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Kulturelle Bildung in der Schule

„Imagination ist more important than knowledge.“ (Albert Einstein)

albert einstein

Albert Einstein

Für das kommende Schuljahr hat sich die Kulturstiftung der Länder mit ihrer Jugendinitiative KINDER ZUM OLYMP! vorgenommen,  ihr Leitmotiv „Kultur ist nicht  Luxus, sondern Notwendigkeit“ besser als bisher im Bewusstsein von Bildungspolitikern, Pädagogen, Eltern und natürlich den „betroffenen“ Schülern zu verankern – vom schönen Slogan zur Einsicht. Einer der Arbeitsschwerpunkte ist dabei ein jährlicher bundesweiter  Wettbewerb für Schulen, bei dem Kinder und Jugendliche die Möglichkeit erhalten sollen, sich künstlerisch auszudrücken und  Kultur für sich zu entdecken. Dabei können Schüler und Lehrer in Kooperationsprojekten mit außerschulischen Partnern, kulturellen Einrichtungen oder Künstlern neue Ideen entwickeln und umsetzen und so kulturelle Praxis kennenlernen.

Parallel dazu soll ein wachsendes, web-basiertes Netzwerk und informatives Forum für überregionale Projekte und Initiativen entstehen, die die Idee von KINDER ZUM OLYMP! durch eigene Aktivitäten in allen künstlerischen Sparten weiter tragen, etwa durch Kooperationen zwischen Kindergärten und Schulen auf der einen sowie Kultureinrichtungen und Künstlern auf der anderen Seite.  Mit öffentlichen und medial aufbereiteten Kongressen will man sich an ein breites Publikum aus Bildung, Kultur und Politik wenden und die Notwendigkeit ästhetisch““kultureller Bildung in der Öffentlichkeit thematisieren.

So weit, so gut & unterstützenswert. Denn in der schulalltäglichen Stoff-Befüllung spielen Kunst & Kultur bisher nur eine gering geschätzte Nebenrolle, weil sie doch nichts zu dem in Einzelbereiche fragmentierten Wissenserwerb beitragen, der heute gern als ‚Bildung‘ verkauft wird und als vermeintlicher Garant für ‚Erfolg‘ in der späteren ‚Geworfenheit‘ ins Studien- und Arbeitsleben gilt.  Dazu kommt, dass die strukturellen Voraussetzungen für Kulturvermittlung in Schulen denkbar schlecht sind: Zeitmangel bei Schülern und Lehrern durch Lerndruck (der durch die Einführung des „G8“ noch verschärft wurde), ungeeignete, funktionale „Legestall“-Architektur und unzureichende Finanzmittel. Sogar Theater-, Konzert- oder Museumsbesuche sind abhängig von „schulfremder“ Finanzierung durch Förderkreise, Sponsoren oder private Eigenmittel, die manche Familie gar nicht aufbringen kann.

Zwar gilt vielen Reformpädagogen wie auch Bildungskonservativen schon die häufige Benutzung der zeitgeistgebeutelten Floskel ‚Schule als Lebensraum‘ quasi als Zertifikat ihres pädagogischen Engagements, doch in der Praxis ist das kaum mehr als ein rhetorisches Alibi, solange sich diese äußeren Rahmenbedingungen nicht verbessern, vor Allem aber solang das Telos der Schulbildung auf die Funktionalität in einer Lebenswelt ausgerichtet ist, die noch von Vorstellungen des Begriffs ‚Arbeit‘ aus dem 20. Jahrhundert bestimmt ist. Es wird fast völlig außer Acht gelassen, dass traditionelle Formen der Erwerbsarbeit im Schwinden sind und stattdessen zunehmend soziale, informationelle und kulturelle Dienstleistungen das gesellschaftliche Agens bestimmen.

Nun ist es zur Realisierung einer ‚Neuen Schule‘ aber nicht damit getan, Kunst & Kultur als staatliche Verordnung dem Schulalltag aufzupfropfen, sondern die Pädagogen aller Fachbereiche müssten den Blick über ihren eigenen Tellerrand heben, um so an einer umfassenden, vernetzten Allgemeinbildung der Lernenden besser mitwirken zu können.
Denn der vorherrschende, „verzettelte“ Einzel-Fachunterricht mit voneinander völlig getrennten Themenbereichen fördert die neurologischen Lernprozesse weniger als eine inhaltliche Vernetzung in Form von fachübergreifenden Schwerpunktthemen, was nicht nur den Zugang zu Wissen erleichtert, sondern dieses auch in Sinnzusammenhängen begreifbarer und damit behaltenswerter macht. Diese Sinnzusammenhänge entfalten sich nicht nur in fachspezifischen Problemlösungsstrategien, sondern besonders in der Gestaltung der sozialen und kulturellen Umwelt. Schließlich ist Lernen ein evolutiver Prozess, der zur besseren Anpassung an die Umgebung dient. Dies gilt besonders für schulisches Lernen, bei dem komplexes Wissen vermittelt werden soll, das sich erst im kulturellen Kontext entwickelt hat.

