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Und noch ein „Sachcomic Philosophie“

Philosophie Sach-Comic

Es ist marketingtechnisch sicher nicht das Schlechteste, wenn man zwei angesagte Trends in einem Produkt bündeln kann. So machen’s ein paar schlaue Verleger gerade auf dem Buchmarkt, wo sich das (wieder) boomende Comicformat neuerdings immer öfter mit dem seit einigen Jahren Bestseller-tauglichen Thema „Philosophie“ zusammentut. Mittlerweile geht das entsprechende Angebot, großteils Lizenzausgaben anglo-amerikanischer Verlage, in die Hunderte. Gelegentlich schneit mir was davon ins Haus, und wenns mir originell und lesenswert erscheint, stell ich’s hier auch gern kurz vor.  So wie letzthin schon das hübsche Philo-Bilderlesebuch „Wer ist hier der Chef?“ aus dem Hanser Verlag, und nun also ein „Sachcomic Philosophie“ von TibiaPress. Und da ich seit Kindertagen ein Faible für derartige Naschereien abseits der literarisch-philosophischen Hauptspeisen hab (immerhin wurde meine philosophische Früherziehung von dem antiklerikalen Spötter Wilhelm Busch mitgeprägt), erwärmte ich mich nicht nur wegen des schmuddeligen Winterwetters an der Vorstellung einer kurzweiligen Badewannenlektüre.

Sachcomic PhilosophieNun wars allerdings mit einer Badewannensitzung nicht getan, denn dieses Taschenbuch erfordert mit seinen gut 170 Seiten dann doch mehrere Schmökerstündchen, zumal es, das sei vorweg verraten, auch gewisse Anforderungen an die Leseachtsamkeit stellt.

Schon der Anspruch ist hoch gesetzt: einen einigermaßen umfassenden Abriss der abendländischen Philosophiegeschichte mit ihren wichtigsten Denkern samt deren Fragestellungen zum Weltverständnis zu geben. Das beginnt bei den Vorsokratikern und spannt dann, wie der Klappentext verspricht, „den Bogen von Aristoteles über Augustinus, Descartes, Hegel, Kant, Wittgenstein, Jefferson, Karl Popper zu Foucault und notiert deren Antworten.“

Dabei werden die ‚gewichtigeren‘ Geistesgrößen wie Platon, Kant, Hegel, Nietzsche u.a. auf jeweils mehreren Seiten vorgestellt, viele ‚Nebenfiguren‘ müssen mit nur einer oder zwei Seiten vorlieb nehmen. In den Texten versucht Autor Dave Robinson, nicht nur das Wesentliche der jeweiligen Denkmodelle herauszuarbeiten, sondern im chronologischen Fortschreiten auch die geistigen Verbindungslinien anzudeuten. Die renommierte Zeichnerin Judy Groves imaginiert dazu anekdotische Schlüsselszenen für jeden Philosophen und legt ihnen entsprechende, meist bekannte Zitate in die Sprechblasen. Dabei zeigt sie Liebe zum Detail und skizziert die jeweiligen historischen Settings und vor allem die Gesichter so charakteristisch, wie sie uns aus überlieferten Darstellungen oder später dann von Fotographien bekannt sind. Dass sie dabei auch schon mal in die eine oder andere Klischee-Falle zu tappen scheint, wie etwa bei der Szene des in einer Tonne hockenden Kynikers Diogenes, stört das Lesevergnügen nicht wirklich – man kann das ja auch als Extra-Späßchen durchgehn lassen.

Über die reine Darstellung der Philosophiegeschichte hinaus erlaubt sich Robinson am Ende einiger Kapitel auch durchaus persönliche Wertungen mancher Denk-Systeme. So kommentiert er etwa zum ‚Säulenheiligen‘ Platon: „Platons Philosophie hat ganze Generationen von späteren Philosophen davon überzeugt, dass es ihre Aufgabe sei, eine Art mystisches oder „ideales“ Wissen zu entdecken, das sich unter der Oberfläche des Alltäglichen verbirgt. Seine Staatsphilosophie ist zugleich ein nicht unbedenklicher Aufruf, ein von einem „obersten Herrscher“ und einer elitären Elite gelenktes Utopia zu schaffen. Wohin solche Experimente führen können, ist allgemein bekannt.“
Ah, mir scheint, da hat jemand seinen Sir Karl Popper gut gelesen…

Karl Marx bekommt von Robinson zu hören, dass „viele seiner Vorhersagen auch aus heutiger Sicht falsch zu sein scheinen“ und Martin Heidegger wird wegen seiner „verheerenden politischen Unterstützung für Hitler“ als „problematische Persönlichkeit“ eingeschätzt.

