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Friedrich Nietzsche im Info-Comic

…und was es mit Weib & Peitsche auf sich hat

Wenn’s ein deutscher Philosoph im Ranking der Männerstammtischparolen ziemlich weit nach oben geschafft hat, zeugt das nicht unbedingt von einer geistigen Weiterentwicklung des deutschen Stammtischwesens – nicht einmal der Philosoph selbst muss dran schuld sein, wenn der eine oder andere Aufsprecher glaubt, er könne durch das zusammenhanglose Nachplappern eines vermeintlich originären Zitats sein unterkomplexes Chauvi-Dasein in eines helleren Lichtleins Glanz erstrahlen lassen. Nein, meist handelt es sich in solchen Fällen um Missverständnisse aufgrund Lektüremangel (und darunter leidet zwangsläufig, wer einen Großteil seiner Zeit an Stammtischen verbringt).

Lou Salomé, Paul Ree and Friedrich Nietzsche (1882)

Lou Salomé, Paul Ree and Friedrich Nietzsche (1882)

Wenn also der gemeine Mann unter seinesgleichen den coolen harten Hund markieren will, darf’s gern was von Friedrich Nietzsche sein, und besonderer Beliebtheit erfreuen sich unter Distinktionsgewinnlern diverse Falsifikate aus dem Zarathustra-Kapitel „Von alten und jungen Weiblein“. Fordert der schnauzbärtige Moralverächter da nicht gar die Züchtigung des Weibes mit der Peitsche?
Nee, meine Herren Dumpfbacken, zwar hatte N. ein ambivalentes, nicht ganz ungetrübtes Verhältnis zu Frauen (welcher Mann hat das nicht?), doch das mit der Peitsche war anders gemeint; wie, das könnt ihr im Original hier bei Zeno.org nachlesen.

Welch subtile Vorgeschichte das mit dem Weib und der Peitsche hat, mag dieses Foto erahnen lassen, auf dem sich Nietzsche zusammen mit seinem besten Freund Paul Ree vor den Karren ihrer gemeinsamen deutsch-russischen Geliebten Lou von Salomé spannen ließ – die Dame mit der Peitsche in der Hand zum Antreiben dieser für alle Beteiligten am Ende unglücklichen Menage á trois. Nachdem die Salomé die Heiratsanträge beider Männer abgelehnt hatte, wurde das Foto von Nietzsche in allen Details so arrangiert, ein Jahr vor der Niederschrift des „Zarathustra“.

So gut wie nie hört man dagegen Nietzsche-Zitate, in denen er seine Wertschätzung des anderen Geschlechts zeigt: „Gegen die Männerkrankheit der Selbstverachtung hilft es am sichersten, von einem klugen Weibe geliebt zu werden“. (Menschliches, Allzumenschliches)

Auch die Nazis haben Nietzsche gern selektiv für ihre Zwecke interpretiert, wenn sie vom „Übermenschen“ oder dem „Willen zur Macht“ faselten, ohne die geringste Ahnung, dass damit eigentlich Konzepte zur selbstbestimmten Persönlichkeitsentwicklung gemeint sind. Dieser Missbrauch ist hauptsächlich der  ‚Verdienst‘ von N.s Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, einer üblen Anti-Semitin, die schon gleich nach des Bruders Absinken in die geistige Umnachtung, mehr noch nach dessen Tod,  die geschäftliche und interpretatorische Hoheit über sein Werk an sich riss.

 Basis-Aufklärung durch ein Nietzsche-Sachcomic

Nun hat der Verlag TibiaPress in seiner Reihe INFOcomics ein ebensolches zu Nietzsche aufgelegt, das einen ersten Eindruck von des Philosophen Werk und Leben vermitteln soll. Wir haben aus dieser Reihe hier ja schon das „Sachcomic Philosophie“ vorgestellt, und mittlerweile ist deren Angebot zu Themen aus Naturwissenschaft und Philosophie recht ansehnlich geworden. Die Vorlagen dazu stammen hauptsächlich aus England und den USA, wo die pädagogische Latte zur Vermittlung ’schwierigen‘ Stoffs nicht so hoch im Elitären hängt wie in good ol‘ Germany und kaum jemand über populärwissenschaftliche Darstellungsweisen mit merkantiler Intention die Nase rümpft. Dass das ohne gravierende Sinnentstellungen (aber natürlich mit durch die Komprimierung bedingten Abstrichen) gelingen kann, zeigt dieser neue Band, für den im Original der Londoner Philosophiedozent Laurence Gane und der argentinische Cartoonist Piero verantwortlich zeichnen, übersetzt von Julia Kockel und Wilfried Stascheit.

