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Wer verlegt denn heut noch Gedichte?

Fixpoetry Lesehefte

Die Suche nach interessanter Lyrik gehört heutzutage zu den Kontingenzerfahrungen des real existierenden Poesiefreundes, denn wenn er „Gedichte“ mit der Option „Seiten auf Deutsch“ googelt, spuckt der digital umhergeisternde Suchroboter über fünf Millionen Treffer aus „“ doppelt so viele wie etwa unter „Lotto“.
Besorgten noch in der Guten-Alten-Zeit der Deutungsmonopole die Türsteher des feinen Feuilletons oder elitär-hermetische Anthologie-Clans die (natürlich oft ungerechte) Vorsortierung der Dichterhimmel-Anwärter fürs literarisch (ein)gebildete Lesevolk und schöngeistige Buchverlage, kann heute auf dem öffentlichen Krümelacker der Worte jeder Spatz sein Verslein tschilpen und darauf hoffen, für eine Nachtigall gehalten zu werden. Und bei Gusto für ein paar Euro mit einem selbstverlegten BOD-Produkt sein Gefieder aufplustern.
Dem Hochkultur-Traditionalisten ein Graus, dem Kultur-Basisdemokraten die Erfüllung der Chancengleichheit – jedenfalls ist diese Menge an beliebiger Literaturproduktion zu einer ziemlich unübersichtlichen Angelegenheit für wählerische Leser geworden, die sich gern mal von guter neuer Lyrik Herz & Hirn durchlüften lassen wollen.
Aber nicht nur zwecks besserer Lektüre-Orientierung haben sich in den letzten Jahren abseits der Großverlage etliche literarische online-Netzwerke entwickelt; viele zwar nur als Quassel-Communities, einige aber doch mit dem Anspruch, die positiven Aspekte dieser kulturellen und technologischen Drift für Autoren und Leser nutzbar zu machen: Die barrierefreie Partizipation vieler Kreativer auf Basis einer Internetpräsenz bei gleichzeitiger redaktioneller „Qualitätskontrolle“ der online- und print-Veröffentlichungen zu kostengünstigen Bedingungen, teilweise auch im medialen Crossover von Wort, Bild und Ton.
Auch für einen engagierten Einzelkämpfer kaum zu schaffen, kann sich eine sorgfältig betreute Edition bei „guter Führung“ mit der Zeit einen Namen machen, der nach innen auf die Autoren als Schreibmotivator wirkt und nach außen, für die Leser, als Qualitätskriterium trägt.
Von der „Holz-Szene“ und ihren alten Seilschaften noch immer oft übersehen oder belächelt, weil angeblich im digital publishing die Jeder-ist-ein-Künstler-Mentalität und somit unlektoriertes Schreibgeschrammel vorherrsche, haben sich inzwischen etliche dieser online-Projekte durch kontinuierliche redaktionelle Aufbauarbeit und Fachkompetenz als ernstzunehmende Literaturmagazine und -verlage entwickelt, deren Originaltexte mittlerweile auch von den „amtlichen“ Literaturarchiven wie Marbach, dem Innsbrucker „dilimag“ und der Deutschen Nationalbibliothek archiviert werden.

Dazu gehört seit gut drei Jahren auch die Lyrikplattform „Fixpoetry.com“, von Beginn an literarisch ambitioniert und mittlerweile als eine der ersten Adressen für zeitgenössiche Dichtung im Netz etabliert. Das Projekt ist mehr als ein betreutes Versuchsgelände für Schreibnovizen, auch einige „alte Hasen“ der Lyrikszene haben dort eigene „Autorenbücher“ mit hauptsächlich neuen Texten angelegt.
Aus diesem nach und nach proper gewachsenen Stamm von „Haus-Dichtern“ wählen die Fixpoetry-Herausgeberin Julietta Fix, Redakteur Frank Milautzcki und ein Lektoratsteam seit Herbst 2008 pro Quartal drei AutorInnen für die Print-Edition Lesehefte unter dem Label „Verlag im Proberaum“ aus. Die Hefte erscheinen im kartonierten A5-Format in anständiger Druckqualität und jeweils dreistelliger Auflage mit etwa 20 Texten pro Autor.

