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André Gorz zeigt Auswege aus dem Kapitalismus

Andre Gorz

 „Eines Tages muss sich der Kapitalismus seine Kunden kaufen, indem er Zahlungsmittel umsonst verteilt.“ (André Gorz)

Was der berühmte Philosoph und Soziologe André Gorz da so scheinbar weltfremd in einem Interview schon 2004 in den Denkraum stellte, ist ja nun in Form der Abwrackprämie und anderer alimentierter Konsumermöglichungen Wirklichkeit geworden. 

Andre Gorz

André Gorz

Jetzt ist posthum das letzte Buch des linken Vordenkers, den ich nach seinem Freitod im September 2007 hier schon mal vorgestellt hatte, erschienen: „Auswege aus dem Kapitalismus: Beiträge zur politischen Ökologie“, dessen Texte er kurz vor seinem Tod zusammenstellte. Darin fasst er ein letztes Mal seine Ideen zusammen.

Schön, dass 3sat- Kulturzeit aus diesem Anlass dem ‚Utopist der Gegenentwürfe‘ und seinem nachdenkenswerten Vermächtnis nun wieder einmal die verdiente (und dringend nötige!) Aufmerksamkeit widmete:

„In seinem letzten Buch bekräftigt André Gorz noch einmal, was er schon als junger Mann in seinem Buch „Der Verräter“ dargestellt hat: Die völlige Entfremdung des Menschen.
Damals glaubte er, in der radikalen Analyse seines eigenen falschen, angepassten Ich einen Ausweg zu finden. Schließlich zog er sich ganz aufs Land zurück, auf der Suche nach einer alternativen, freieren Lebenswelt. Auch sein Buch „Wege ins Paradies“ schrieb er hier und erfand ständig neue Konzepte, wie der uralte Menschheitstraum zu verwirklichen sei, ein würdiges Leben ohne Fronarbeit zu führen.
Wie könnten die zivilen Auswege aus dem kapitalistischen Zwangssystem aussehen? Seine Thesen waren: Die Ressourcen werden knapper, der ökonomische Schrumpfungsprozess wird unausweichlich. Doch in der Krise scheint es, als wachen die Menschen aus dem Konsumrausch auf und erkennen, dass weniger konsumieren, besser leben heißt. Die Diktatur über die Bedürfnisse verliert an Kraft, wenn der Mensch erfährt, dass er mit weniger mehr schaffen kann, dass er im genügsamen Überfluss bei weitaus weniger Arbeit viel besser, angstfreier und freundschaftlicher mit anderen zusammenlebt.

Geld fungiert wieder als einfaches Tauschmittel, das sich auf den regionalen Tauschkreislauf beschränkt. Die Angst vor Zins und Tilgung hat ein Ende. Gorz setzte seine ganze Hoffnung auf die heraufziehende Wissensgesellschaft, auf die Lebensphilosophie der freien Softwareproduzenten, für die Information einen gemeinschaftlichen, unentgeltlichen, unverwüstlichen Wert besitzt. Der Tauschwert von Linux beispielsweise sei gleich Null und für jedermann frei nutzbar. Die neue Wissensgesellschaft besitze die Grundzüge eines Protokommunismus. Der Mensch ist kein Erfüllungsgehilfe der kapitalistischen Megamaschine mehr.

Mit der freien Software werde die Selbstproduktion in eigenen digitalen Fabriken möglich. Jeder Gebrauchsgegenstand lasse sich herstellen. Das dazugehörige Programm könne man sich einfach aus dem Netz holen oder sein eigenes Allen zur Verfügung stellen.
Sein ganzes Leben lang hat Gorz darüber nachgedacht, wie der Mensch sich von qualvoller entfremdeter Lohnarbeit befreien und sein Leben in Würde gestalten kann. Er selbst hatte mit seiner eigenen bescheidenen Lebensführung vorgeführt, dass ein Leben jenseits von Konsum und Warenflut möglich ist. Seine ausgeprägte Sensibilität für gesellschaftliche Entfremdungsprozesse hat uns den Blick auf eine bessere Zukunft geöffnet.“

(Auszug aus dem Beitragstext von Henning Burk)