Einen besonders starken, weil direkt erfahrbaren Einfluss auf die Schulkultur und die Realisierung von partizipatorischen Kultur- und Lernkonzepten in der Schule hat die architektonische Kultur einer Schule (sic!). Diese Zusammenhänge verdeutlicht auch das Wiener Projektteam „Lebensraum Schule“:

„Wer ernsthaft an einer Schule der Zukunft interessiert ist, kann sich heute jedoch nicht auf die eigene Disziplin beschränken, sondern muss im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit nach zukunftsweisenden Gestaltungsmöglichkeiten suchen. Dies ist das zentrale Anliegen der Arbeitsgruppe, in der Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen im Rahmen eines Projekts an der Entwicklung eines variablen Raumkonzepts arbeiten, das den vielfältigen Ansprüchen an eine Schule, die Lern- und Erfahrungsraum für Kinder und Jugendliche sein soll, gerecht werden kann.
Eine Schule der Zukunft muss auf eine Lebensgestaltung ausgerichtet sein, die Selbstbestimmung und Verantwortung für die Gemeinschaft einschließt. Wenn Schule sich auch als ein Übungsfeld für demokratisches Handeln versteht, sind die Mitsprache, Mitgestaltung und Mitverantwortung der Schüler/innen notwendig. Zur Entfaltung von Fähigkeiten und Haltungen in den verschiedensten Bereichen brauchen Schüler/innen Räume, die ihnen ein hohes Maß an Sicherheit und Geborgenheit gewährleisten. […] In einem zukunftsorientierten Unterricht müssen unterschiedliche Lernformen zum Einsatz kommen: Lernen im Spiel, informierendes Lernen, übendes und wiederholendes Lernen, entdeckendes Lernen, offenes Lernen, projektorientiertes Lernen, Lernen in Gespräch.
Neben dem gemeinsamen, gebundenen Unterricht wird das selbständige, selbstgesteuerte Lernen, die handlungsorientierte, selbsttätige Aneignung von Kompetenzen noch weit mehr an Bedeutung gewinnen.“

Die Integration von Kultur als lebendiger Bestandteil ‚ganzheitlicher‘ Bildung erfordert also nicht nur den Aus- und Umbau von Ganztags-Gesamtschulen, sondern auch ein Weiter- und Umdenken im bildungspolitischen Bewusstsein mit dem Hauptaugenmerk auf die Entwicklungschancen junger Menschen zu selbstbestimmt handelnden, politisch, kulturell und sozial engagierten „Citoyens“ (bzw. „Netoyens“) zur Realisierung einer Partizipatorischen Demokratie.

Dazu sind Initiativen wie KINDER ZUM OLYMP! ein wichtiger Schritt (auch wenn mir diese hochtrabend-euphemistische Benennung nicht sonderlich gefällt), denn das Vernetzungskonzept mit der Einbindung von Social und Cultural Networks eröffnet enorme Möglichkeiten zum Erfahrungs- und Wissensaustausch über den jeweiligen Schulhorizont hinaus – es gibt ja auch schon einige universitäre und ehrenamtliche Anlaufstellen für überregionale Zusammenarbeit wie etwa Kulturvermittlung-online.de  (via) – vor Ort könnten Kooperationen mit regionalen Künstlern und Kultureinrichtungen organisiert werden (etwa Patenschaften von Musikschulen und Ateliers für Schulprojekte) und es entstünde dabei sogar eine Win-Win-Situation. Dabei muss man gar nicht mal warten, bis die Bildungspolitik alle guten Ansätze in ihren Mühlen bürokratiegerecht zermahlen legitimiert hat, denn Hey! Ihr Lehrer, Künstler, Eltern: ihr trefft euch sicher auch privat gelegentlich auf Konzerten, bei Ausstellungen, im Theater – da kann man sich doch danach mal z’sammhocken und bei am lockeren Bierchen was Sinnvolles anleiern …

Doch bis sich auf gesellschaftspolitischer Ebene was ändert, gilt das Wort des Spötters:
„Wenn sich der Erfolg von Bildungspolitik an der Zahl ausgebildeter Erbsenzähler mit unterkomplexen Weltanschauungen bemisst, wird die Verwaltung gesellschaftlicher Monokulturen freilich einfacher.“

wf

(Artikel als PDF)

4 Gedanken zu „Kulturelle Bildung in der Schule“

  1. Dein Spott wird wohl noch länger ins Schwarze treffen, denn ein Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik wird, wenn überhaupt, erst stattfinden, wenn die geistigen Monokulturen nicht mal mehr Erbsenzähler hergeben…

  2. Für alle Leute, die meinen, daß Ökonomen nicht auch Kultur haben können, dieser Literaturhinweis:

    http://mitpress.mit.edu/catalog/item/default.asp?ttype=2&tid=11658
    Revisiting Keynes – The MIT Press

