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Die Synergie nach dem „Knacks“

Höchstwahrscheinlich hätte sich die Spezies Mensch ohne das Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren nicht entwickeln können. Es bedurfte dieses ‚Knacks‘ in der Evolution, um Neues entstehen zu lassen, der Zusammenbruch als Chance, wie ihn auch die meisten Menschen in ihrem Leben ein- oder mehrmals ‚im Kleinen‘ durchleiden. Der Publizist Roger Willemsen hat sich des Themas in seinem literarischen Essay „Der Knacks“ angenommen und war deshalb zusammen mit dem Psychologen Günter Schiepek und Evolutionsforscher Franz Wuketits zu Gast in der gestrigen Scobel-Sendung.

der knacks - willemsenWillemsens Blickwinkel richtete sich mehr auf  den subjektiven Umgang mit extremen Unglückssituationen und Traumatisierungen, auch auf Übergänge, wenn etwa jugendlich überbordender Lebenswille und Gefühle der Entgrenzung denen der Melancholie oder abgeklärter ‚Weisheit‘ weichen. Dem ließe sich ja auch was abgewinnen, denn „Liebe ist interessanter, wenn sie mit dem Mangel korrespondiert“ – zumindest literarisch.
Oder wenn man gar wie etwa Klaus Kinsky, Amy Whinehouse oder Robbie Williams den „Knacks als Marke“ kultiviere, wobei das für uns ‚Normalos‘, als gesellige Lebewesen, durch das ‚Stellvertreterleiden‘ und die Fallhöhe dieser messianischen Figuren in der Form von Klatsch & Tratsch der Selbstwertregulation dienen könne.

Dabei sind „Knackse“ laut Willemsen meist keine plötzlichen Brüche, sondern die Bewegungen nichtlinearer Prozesse, die sich langsam und oft kaum wahrnehmbar ins Innere fressen. Dieser ‚Strom der Enttäuschungen‘ könne nicht umgedreht werden.
Aus der Sicht Günter Schiepeks gehe es in der Psychotherapie darum, diese Prozesse sichtbar zu machen und den „positiven Knacks“ in einer Therapie kommen zu sehen. Dazu hat er zusammen mit dem Physiker Hermann Haken eine „mathematische Matrix“ entwickelt, die es mittels eines Monitoringverfahrens ermöglicht, die kritischen Veränderungen im Befinden der Patienten ausfindig zu machen.
Begleitet wird dieses Verfahren von neurobiologischen Messmethoden, die auf andere Weise zeigen können, dass sich etwas im Gehirn der Patienten verändert – und dies unabhängig von der Therapiemethode, die angewendet wird. Aufgabe der Therapie ist es, den Knacks im Negativen in einen „positiven Knacks“ zu überführen, also durch die Therapie den Patienten kontrolliert so zu destabilisieren, dass er sein Schneckenhaus, in dem er sich eingerichtet hat, aufgeben muss, um sich neu zu finden. Genau diesen Übergang kann man – wie den Übergang in anderen komplexen Systemen, auch denen der Physik – ausfindig machen.

Diesen Prozess kann man als Selbstorganisation auffassen, wofür Hermann Haken den Begriff der Synergetik prägte:  „Synergetik bedeutet die Lehre vom Zusammenwirken und befasst sich damit, wie einzelne Teile durch ihr Zusammenwirken völlig neue Eigenschaften eines Systems hervorbringen können.“ Eine Ordnung wandelt sich also über eine von außen angeregte Instabilität in eine neue Ordnung.
„Wenn wir in der Frage der Selbstorganisation weitergehen, dann kommen wir zu einer These, die ich schon vor mehr als 30 Jahren aufgestellt habe“, so Hermann Haken, „Auch unser menschliches Gehirn ist ein sich selbstorganisierendes System, das vor allem den Prinzipien der Synergetik gehorcht.“

Die Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaft haben Hermann Hakens These bestätigt. Das Gehirn ist keine lineare Input-Output-Maschine, sondern erzeugt auf nichtlineare Weise dynamische Aktivierungs- und Synchronisationsmuster. Es operiert im Zustand der Selbstorganisation immer am Rande der Instabilität.
Diese Veränderungs- und Selbstorganisationsprozesse sind (wie schon der Buddhismus lehrt) die Grundprinzipien allen Lebens, auch der Entwicklung menschlicher Gesellschaften und natürlich der gesamten Evolution, die Franz Wuketits als „Abfolge von Krisen und Katastrophen ohne Zielrichtung“ sieht.

kollaps - diamondEin Blick in die Geschichte zeigt, wie ökologische Brüche Gesellschaften veränderten. Der amerikanische Evolutionsbiologe Jared Diamond hat in seinem Buch „Kollaps“ ökologische Katastrophen beschrieben, die zu einem gesellschaftlichen Untergang – einem Kollaps – führten, weil der Weitblick fehlte und die Probleme nicht im Einklang mit der Natur gelöst wurden. Die Bewohner der Osterinsel etwa brauchten für den Transport ihrer Steinfiguren eine Unmenge von Holz. Der Kahlschlag der Wälder führte zu einer Bodenerosion und Verknappung der Nahrungsmittel. Die Folge: Die Inselbewohner verhungerten.