André Gorz
„Auswege aus dem Kapitalismus: Beiträge zur politischen Ökologie“
Rotpunktverlag 2009
ISBN-13: 978-3858693914

wf/ 3sat-Kulturzeit

6 Gedanken zu „André Gorz zeigt Auswege aus dem Kapitalismus“

  1. Andre Gorz begründet ja den freien Austausch und die Nutzung von Kulturgütern in einer Wissensgesellschaft. Seine Argumente passen gut zur laufenden Urhebberrechts-Diskussion und er hätte die GEMA-Petition bestimmt unterstützt. Das Schaffen von Kultur sollte ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein und eine Basisfinanzierung der Künstler durch das von Gorz geforderte bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht werden.
    Übrigens: wenn ich als Lehrer etwas ins Curriculum einbringe, erhalte ich dafür auch keine Tantiemen ;-)

  2. Wenn ‚der Kapitalismus‘ die Zahlungsmittel umsonst verteilt, erntet er Inflation.
    Ach, immer diese ‚Kapitalismus‘-Theoretiker! Ausweg aus dem Kapitalismus: als ob der Kapitalismus ein Labyrinth wäre oder eine Schachtel, von der man nur den Deckel zu heben brauchte. Wie würde denn Gorz heute ‚Kapitalismus‘ definieren? In Zeiten der Verstaatlichung… Außerdem sind die Kapitalismen so vielfältig wie die Schuhe im Schuhladen.

  3. Wahrscheinlich ist Gorz mit seiner Prognose der kapitalismusbefreiten Wissensgesellschaft zu optimistisch gewesen.

    Auch Sozialphilosophen mit Interesse für die Ökonomie sollten daher wissen, daß und wie „Reichtum Armut schafft“.

    http://www.papyrossa.de/sites_buchtitel/zinn_reichtum.htm
    Zinn – Wie Reichtum Armut schafft

    @ Gedankenpflug

    Die Kapitalismen sind tatsächlich so vielfältig wie Schuhe im Schuhladen. Nur leider hat sich in der Praxis lediglich die „radikale“ Variante des Neoliberalismus durchgesetzt, mit den bekannten Folgen, die jetzt der Staat, d.h. wir alle auszubaden haben.

  4. @ Markus
    Ist die Praxis wirklich so einheitlich? Hat sich wirklich „lediglich die ‚radikale‘ Variante des Neoliberalismus durchgesetzt“? Ganz abgesehen davon, dass ‚Neoliberalismus‘ mir ein noch schwammigerer Begriff als ‚Kapitalismus‘ zu sein scheint, hast Du zum Beispiel für den Finanzsektor wahrscheinlich nicht Unrecht. Aber schau Dir dagegen die deutsche Sozialquote an, und ich weiß nicht mehr, ob man durchgängig von ‚radikalem Neoliberalismus‘ sprechen sollte. Mein Plädoyer: ein bisschen mehr auf Unterschiede, Feinheiten, Ambivalenzen achten.

  5. @ Gedankenpflug

    Wenn Du Dich für Unterschiede, Feinheiten und Ambivalenzen in der heutigen „neoliberalen Marktgesellschaft“ interessierst, dann könnte dieser Link nützlich sein:

    http://www.jjahnke.net/index.html
    Informationsportal Globalisierung – Standort Deutschland – Neoliberalismus – Falsche Rezepte, Joachim Jahnke

  6. Also ich würde Neoliberalismus so umreißen, dass es die marktradikale Variante des Liberalismus, die u. a. auf von Hayek und von Mises zurückgeht, ist mit der neoklassischen Wirtschaftstheorie als Fundament. Die Neoklassik entstammt wiederum einer Bewegung der akademischen Ökonomen aufgrund eines Gefühls des Mangels an Exaktheit ggü. den Naturwissenschaften am Ende des 19. Jh.. Daher bediente man sich zunehmend mathematischer Methodik und vergaß darüber, den Datenabgleich mit der Realität. Bis in die heutige Zeit gilt aber die Theorie als so „schön“ oder auch „elegant“, dass man sich trotz ihrer fast nicht vorhandenen Anwendbarkeit nicht von ihr verabschieden will.

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