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Ein Anarchist der Liebe

Brecht - Liebesgedichte

In der öffentlichen Rezeption wurde und wird Bertolt Brecht hauptsächlich als gesellschaftskritischer, oft dogmatisch agierender marxistischer Bühnenautor wahrgenommen, der das epische Theater des 20. Jahrhunderts revolutionierte und dessen Lehrstücke heute noch zu den weltweit am häufigsten gespielten zählen. Der für ihn notwendige Gebrauchswert seiner Texte zielte auf politische Veränderung, und so folgen auch viele seiner Gedichte, vor allem die von Kurt Weill und Hanns Eisler vertonten, der unmittelbaren Wirkungsabsicht leicht verständlicher Sinn- und Bildhaftigkeit.

Brecht LiebesgedichteNachdem der Suhrkamp Verlag 1976 Brechts „Gesammelte Gedichte in vier Bänden“ herausgegeben hatte, erschien dort 2006 diese von Werner Hecht neu zusammengestellte Auswahl der „Liebesgedichte“ mit einigen bisher unveröffentlichten Texten, die mit Rücksicht auf bestimmte Geliebte vorher zurückgehaltenen worden waren.
Den „gesitteten“ Autor hat Brecht ja zeitlebens nicht gegeben – und so ist es wenig überraschend, dass er sich in seiner Lyrik ebenfalls nicht um moralische Etikette und „political correctness“ scherte. Stattdessen wählte er die Mittel einer unverstellt volksnahen, oft sexuellen Sprache, die den Leser derb und frivol direkt aus der Szene anspringt und so das jeweilige „lyrische Ich“ als agierendes und leidendes Subjekt lebendig macht.

Durch die chronologische Anordnung der Gedichte (1917-1956) lässt sich auch Brechts Wandel vom frühen Anarchisten zum klassenkämpferischen marxistischen Provokateur und letztlich welt- und liebesbejahenden Utopisten nachempfinden.
Die hier ausgewählten Texte erheben zwar genregemäß nicht den agitatorisch-politischen Anspruch wie der Großteil seiner anderen, oft dialektisch belehrenden Arbeiten, doch spiegelt sich auch in den frühen Gedichten der Nihilismus des jungen Brecht, das „Baalsche Weltgefühl„, in der ungeschönten, oft krassen Darstellung des asozialen Materialismus einer Gesellschaft, in der die Liebe keinen Bestand haben kann, zur rein animalischen Triebabfuhr wird und kurz auflebende Gefühle im schnellen Vergessen versinken. Diese Wandelbarkeit aller menschlichen Gefühle symbolisiert Brecht oft in Naturbildern, etwa der „Wolke“, die durch etliche Gedichte schwebt. Wie in dem schon in der Gedichtsammlung „Hauspostille“ (1927) veröffentlichten Text „Erinnerung an die Marie A.“, in dem die Naturkulisse als Bild die Erinnerung an „jene Frau“ überlebt: „Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer /[…] / Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen / Wenn nicht die Wolke da gewesen wär“.

In dem thematischen Umfeld der Vergänglichkeit von Erotik und sexueller Attraktivität bewegen sich auch die anderen frühen Gedichte, etwa das Sonett „Entdeckung an einer jungen Frau“, in der eine graue Strähne den körperlichen Verfall ankündigt und es deshalb keine Zeit zu vergeuden gilt: „Doch nütze deine Zeit, das ist das Schlimme / Daß du so zwischen Tür und Angel stehst / Und laß uns die Gespräche rascher treiben / Denn wir vergaßen ganz, daß du vergehst“.

Zwar bleiben bei Brecht auch nach seiner dezidierten Hinwendung zum Kommunismus Mitte der 1920er-Jahre die pessimistische Grundhaltung und die Vergänglichkeitsthematik die Leitmotive seiner Gedichte, werden aber nun nicht mehr allein durch die menschliche Unzulänglichkeit begründet, sondern zunehmend durch die sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen einer Gesellschaft, in der auch die Realisierbarkeit von Liebe an ökonomische Umstände gebunden ist. Für das Verkommen der Liebe in der kapitalistischen Warenwelt stehen die Dirnen, denen Brecht häufig sehnsüchtig-klagende, aber auch desillusionierte und zynische Stimmen verleiht. Die „Nanna“ etwa „Lernte auf der Liebesmeß / Lust in Kleingeld zu verwandeln“ und erkennt am Ende „Gottseidank geht alles schnell vorüber / Auch die Liebe und der Kummer sogar / Wo sind die Tränen von gestern abend? / Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?“

Diese Resignation entlarvt jede romantische Idealisierung und Heuchelei, wenn es wie im „Kuppellied“ heißt: „Ach, was soll des roten Mondes Anblick / Auf dem Wasser, wenn der Zaster fehlt? /[…] / Gute Mädchen lieben nie / Einen Herrn, der nichts verzehrt / Und der Grund ist: Geld macht sinnlich / wie uns die Erfahrung lehrt.“ Die zum Überleben notwendige kapitalistische Hurenphilosophie gipfelt im Refrain des „Lied der Jenny“ (aus der „Mahagonny-Oper„), wenn sie die berühmten Zeilen singt: „Denn wie man sich bettet, so liegt man / Es deckt einen keiner da zu / Und wenn einer tritt, dann bin ich es / Und wird einer getreten, dann bist’s du.“

Hat also die Liebe als positives Lebensgefühl bei Brecht gar keine Chance? Wenn man die Liebe als Vermittlerin und Grenzgängerin zwischen den individuellen Sehnsüchten, sozialen Realitäten und der Idee von einer humaneren Gesellschaft wirken lässt, kann sie zur Basis eines persönlichen, gesteigerten Glücksgefühls werden, denn: „Wenn ich liebe, wenn ich fühle / Werd ich wieder heiß.“ Die Liebe als Ausdruck freundlicher zwischenmenschlicher Beziehungen in einer künftigen Zeit, da „der Mensch dem Menschen ein Helfer“ sein solle, in der Utopie einer Gesellschaft mit sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit als Voraussetzung, um „die Liebe in völligen Einklang mit anderen Produktionen zu bringen“.

Wie immer man auch zu Brechts Intentionen als politischer Wirkungsdichter stehen mag, diese Gedichtauswahl mit teils neuen, teils wohlbekannten Versen überrascht durch ungestüme, subjektive Radikalität und zeigt einen Dichter, der auch in intimen Liebesangelegenheiten alle Hüllen fallen lässt und ohne verschwurbelte Sentimentalität sämtliche Facetten zwischen Lust und Verzweiflung, Resignation und Hoffnung als emotionalen Treibstoff für die Inspiration zur aktiven gesellschaftlichen Teilhabe in freche Verse gießt.

Bertolt Brecht: Liebesgedichte.
Ausgewählt von Werner Hecht.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
118 Seiten, 5,00 EUR
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© wf (auch in „Literaturkritik.de“)


Musikvideo „Nanna’s Lied“ (Brecht/ Weill)

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