Denselben Fehler machten die Wikinger auf Grönland. Auch sie plünderten den Wald und zerstörten das Weideland. Als eine Klimaverschiebung bevorstand, fehlten die Nahrungsmittel. Eine Knochenanalyse zeigte: Die Wikinger holten nur 20 Prozent ihrer Speisen aus dem Meer. Die Inuit dagegen ernährten sich hauptsächlich von Robben und Walfischen – und überlebten. Aber das wollten die Wikinger nicht lernen.

Auch heute stehen wir vor dem Problem, dass ökonomische Interessen das ökologische Gleichgewicht gefährden.
Jared Diamond sagt: „Ich bin trotzdem optimistisch oder halboptimistisch, und zwar deshalb, weil wir heute die einzige Gesellschaft in der Geschichte sind, die die Möglichkeit hat, aus der Vergangenheit ihre Schlüsse zu ziehen.“
Ökologische Katastrophen sind wesentliche Bestandteile der Zivilisationsgeschichte und führen zu einem Zusammenbruch von Illusionen, zur Entwicklung neuer Verhaltensmuster, zu grundlegenden Veränderungen der Kulturen.
Wie gut sind Menschen in der Lage, aus den Brüchen der Geschichte zu lernen und überlebensnotwendige Strategien zu finden? Durch Einsicht und Wissen könnten Kulturen vor dem Untergang geschützt werden. Eigentlich müsste das möglich sein, denn im Zeitalter der Globalisierung herrscht ein reger Austausch von Informationen. Organisationen und Staaten sind miteinander vernetzt. Allerdings führt das auch dazu, dass eine Krise die nächste nach sich zieht.
„Das Risiko, das jetzt vor uns schwebt, ist das Risiko eines Zerfalls der Kultur auf der Welt“, sagt Diamond: „In der Vergangenheit konnte die Osterinsel allein zugrunde gehen. Heutzutage ist das unmöglich. Entweder lösen wir alle zusammen die Probleme oder wir gehen alle zusammen in den Abgrund.“

Besitzen wir den Willen, die Intelligenz und die Organisationen, die für eine Krisenbewältigung benötigt werden oder wollen wir doch lieber zulassen, dass aus den Synergien nach dem großen „Knacks“ wieder Neues, vielleicht Besseres entsteht?

wf/ 3sat-Scobel (9.10.08)

3 Gedanken zu „Die Synergie nach dem „Knacks““

  1. Wenn man die hypothetische Frage, ob wir den Willen, die Intelligenz und die Organisation, die für eine Krisenbewältigung benötigt wird, besitzen, auf die nicht minder wichtige Angelegenheit der Krisenvorbeugung beziehen würden, müßte man angesichts vergangener (die zahlreichen Kriege) und gegenwärtiger (die globale Finanzkrise) Krisen und Katastrophen eigentlich eine wenig optimistische Antwort geben.

    Da die Krisen von heute aber keine streng abgrenzbaren Ereignisse von nur relativ wenigen mit den negativen Folgen betroffenen Menschen mehr sind, sondern mehr oder minder die gesamte Menschheit betreffen, ist zumindest zu hoffen, daß sich der urtümliche Überlebenswille des Homo sapiens nicht selbst zur Strecke bringen wird. Die menschliche Fähigkeit, aus der Vergangenheit Schlüsse ziehen zu können und aus einem „großen Knacks“ wieder Neues und vielleicht sogar Besseres entstehen zu lassen, könnte dabei zum zentralen Vorteil werden, Wissen und Einsicht um das „Unvermeidliche“ nicht verkümmern zu lassen.

  2. @Psychotherapeut: Normalerweise werden Kommentare, die keinen Kritik- oder Informationsgehalt zum jeweiligen Artikelthema haben, von mir als Spam gelöscht. Ich lass deinen jetzt mal stehen, um eben darauf nochmal hinzuweisen, dass Lobhudeleien, Trolliges oder allgemeine Solidaritätsbekundungen hier nicht ausreichen, um mit einem Backlink auf sich aufmerksam zu machen. A bisserl Themenbezug darfs dann doch schon sein…

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