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Vom Rand der Schüssel

Eine philosophische Kletterbeobachtung


Weil Alles dem Gesetz der Schwerkraft unterliegt, scheint es ziemlich natürlich, dass sich in einer Schüssel die meisten darin enthaltenen Teilchen auf derem Boden befinden. Denn wer sich auf diesem Schüsselgrund einrichtet, dem wird keine Anstrengung abverlangt, diesen physikalischen Normalzustand zu verändern.
Allerdings wird mancher, der vom Grund der Schüssel emporschaut, wissen wollen, was denn der Blick von dort oben, vom Rand aus, frei gäbe. Das tun aber nur wenige, da ja schon das Aufrichten des Kopfes Anstrengung erfordert und dazu mindestens ein Innehalten von der kaum bewussten, wenigdimensional ausgerichteten Tätigkeit am Grund der Schüssel erforderlich wäre.
Immerhin lesen die wenigen Aufschauenden dann die Bücher derer, von denen sie glauben, sie hätten den Rand der Schüssel erklommen – und dann wundern sie sich, dass in diesen Gedanken nicht immer derselbe Blickwinkel dargestellt wird. Denn sie vergessen, dass man den Rand der Schüssel auf verschiedenen Wegen und auf gegenüberliegenden Seiten erreichen kann. Zudem gehen sie von der falschen Vorstellung aus, der Schüsselrand sei ebenmäßig und überall gleich hoch.
In Wirklichkeit ist er gezackt wie bei einem aufgeschlagenen, hohlen Ei und der Ausblick ins wuselige Innere sowie nach dem unendlich geweiteten Draußen somit recht unterschiedlich.
Einige freilich hatten den Rand auf gleichen Wegen und in enger Nähe zueinander erklommen und also einen recht ähnlichen Blickwinkel. Und manche steigen dann wie auf Felsengraten weiter, um andere Zinnen zu erkunden.
Allen aber, die sich vom Grund aus auf den Weg gemacht hatten, jemals die Grate bestiegen oder gar Gipfel erreicht, ist gemeinsam:
Die Veränderung des Blicks ins Vieldimensionale, die Freude über schon überwundene Anstrengungen, die Aussicht auf noch kommende Höhen und das lächelnde, sich gegenseitige Erkennen.

wf

2 Gedanken zu „Vom Rand der Schüssel“

  1. Nun hat diese kleine Parabel zu Nietzsches Idee vom ‚Übermenschen‘ ein metaphorisches Geschwisterchen bekommen: Peter Sloterdijk bezeichnet das, was hier mit ‚Grund der Schüssel‘ gemeint ist, in seinem neuen Buch „Du mußt dein Leben ändern“ als ‚Basislager‘, von dem aus die Klettertouren der Wenigen erfolgen und ergänzt, dass für erfolgreiche Gipfelunternehmungen eine hohe ‚vertikale Spannung‘ (also ‚Willen zur Macht‘) nötig sei ;))
    Mehr zu seinem geistreichen Monsteressay demnächst hier …

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