Während die online-Autorenbücher bei Fixpoetry (eine hübsche und technisch gut umgesetzte Idee allerdings) in qualitativer Hinsicht so unterschiedlich sind wie es solche offenen Projekte eben mit sich bringen und manche lediglich, naja sagen wir mal „ganz nett“ sind, steht bei der Autorenauswahl für die „Lesehefte“ der literaturkritische Werkzeugkasten in der Redaktion, hat mit unlektorierter Selbstverlegerei also nix zu tun. Das literarische Niveau ist dementsprechend hoch, wenn zwar nicht bei allen auf gleichem Level und oft auch nicht innerhalb eines Heftes gleichbleibend, aber welcher Lyriker mag das schon für sich beanspruchen. Zumindest kauft man nicht die Katze im Sack, da ja von allen Heftautoren zumindest ein paar Texte online vorgekostet werden können.

In den fünfzehn bisher vorliegenden Einzelausgaben der Edition entwickeln sich unterschiedliche poetologische Ansätze, die sich weder einem herrschenden Diktum zu pseudoelitärer Avantgarde-Huberei für die Preisvergabemauschler anbiedern noch im straßengängigen Modejargon unterkomplexer Pop-Lyrik daherplappern oder gar im Gutmenschenkitsch der Literaturkalenderpoesie schwelgen, sondern überraschende und eigenständige Sounds verantworten, auch mal „Kante zeigen“, und sei es mit dem Risiko zum gelegentlich überblasenen Ton oder nachlässiger Phrasierung.

Etliche der ausgewählten AutorInnen sind in Lyrikkreisen keine No-Names mehr, haben teilweise in ’seriösen‘ Anthologien und Buchverlagen reüssiert, und da im Feuilleton von „Fixpoetry“ einige der Hefte schon besprochen wurden (und weitere Rezensionen wohl folgen), hier nur ein paar kurze Antipper zum Facettenreichtum der Reihe aus den mir vorliegenden Bänden.

So könnte man eine Zeile aus Christian Kreis‘ Heft „In den Augen der Magersüchtigen“ fast schon als selbstironisches Motto über die ganze Edition stellen: „Die Gesellschaft ernährt / ihre Flaneure nicht“. Denn da die Gattung der fürstlich bestallten Hofdichter heutzutage so gut wie ausgestorben ist und der massenmedieninkompatible Dichter als solcher keinen materiellen Mehrwert erzeugt, sprich unverkäuflich ist, schwingt in der Idee der Lesehefte ein „Dennoch“ mit, das ohne verlegerische Renditeerwartung auf der sinnlichen und geistigen Erquickung des nur scheinbar zweckfreien Flanierens des Poeten gegründet ist, der durch die Empfindungsnetze seiner intentionalen Realtität Ausschnitte von Welthaltigkeit destilliert. Sogar wenn er wie Christian Kreis gelegentlich in aphoristischer Verknappung am Rand des Kalauers balanciert ;-)

Ulrich Koch verarbeitet in „Bleibe“ Vergänglichkeitsmotive, mal klug-bitter „schau an, die Liebe / vergesslich wie Gras“, mal zart-sentimental „auf den alten Fotografien / sonnt sich / was war“ und Thomas Rackwitz setzt „in halle schläft der hund beim pinkeln ein“ grimmigen Outlaw-Sarkasmus im Kontrast einer fein durchgearbeiteten Sonettform zu einem Roadmovie von 15 fortlaufenden Bildern zusammen; Stan Lafleur richtet ununterbrochen seinen „Blick in den Himmel“ (jaja, so heißen auch alle seine Einzel-Gedichte) in jeweils 4-strophigen ungereimten Terzinen.
Klara Beten gleitet in „luftweben, wieder“ gern mal durch leicht surreale Sprachbezüge und Julietta Fix zeigt in „Lyrik vom Fußboden“, dass intensive kleine Bilder eine leicht pathetische Überzeichnung nicht scheuen müssen, solang der Tonfall nicht überdreht. Frank Milautzcki lässt „Hemden denken“ über das Absurd-Liebenswerte des menschlichen Tuns und irritiert gern die semantischen Erwartungshaltungen des Lesers mit überraschenden, wie aus dem Vorbewussten steigenden Assoziationsketten.
Und weil gerade die Lyrik auch Geschmacksache ist, sei mir nachgesehen, dass ich aus der Reihe das Heft „Aus der Luft gegriffen“ von Peter Engel als persönlichen Favoriten ausgeguckt habe; denn ihm gelingt in etlichen Texten sein eigener Anspruch: „dieses Wegschleifen von Sprachstein, / der sich überall angesetzt hat, / dieses ständige Aufpolieren, / damit der Ausdruck glänzt / und der Text seine Zähne zeigt.“

