowissenschaftlichen Sachbuch-Markt.
      Zu der von dir angesprochenen Intentionalität des „Bewusstseins“ (wir dürfen den Begriff ja nur noch in Anführungszeichen verwenden ;-) solls hier demnächst auch mal was geben, zwar ausgehend vom Brentano und Husserl, aber ich hab halt immer ganz gern einen aktuellen ‚Aufhänger‘ für eine Blognotiz. Die von dir in dem Zusammenhang erwähnte Arbeit von Joachim Hoffmann „Vorhersage und Erkenntnis“ kenn ich nicht (nur vom gerade Kontroll-Googeln), aber du kannst sie gern hier als Kurz-Rezi vorstellen – oder in deinem ja noch recht neuen Blog, der mir ganz gut gefällt mit seinem Mix aus Ironie und Polemik (hübsch der kleine Dreiteiler „Kierkegaard und der Spießer“). Hat ein Plätzchen in der hiesigen „Les-Bar“ gefunden…

      1. Tja, das kommt davon, wenn man die wissenschaftliche Entwicklung nur noch in den Feuilletons verfolgt. Da hatten die ‚Neuro-Heinis‘ (ich bleib dann jetzt bei diesem Etikett ;-) wohl das beste Marketing.

        Natürlich: Bei der Intentionalität muss man zuerst an Brentano denken. Da bin ich schon gespannt. Ich sehe da eigentlich noch sehr viel Potenzial für eine aktuelle Philosophie des Geistes bzw. eine echte Kognitive Psychologie. Es scheint aber gerade beim Bewusstsein immer wieder um das ‚Wesen‘ gehen zu müssen. Warum eigentlich?

        Und: Herzlichen Dank für die Aufnahme für die Aufnahme in die Blogroll!

        1. Das ‚Wesen‘ ist genau das Problem. In der Neurophysiologie ist es übrigens der berüchtigte Homunculus, dem die Neurophysiologen immer noch hinterher sind, auch wenn sie es natürlich voller Selbstüberzeugung abstreiten. Damasio hat noch die beste Formulierung dafür gefunden: der unsichtbare Dirigent, der immer dann auftritt, wenn das Bewußtseinsorchester zu spielen beginnt, von dem aber niemand weiß, wo er herkommt, oder wo er hingeht, wenn das Orchester seine Aufführung beendet.

          Aber nochmal zum ‚Wesen‘: Letztlich ist es nichts anderes als die Gestalt oder auch das Phänomen. Damit sollten wir uns zufrieden geben. Hinter den Phänomenen gibt es nichts, das wirklicher oder eigentlicher wäre als die Phänomene selbst.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.