    Freilich wurde und wird Keynes mit seinen Vorstellungen vom „guten Leben“ bis heute nicht wirklich verstanden. Vielleicht sollte man auch deshalb wieder an die „Wurzeln der Demokratie“ zurückgehen:

    http://www.velbrueck-wissenschaft.de/produkt.php?isbn=3-938808-34-9&sub=2&precat=&kw=
    Die Wurzeln der Demokratie

  3. Gute Lektüretipps, Markus. Ergänzend erlaube ich mir, hier gleich die Zusammenfassung zu Richters „Wurzeln der Demokratie“ reinzustellen, weil die Begriffe „Citoyen“ und „partizipatorische Demokratie“ damit ganz gut skizziert sind und also dieser Kurztext selber schon als Diskuranregung dienen kann – und eben zur Thematik dieses Blogs passt:

    Emanuel Richter – Die Wurzeln der Demokratie

    „Das Bekenntnis zu einer bürgerzentrierten Demokratie, das in den Varianten der Diskurstheorie, des Kommunitarismus, der republikanischen Modelle oder den Theorien der Anerkennung an der einen oder anderen Stelle zum Vorschein kommt, gerät immer wieder in ähnlicher Hinsicht in Zweifel: Setzt nicht das Ideal einer argumentativen, herrschaftsfreien öffentlichen Verständigung der Bürger ein demokratisches Ethos schon voraus, obwohl dieses erst begründet werden soll? Muss nicht in allen diesen gesellschaftstheoretischen Varianten eine übergreifende ethische Handlungsanweisung in Erscheinung treten, über deren Ressourcen die Demokratietheorie selbst nicht plausibel aufzuklären vermag? Ganz offenkundig fehlt in den verschiedenen Varianten einer partizipatorischen Demokratietheorie eine einsichtige und hinreichende Herleitung der intrinsischen Motive, der gesellschaftlichen Antriebe und der moralischen Quellen, auf deren Basis überhaupt erst Gründe und Kräfte erkennbar werden, um sich auf eine lernbereite Kooperation auf dem Fundament wechselseitigen Respekts
    einzulassen.
    Die Lösung deutet sich darin an, dass wir als Einzelne erst durch eine Praxis der Begegnung in Stand gesetzt werden, uns Erkenntnisse über die ethischen Grundlagen der „“ sozialen „“ Existenzform des Menschen zu erschließen.
    In der Politik, insbesondere durch die demokratische Begegnung, entfaltet sich erst das kognitive und praktische Vermögen der Menschen „“ als Bürger. Der Mensch »entdeckt« durch seine Teilhabe am öffentlichen Leben die allgemeinen Grundbedingungen und die besonderen Implikationen seiner Existenz. Interaktion ist ein erhellender Grundmodus der menschlichen Lebensform. Die für die Begründung der Demokratie erforderlichen ethischen
    Handlungsmaximen werden also durch den Vollzug von Kooperation erkennbar: nämlich als das Postulat der Begegnung möglichst Aller als möglichst Gleiche.
    Erst durch die Verknüpfung von menschlicher Selbstkonstituierung mit der gesellschaftlichen Kooperation gelangt man zu einer normativen Demokratietheorie, die nicht auf externe Quellen ihrer ethischen Fundierung zurückgreifen muss.
    Das Buch dient dem Nachweis, dass die Demokratie die einzige politische Organisationsform darstellt, die dem grundlegenden menschlichen Selbstverständnis entspricht. Demokratie liefert den politischen Ausdruck für die Unausweichlichkeit von sozialer Interaktion, sie ist in der sozialen Existenzform des Menschen verwurzelt.
    Sie stellt das Pendant dar zu unserem menschlichen Selbstverständnis als soziale, auf Interaktion angewiesene Lebewesen, das immer neuer Stufen der authentischen Verwirklichung bedarf. So, wie jedem Menschen die gleiche Anerkennung und die Möglichkeit zu intensiver Interaktion zukommen sollten, ist die Demokratie als egalitäre und partizipative Interaktion auszurichten. Eine »Stimme« in der Demokratie zu besitzen heißt nicht nur, ein »Votum« zu haben, sondern „“ viel umfassender „“ ausgiebig »zu Wort zu kommen«. Die Demokratie zielt auf paritätische Begegnung, auf Interaktion unter Gleichen,
    auf größtmöglichen gegenseitigen Austausch. Sie ruft beständig nach neuen Formen ihrer Verwirklichung, die unter wechselnden zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen
    die Nähe zwischen der Politik und den Grundmechanismen der sozialen Interaktion herstellen. Jacques Derrida hatte dafür das treffende Bild von der »démocratie í  venir« geprägt.“

  4. Pingback: Philosophische Schnipsel » Die Sprache weiblicher Kurven

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