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„Erkenne dich selbst“ mit R.D. Precht

Einen „Buchtipp für untern Baum“ von unseren LeserInnen hätten wir da noch, so kurz vor Ablauf der Bescherungs-ermöglichenden Bestellmöglichkeit (wiewohl das nun empfohlene Buch dank SPIEGEL-Bestsellerliste in jeder gut sortierten Buchhandlung griffbereit sein dürfte): Der zweite Band von R.D. Prechts Philosophiegeschichtstrilogie ist kürzlich erschienen und Szusza Nagy (die ihr ja schon als Empfehlerin eines der letztjährigen Weihnachtsbuchtipps kennt) hat ihn, zusammen mit ihrem Revierförster, schon gelesen und Gefallen daran gefunden.

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Achttausender besteigen leicht gemacht

Die Abteilung Philosophie in meinem Bücherregal ist überschaubar und meine Kenntnisse in Philosophiegeschichte ebenfalls. Oft, wenn ich auf mir bisher wenig bekannte PhilosophInnen gestoßen bin, blieb mir nur der Nachschlageakt in der Wikipedia oder im dtv-Atlas Philosophie. Dort finde ich zwar Substrate zu Leben und Werk, aber wenig zu den kulturellen und sozialen Bedingungen der jeweiligen Zeit, in der wichtige DenkerInnen der Menschheit ihre Ideen entwickelten. Aber gerade das interessiert mich sehr, weil ich glaube, dass auch die Gedankenwelt kluger Menschen nicht von einem überzeitlichen ‚Weltgeist‘ weiterentwickelt wird, sondern stark von ihren historisch-existenziellen Rahmenbedingungen abhängt.

Neulich bekam ich wieder mal Besuch von meinem lieben Freund Karlinger, der nach getaner Arbeit in seinem Revier – er ist der Förster des Waldstücks, an dessen Rand meine bescheidene Hütte steht – gelegentlich auf einen Tee und einen Plausch unter Philosophie-Amateuren vorbeischaut. Und er hatte ein Geschenk dabei: „Erkenne dich selbst“ von Richard David Precht, dem TV-bekannten Philosophie-erklärenden Bestsellerautor. Wobei, mir selber war Precht bisher nur aus zweiter Hand bekannt, habe kein Fernsehgerät und auch noch nichts von ihm gelesen außer via seiner paar süffisant-ironisch dargestellten Auftritte in diesem Blog.

„Spinoza und Schelling werden da auch ganz gut erklärt.“, meinte Karlinger beim Überreichen des Buchs. Das ist keine merkwürdige Geschenkeinleitung, wenn man weiß, dass Spinoza und Schelling zu Karlingers Lieblingphilosophen zählen (bei einem Waldmenschen nicht ungewöhnlich) und wir beide uns schon öfter über Pantheismus und Naturphilosophie unterhalten hatten. Noch in der Nacht, nachdem Karlinger doch wieder gegangen war, begann ich mit der Lektüre und war bald gefesselt von der erzählerischen Qualität, die ich bei einem philosophiegeschichtlichen Werk so noch kaum gefunden hatte.

Dieser zweite Band steigt ein in die zersplitternde Welt der Renaissance mit ihrer Suche nach einem Universalprinzip, der Suche nach der Wahrheit im Inneren und dem Umsturz traditioneller Werte. Nicht rein chronologisch abgearbeitet, sondern die Entwicklungen und Zusammenhänge der historischen Ereignisse im Blick, zeigt Precht ebendie damit zusammenhängenden Entwicklungen und Zusammenhänge der Denkwelten von Figuren wie Cusanus, Alberti, Ficino, da Vinci, Erasmus, Machiavelli, Kopernikus, Luther, Montaigne, Bruno, Bacon, Galilei und vieler Anderer – von manchen hatte ich bis dato noch nie gehört.

In gleicher Anschaulichkeit präsentiert Precht die Philosophie des Barock, wobei die Kapitel zu Hobbes, Descartes, Spinoza, Pascal und Leibniz die ausführlichsten sind. Die Philosophie der Aufklärung setzt ein mit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit John Locke (und dessen Doppelmoral), führt über Newton, Wolff, Berkeley, Montesquieu, und Hutcheson zu Voltaire, La Mettrie, Hume, Rousseau und Diderot bis zu Smith und Lessing – zahlreiche andere mit einbezogen. Am umfangreichsten ist der 4. Buchteil zur Philosophie des Deutschen Idealismus, und dabei naheliegenderweise speziell zu Kant und Hegel – aber auch von Schelling habe ich, mein lieber Karlinger, jetzt ein besseres Verständnis.

Precht meint im Vorwort, das Buch enthalte einige „Achttausender“, also schwierig zu erklimmende Gipfel der Philosophie, aber mir ist bei den Besteigungen keinmal der Atem ausgegangen. Oft aber ein Lachen ausgekommen, wenn Precht über Eifersüchteleien, Verhaltensauffälligkeiten und Grabenkämpfe innerhalb der Denkerzunft erzählt. Denn das Erzählen kann der Mann wirklich gut, bildhaft und gleichzeitig informativ, zusammenhangstiftend, manchmal mit spöttisch-ironischem Unterton (etwa bei Fichte). Und er zeigt, was er behauptet: „Philosophie ist, wie man sieht, keine gerade aufsteigende Linie. Sie ist eine Bewegung von vielen Wellen; so wenig zielführend wie Alkohol, aber hoffentlich erhellend.“

Und auch die Betitelung „Erkenne dich selbst“ wird nach dem Lesen selbsterklärend: Zu allen Zeiten machten sich die Menschen Gedanken über die großen Fragen des Lebens, über die Frage nach der Wirklichkeit der ‚Wirklichkeit‘, der guten und gerechten Gesellschaft, der eigenen Moral, der eigenen Sterblichkeit und der Frage, was man tun und hoffen kann – geht mir ja ebenso, und wohl auch Karlinger, bei dem ich mich revanchieren werde. Wenn nächstes Jahr der dritte Band von Prechts Philosophiegeschichte erscheint, liegt er umgehend als Geschenk parat, falls Karlinger wieder zu Besuch kommt.

Szusza Nagy


Richard David Precht
Erkenne dich selbst: Geschichte der Philosophie 2
Goldmann Verlag;  672 Seiten, € 24.-
ISBN-13: 978-3442313679

 

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