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Wem tut der Literaturnobelpreis für Bob Dylan gut?

Bob Dylan 1984

Der Mann reagiert scheinbar gar nicht auf die wohl höchste Auszeichnung (zumindest in Sachen Preisgeld), die einem Lyriker zuteil werden kann. Keine Antwort auf Emails und Telefonate von der Jury, und deshalb titelte die SZ heut morgen besorgt: „Bob Dylan, bitte melde dich!“ Mitgekriegt wird der Songwriter seine Belobigung wohl haben, denn ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals so einen Medienhype gab bei der Kür eines Literaturnobelpreisträgers wie in diesem Jahr. Könnte aber sein, dass es sich so verhält wie Heinrich Detering, Literaturwissenschaftler, Dylan-Fan und Präsident der Akademie der deutschen Sprache und Dichtung, schon im Mai dieses Jahres in einem Interview im Deutschlandradio vermutete: „Dylan braucht den Nobelpreis nicht, aber dem Nobelpreis täte Dylan gut.“

Bob Dylan 1984

Bob Dylan 1984

Dylan war zwar schon lange in der Gerüchteküche gehandelt worden, doch ernsthaft glaubten nur wenige daran. Und mancher hielt diese Ehrung Dylans gar für einen Scherz wie etwa der öffentlich-rechtliche Buchbesprecher Denis Scheck: „Gelegentlich erlaubt sich die Akademie ein ‚Späßken'“, meinte er kurz nach der Bekanntgabe des Preises und schob nach: „Die Auszeichnung von Bob Dylan ist genauso ein Witz wie es die von Dario Fo war. Am besten, man lacht mit.“ Denn: „Er ist wirklich kein passender Kandidat für den Literaturnobelpreis. Ich glaube, sie wollten ihn eigentlich Donald Duck geben und hatten die Telefonnummer nicht.“ Dario Fo ist genau am Tag von Dylans Preisverleihung verstorben und für meinen Geschmack hat der TV-Moderator (der seine Büchersendung übrigens selber gern mit American Indie Folk-Rock unterlegt) in seinem notorischen Distinktionsgewinnstreben hier die Grenze zwischen Polemik und persönlicher Herabsetzung wieder mal überschritten; oder wollte er sich damit nur als neuer Hanswurst für „Die Anstalt“ bewerben?

Die meisten Stimmen zur Preisverleihung aber waren positiv. Auch Detering, der eine viel gelobte Dylan-Biographie herausgegeben hat, hielt das für „eine schöne Entscheidung“, weil es Dylan wie keinem anderen Musiker gelänge, die Unterscheidung zwischen Lyrik und musikalischen Lyrics zu verwischen, indem er „Lyrics mit literarisch hohem Anspruch“ schreibe. Dylan verknüpfe in seinen Liedern die Traditionen der romantischen Songkultur mit denen des Blues und des Gospel, er collagiere in seinen Texten kunstvoll Zitate von Homer, Ovid oder Shakespeare und erfülle damit „alles, was wir von Weltliteratur erwarten“.
Und so ist für Detering die Entscheidung, Dylan den Literaturnobelpreis zu verleihen, „wohl vor allem eine ästhetische Entscheidung. Und zwar eine Entscheidung, die besagt: Wir, die Schwedische Akademie, anerkennen die Existenz einer Songpoesie, die literarisch genauso relevant ist wie andere Formen von Poesie „“ auch wenn sie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt worden ist.“ Und auf die Frage, ob dieser Preisverleihung auch eine politische Bedeutung zukomme, meint der Literaturwissenschaftler: „Ich glaube, dass der politische Impact geringer ist, als man zunächst denken würde. Denn die Zeiten, in denen Dylan vor allem als politisches Sprachrohr einer Generation wahrgenommen wurde oder als Bannerträger der Bürgerrechtsbewegung oder anderer politischer Bewegungen, die sind lange vorbei.“