Der Band ist chronologisch und thematisch nach Lebenslauf und Werkfolge in Mini-Kapitel gegliedert wie die „Die frühen Jahre“, „Nietzsche und die Frauen“,“Was ist Bildung“, „Kants Brille“, „Die Macht der Herde“, „Der Wille zur Macht“, „Leben ohne Gott“, „Der freie Geist“, „Politik: Die Prostitution des Geistes „, „Nietzsche und die Nazis“ und viele andere, wobei am Ende nicht vergessen wird, Nietzsches Einflüsse auf andere Denker zu skizzieren: auf Freuds Psychoanalyse, Wittgensteins Sprachphilosophie, Heideggers und Sartres Existenzialisnmus, Derridas Dekonstruktuion und natürlich auf Foucault, den ‚Haupterben‘ von Nietzsches genealogischer Methode. So knapp diese Skizzierungen auch ausfallen mögen, zeigen sie doch dem Nietzsche-Neuling die Wirkrichtungen seines Denkens, warum er zu den einflussreichsten Philosophen der Neuzeit gehört und mit Recht immer noch diskutiert wird.

In den Sprechblasen der Comic-Szenarien finden sich Originalzitate von Nietzsche und seinen ‚Bezugspersonen‘, die durch kurze Erläuterungstexte in eine stimmige thematische Beziehung gesetzt werden, und am Ende bietet der Band, für einen Comic eher ungewöhlich, sogar einen Namens-Index. Etwas unglücklich erscheint mir allerdings die Gestaltung des Covers mit Pferdekopf und Gedankenherzchen (bezieht sich auf die partikulare Situation von Nietzsches Zusammenbruch auf einer Strasse in Turin), ist möglicherweise aber der Marketingpsychologie hinsichtlich der Pferdeliebhaberei in England und den USA geschuldet ;-)

Und wie immer muss man sich als Rezensent eines solchen INFOcomics nicht die Feder krumm schreiben, weil’s auch von diesem wieder eine ausführliche Anguck- und Leseprobe als „open publication“ gibt – so könnt ihr euch also selbst einen Eindruck verschaffen:

Nietzsche: Ein Sachcomic
Broschiert, 176 Seiten, Euro 10.-
Verlag TibiaPress (September 2014)
ISBN-13: 978-3935254434

Schön wäre es natürlich, wenn nach diesem ‚Appetizer‘ möglichst viele LeserInnen auch zu Nietzsches Originalwerken greifen würden, und wer dann noch mehr Lust auf Leben und Werkentstehung hat, dem sei dieser 400-Seiter von Rüdiger Safranski empfohlen: „Nietzsche: Biographie seines Denkens“.


Nietzsches Werke bei Zeno.org

Diverses zu und von Nietzsche hier im Blog

• „Zarathustra comes to talk in town“ (Jazz-Blues von WF’s „Dirty Fingers“):

 

wf

Ein Gedanke zu „Friedrich Nietzsche im Info-Comic“

  1. Als Ergänzung zu Ihren Nietzsche-Links möchte ich auf die wissenschaftlich-kritische Edition „Nietzsche Source“ hinweisen. Diese beinhaltet
    * die Studia Nietzscheana „“ Internationale und multilinguale Zeitschrift für Nietzsche-Studien.
    * die Digitale Kritische Gesamtausgabe „“ Digitale Fassung sämtlicher Werke Nietzsches.
    * die Digitale Faksimile Gesamtausgabe „“ Digitale Reproduktion des gesamten Nietzschenachlasses, einschießlich der Erstausgaben der Werke, Manuskripte, Briefe und biographische Dokumente.

    Adresse: http://www.nietzschesource.org/

    mfg, R. Wagner

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