Diese (und einige andere, auch positive) persönliche Wertungen sind sicher auch in einem „Infocomic“ legitim, zeigen aber, dass man ‚unbedarfte‘ Philo-Novizen bei den damit aufgeworfenen Fragen nicht allein lassen sollte.

Auch der in vielen kontinentaleuropäischen Universitäten wenig beachteten Geschichte der amerikanischen Philosophie wird von dem anglo-amerikanischen Autorenteam angemessener Platz eingeräumt. Der Ursprung der (nord)amerikanischen Philosophie aus der europäischen Aufklärung und das daraus entstehende demokratische System der Vereinigten Staaten mitsamt seiner Feedback-Wirkung auf Europa werden ebenso ausgeleuchtet wie die seit jeher pragmatische Ausrichtung der amerikanischen Philosophie. Die übrigens, wie der Leser auch erfährt, heutzutage in den USA eine professionelle gesellschaftliche Institution ist, die mehr als 10.000 akademische Philosophen beschäftigt.

Am Ende kehrt der Band zurück nach Europa, genauer gesagt nach Frankreich, weil dort viele wichtige Denkansätze der „Postmoderne“ von Philosophen wie Barthes, Derrida, Lacan, Lyotard, Foucault oder Baudrillard ihren Ausgang nahmen.
Bei soviel historischem Stoff ist verständlich, dass die Autoren nicht auch noch die zeitgenössische, höchst vielfältige und lebendige Philo-Szene behandeln können; immerhin wird noch auf das gegenwärtige Spannungsverhältnis zwischen traditioneller Metaphysik, den postmodernen Varietäten des Skeptizismus, Hyperrealismus, des Ironisch-Spielerischen und den empirischen Wissenschaften verwiesen, wobei der Leser mit dem wahrhaft weisen Ratschlag entlassen wird: „Pass auf, was passiert!“

Wie bei einem Lese-Comic zu erwarten, kommen die Texte trotz philosophischen Inhalts nicht in einem bräsigen Seminaristen-Deutsch daher; allerdings auch nicht flapsig oder nur anekdotisch, sondern klug zusammenfassend und dabei (bis auf wenige Fachtermini) allgemeinverständlich und ohne akademisches Vorwissen zugänglich. Doch Vorsicht: gerade weil die jeweiligen philosophischen Konzepte so komprimiert dargestellt sind und dabei eben möglichst umfassend sein sollen, ergibt das für philo-interessierte Einsteiger eine inhaltliche (Nachdenk-)Dichte, die schon bei jedem einzelnen Kapitelchen für ein veritables Vollbad langt.

Wer jetzt noch zweifelt, ob dieser kleine Appetizer für sich selber, als Geschenk oder als Basislektüre für einen „Grundkurs Philosophie“ taugen könnte, der kann ja mal den kundenfreundlichen Service des Verlags in Anspruch nehmen: denn der bietet auf seiner Website an, in diesem Büchlein (wie in allen anderen aus der Reihe „InfoComics“) online zu blättern und zu lesen.

Comic-Fans, Archäologen und regelmäßige Leser dieses Blogs wissen natürlich, dass die Liäson zwischen Comic und Philosophie eine lange Vorgeschichte hat, denn schließlich zeichnete der fragende, denkende und also philosophierende Mensch schon seit Höhlenzeiten Philosophische Cartoons – vom Steinzeit-Kino zu den Simpsons.

Philosophie: Ein Sachcomic
von Dave Robinson und Judy Groves
Verlag TibiaPress 2011, 176 S.
ISBN-13: 978-3935254281

wf

(Kommentare dazu gibts auch im „Freitag“)

3 Gedanken zu „Und noch ein „Sachcomic Philosophie““

  1. Danke für den Tipp. Eine nette kleine Bedienungsanleitung zur Einführung in europäische Philosophie. Schade, dass sich wegen Richard Wagner kein Platz mehr darin fand, kurz auf Michel de Montaigne und dessen Einfluss auf Voltaire und Nietzsche hinzuweisen. Vielleicht bei der nächsten Auflage ;-)

  2. Ich habs jetzt glesen und würd sagen, Note 2+
    Die kleinen Schwächen hast ja du im Artikel und „be“ im Kommentar schon angedeutet, dass nämlich manches einer Erläuterung bedürfte und dass doch für den „Kenner“ ein paar Leutchen und ihre Denkbeziehungen zueinander fehlen, 20 Seiten mehr hätten da nicht geschadet – aber sonst prima, auch mal so zu schnellen Übersicht.

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