Aber warum überhaupt heutzutage noch Arbeitsaufwand und Kosten einer Drucklegung in Kauf nehmen, wenn’s ein PDF zum Selberausdrucken auch täte? Die Mühe und sorgfältige Auswahl einer verlagsbetreuten print-Edition unterstreicht, dass sich eine intensive Beschäftigung mit diesen Gedichten lohnt, dass sie es wert sind, aus der Masse herausgehoben zu werden. Zudem legen viele Lyrikfans Wert auf das haptische Erleben, auf den Geruch, das Rascheln und sogar auf das langsame Vergilben der Seiten – und auf die Möglichkeit, ihre ausgegrabenen Schätze zu sammeln, auf Reisen mitzunehmen, darin Notizen zu machen oder sie auch mal zu verschenken.

Für die Autoren sind anständig verlegte Werke ohne eigene Kostenbeteiligung natürlich auch kleine Streicheleinheiten für ihre schriftstellerische Eitelkeit (die in richtiger Dosierung ja gar nix Schlimmes ist), vor Allem aber die besten Referenzen für die unumgängliche Kulturjournaille und den Aufbau eines Leserstamms, der dann auch etwa via Buchhandel oder bei Lesungen damit gepäppelt werden kann.
Zum dicken Geldverdienen wird’s bei Dichtern aber auch in Zukunft weder gedruckt noch im Web reichen, da anspruchsvolle Lyrik trotz einer gewissen „Erholung“ in den letzten Jahren wohl immer ein literarisches Randgruppen-Genre bleiben wird. Auch wenn der Suchmaschinen-Algorithmus weiterhin Million um Million an Treffern für „Gedichte“ akkumuliert.

 Allerdings lassen sich bei der Geschwindigkeit, mit der das Internet die klassischen Produktions-, Rezeptions- und Geschäftsmodelle der Verlage und Kreativen verändert,  die Chancen für die Zukunft kaum abschätzen; galt Vielen noch bis vor kurzem das eBook als künftiges Medium der (bezahlten) Literaturvermittlung,  ist es jetzt schon eine überholte Technologie – das viel flexiblere iTablet wartet als tragbares Multimediacenter schon in den Startlöchern und wird auch die Bedingungen für Literaturproduktion und deren Rezeption verändern.

wf

Kurzrezis als PDF>

2 Gedanken zu „Wer verlegt denn heut noch Gedichte?“

  1. Pingback: Wissenschafts-Café » Blog Archive » Auslese 2009: Die Shortlist

  2. Die Suche nach wirklich guter moderner Lyrik ist in der Tat ziemlich schwierig. Aber auch im belletristischen Bereich meinen ja einige Leute, sie wären die geborenen Autoren. Hier gibt es natürlich widerum einige Alternativen in den Buchhandlungen, sodass man nicht zur BoD-Veröffentlichung greifen muss.
    Weiterhin stellt sich die Frage: „Wer liest denn heut noch Gedichte?“ Die Lyrik war doch schon in der Schulzeit immer die unbeliebte Stiefschwester von Prosa und Dramatik. Großartige Dichter sind heutzutage gar nicht mehr gefragt.

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