Tatsächlich? Sind diese Zeiten vorbei? Das kann man auch ganz anders sehen, wie etwa Kurt Kister in der SZ: „Natürlich ist die Entscheidung der Nobelpreisjury mehr als nur die Würdigung des großen Lyrikers Bob Dylan. Sie ist, wieder einmal, ein Appell. Wenn sich eine Grundhaltung durch Dylans Schaffen zieht, dann ist sie in dieser Zeile aus seinem Subterranean Homesick Blues gefangen: Don’t follow leaders, watch the parkin‘ meters – folge keinen Führern, pass auf, was die Parkuhren bedeuten. In einer Zeit, in der sich nicht nur viele Amerikaner wieder hohl dröhnenden starken Männern zuwenden, in denen der Autoritarismus mit seinen Kontrollinstrumenten (Zäunen, Überwachung, Parkuhren eben) wieder modern wird – in so einer Zeit ist es gut, Bob Dylan, dem Individualisten der Individualisten, den Nobelpreis zu verleihen.“
Da stimme ich Kurt Kister gern zu: Mit dieser Entscheidung hat die Jury auch ein Zeichen zur Verteidigung der Offenen Gesellschaft gesetzt – und zum Trost für die vielen jetzt so beleidigten Apologeten der reinen Literaturlehre, die sich beschweren, dass nicht der oder die oder jener große Name endlich mal für erworbene literarische Verdienste geehrt wurde: in politisch besseren Zeiten werdet Ihr bestimmt auch wieder was zu feiern haben, aber aktuell gilt’s, mit möglichst vielen wirkmächtigen Institutionen dem immer müder werdenden Geist der Freiheit und Unangepasstheit Gutes zu tun. Und vielleicht verteilt ja der Geehrte sein Preisgeld (das er sicher nicht zur Rentenaufbesserung braucht) dann bei der offiziellen Verleihung am 10. Dezember sogar in diesem Sinn.

Würde wahrscheinlich auch den Sozialphilosophen Axel Honneth freuen, der ein besonderes Verhältnis zu Bob Dylan hat und in dessen Songs einigen philosophischen Gehalt findet, da sie sich ja auch im Themenkreis „Anerkennung/ Outlaw „“ Gerechtigkeit „“ Freiheit“ bewegten. Das brachte Honneth schon 2006 dazu, zusammen mit Susan Neiman (Moralphilosophie), Diedrich Diederichsen (Popkultur) und Günter Amendt (Sex und Drogen), die auch alle Dylan-Fans sind, den interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Kongress „Bringing It All Back Home „“ Internationaler Bob Dylan-Kongress“ nebst zugehöriger Buchveröffentlichung zu organisieren.
Nach seiner Motivation dafür befragt, antwortete Honneth damals im SPIEGEL: „Mich hat immer interessiert, herauszufinden, ob meine Faszination für die Musik von Bob Dylan auch irgendetwas mit meinen philosophischen Interessen zu tun haben könnte „¦ Auch bei Bob Dylan geht es um die Artikulation von verschiedenen, sich ausschließenden Freiheitsbegriffen. Das berührt eng meine eigene philosophische Arbeit.“ Und Honneth  „šgesteht“˜, dass es ursprünglich „die Rockmusik war, die mir eine reflexive Distanz ermöglichte „¦ und mich politisierte“.

Ja, so ähnlich gings mir auch, damals, als ich mit sweet fifteen in den pubertären Taumel der Rock-Erweckungserlebnisse geriet und dabei als Gitarrenanfänger natürlich auch auf Dylans Songs stieß. Und „Blowin‘ in the Wind“ war dann auch das erste Liedchen, das ich mich in der Öffentlichkeit zu singen und zu spielen traute – damals, im Skilager der 9. Klasse, als auch the sexiest girl in town aus der Parallelklasse mit auf der Hütte dabei war und mir zum ersten Mal Beachtung schenkte. Aber da beginnt jetzt eine andere Geschichte, jedenfalls: Danke, Bob!

 


Hier sein etwas eigenwilliges Video zum „Subterranean Homesick Blues“ von 1965 – der Typ, der als letzter die Szene verlässt, ist übrigens Dylans alter Kumpel Allen Ginsberg ;-)

wf

2 Gedanken zu „Wem tut der Literaturnobelpreis für Bob Dylan gut?“

    1. Ja, der Cohen. Der hat sogar „richtige“ Gedichtbände und Romane geschrieben, aber so weit ich das noch im Kopf hab, eher so was von gescheiterter Liebe, Weltschmerz, Melancholie – passt nicht so recht zu Dylans gesellschaftskritischer Attitüde. Außerdem vermute ich, dass der Literaturnobelpreis nicht gesplittet werden kann, ist meines Wissens zumindest noch nie vorgekommen. Müsste man mal in den Statuten der Schwedischen Akademie nachgucken…

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