Zum Inhalt springen
Startseite » 2008er Philosophie-Nachlese

2008er Philosophie-Nachlese

Die Zeiten waren schon mal schlechter für die öffentliche Rezeption philosophischer Themen und Weltinterpretationen. So findet sich im rückblickenden Jahresranking 2008 auf Platz 1 der SPIEGEL-Sachbuch-Bestsellerliste das smalltalktaugliche Philosophie-Einsteigerbuch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ von Richard D. Precht (SZ-Rezension von Jens-Christian Rabe) – immerhin vor einem TV-bekannten Wandervogel und einer altersweise vor sich hin kokelnden Polit-Ikone.
Schon im Sommer hatte Richard Dawkins  „Gotteswahn“ mit wochenlangen Top-Ten-Platzierungen das Leser- und Kritikerfeld philosophisch beackert und bei den Kinderbüchern sorgte Schmidt-Salomons „Wo bitte geht’s zu Gott?“ für mächtig mediale Aufmerksamkeit und angemessenes Pfaffengeheul.

prechtMag auch manch akademischer Fachphilosoph die Nase darüber rümpfen,  dass es dabei selten auf höchster intellektueller Abstraktionsebene zuging,  so ist wohl genau das der adäquate pädagogische „Weg der Mittel“, um das ‚allgemeine‘ Reflexionsniveau um ein paar Promille zu steigern. Denn natürlich gilt auch für die Entwicklung einer eigenständigen kritischen Geisteshaltung das Lernen im Kompetenzmodell.

Nach seinem Sensationserfolg gewann auch Prechts Meinung zu kulturphilosophischen Themen erheblich an Gewicht. So mauserte er sich im SPIEGEL zum Stammkolumnisten, nachdem er zunächst im Oktober einen allgemeinverständlichen Essay zu Frans de Waals Moraltheorie verfasst hatte und im November einen Beitrag über die Elfenbeinturm-Selbstverwahrung der deutschen Intelligenzia nachlegte. Für die SPIEGEL-Leser, sonst von ihrem Blatt bei geistes- und naturwissenschaftlichen Themen doch eher Boulevardniveau gewohnt, sicher schon was ‚Gehobeneres‘.

Parallel dazu stieg im Jahr 2008 auch die Zahl der Fernsehsendungen mit philosophischen oder semi-philosophischen Inhalten; zu den bereits etablierten wie „Scobel“, „Philosophisches Quartett“ oder „Nachtstudio“ kamen etwa „arte Philosophie“ und einige Nischenprogramme in den „Dritten“.
Auch naturwissenschaftliche Formate haben über den reinen Doku-Charakter hinaus inzwischen einen gewissen philosophisch-reflektierenden Deutungsanspruch entwickelt (der Lesch etwa macht das nicht schlecht). Dagegen gibts nix zu meckern, weil eine bittschön diskursfähige Gegenwartsphilosophie einen ontologischen und epistemologischen Erkenntnisgewinn wohl nur in der Vernetzung mit den Natur-, Human- und Sozialwissenschaften erreichen kann. Erst daraus lassen sich begründbare Forderungen an Real-, Medien- und Kulturpolitik entwickeln.

In einigen der genannten Sendungen trafen sich denn auch  im Laufe des Jahres kompetente Vertreter unterschiedlicher Wissenschaften zu teilweise erfrischenden Diskussionen, die für die Zukunft Hoffnung machen auf bessere interdisziplinäre Denkansätze – zumindest bei der Frage „Was sollen wir tun?“ Schwerpunktthemen waren die Hirnforschung mit ihren möglichen Konsequenzen für unser Menschenbild, der durch die Globalisierung beförderte „Clash of Civilisations“, die CERN-Debatte und gegen Jahresende zwangsläufig die wirtschaftspoltische Ethik und die Moralfreiheit von Kapitalinteressen (Diverses dazu hier in der „Medienkritik„).

Auch Bücher, die den Sprung in die Bestsellerlisten nicht geschafft hatten,  profitierten erfreulicherweise von dem ‚Philo-Boom‘; unter vielen guten möchte ich zwei, die mich sehr überzeugten, herausheben:
Zum Thema Menschenbild/ Hirnforschung etwa Michael Pauens „Was ist der Mensch?“ und zu einer zeitgemäßen Umwelt- und Wirtschaftsphilosophie die schlüssig dargelegten Konzepte für eine globale Ökosoziale Marktwirtschaft in „Welt mit Zukunft“ von F.J. Radermacher (weitere „Highlights“ in den „Rezensionen„).

Und da uns 2009 das Darwin-Jahr erwartet, gehe ich mal von einer weiteren Intensivierung der Wissenschaftsvernetzung aus – und vom Verschwinden der letzten Gespenster metaphysischer Abergläubigkeit, die noch durch unsere vermeintlich aufgeklärte Gesellschaft spuken.

wf

Ein Gedanke zu „2008er Philosophie-Nachlese“

  1. „Und da uns 2009 das Darwin-Jahr erwartet, gehe ich mal von einer weiteren Intensivierung der Wissenschaftsvernetzung aus – und vom Verschwinden der letzten Gespenster metaphysischer Abergläubigkeit, die noch durch unsere vermeintlich aufgeklärte Gesellschaft spuken.“

    Aber die letzten (?) Gespenster der Wissenschaftsgläubigkeit spuken noch durch unsere vermeintlich unaufgeklärte Gesellschaft. Von einer weiteren Intensivierung der Wissenschaftsvernetzung sollte man doch mehr und anderes erwarten können. Jedem aber das Seine, eine platonistisch geprägte „Philosophenherrschaft“ der abgeklärten Naturwissenschaftler steht ebenso wenig ins Haus wie unaufgeklärtes „Pfaffengeheul“. Kurz und gut, etwas mehr an philosophischem Gedankengut kann der heutigen Gesellschaft nur gut tun.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.