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Besser bloggen mit Karl Kraus

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Die Medienschelte ist so alt wie die Medien selbst, und häufig gab und gibt es auch berechtigten Anlass dazu, wenn monetäre oder ideologische Verstrickungen zwischen Journalisten und den Spin Doctors von Politik/ Wirtschaft/ Religion/ etc. ruchbar werden. Aber oft genug müssen „die Medien“ pauschal als Projektionsflächen für Verschwörungstheoretiker herhalten, die Alles für bedrohlich und böse halten, was jenseits ihrer geistigen Kleingartenhecke geschieht, weil sie über die ja nicht hinaussehen können und folglich nur über ein imaginiertes ‚Weltbild‘ mit unterkomplexen Erklärungsmustern verfügen.

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Karl Kraus

Ein geistiger Kleingärtner oder Verschwörungstheoretiker war der Wiener Satiriker Karl Kraus (1874-1936) bei seinem lebenslangen Kreuzzug gegen die „Pressmaffia“ allerdings ganz & garnicht, und meist gründete er seine polemischen Attacken auf beweisbare Tatsachen. So wies er etwa die Zahlung sogenannter „Pauschalien“ von etlichen Wirtschaftsunternehmen an Zeitungen nach, wodurch in mehreren Fällen deren positive Berichterstattung erkauft und Kritisches unter den Redaktionstisch gekehrt wurde. Belastbares Beweismaterial war auch nötig angesichts der vielen Verleumdungsklagen, denen er sich vor Gericht stellen musste, von denen er aber auch einige selbst gegen seine Gegner anstrengte, immer wieder erfolgreich. Kraus, der neben Philosophie und Germanistik auch Jura studiert hatte, konnte sich die Prozessiererei als wohlsituierter Erbe einer jüdischen Kaufmannsfamilie leisten, ebenso wie die Finanzierung der 1899 von ihm gegründeten Zeitschrift „Die Fackel“.

Man kann sich Die Fackel konzeptionell wie ein kultur- und medienkritisches Blog-Projekt vorstellen, bei dem von 1899 bis 1936 insgesamt 922 „Nummern“ (über 20.000 Seiten) in unregelmäßiger, zwangsloser Folge erschienen, wobei Kraus meist mehrere ‚Postings‘ zu einem Heftchen mit rotem Umschlag (etwa im Format DIN A 5) zusammenfasste. War Die Fackel in den ersten Jahren noch ein ‚Community-Projekt‘ mit diversen Gast-AutorInnen wie Peter Altenberg, Else Lasker-Schüler, Egon Friedell, Erich Mühsam oder Frank Wedekind und mit ähnlichen Zeitschriften wie etwa der satirischen Weltbühne vergleichbar, wurde sie ab 1912 von Kraus allein geschrieben und herausgegeben. Und er nahm dabei weder Rücksicht auf sein eigenes ‚Ansehen‘ in der Wiener Gesellschaft noch schonte er seine ausgemachten, oftmals mächtigen Gegner von Rang & Stand. Solche Frechheit spricht sich rum im Volk, und so hatte Kraus auch bald volle Säle bei seinen berüchtigten Vortragsabenden (er brachte es auf exakt 700 Auftritte), die von Zeitgenossen als rhetorische Glanzleistungen geschildert wurden. Zu den Highlights seines Programms zählten wohl die selbstgebastelten Schmäh-Stückerl wie etwa das »Schoberlied«, in dem er den Rücktritt des Wiener Polizeipräsidenten Schober wegen Unfähigkeit forderte (nach der Melodie »Üb immer Treu und Redlichkeit«). Und hinterher gleich der obrigkeitshörigen Justiz eins auf die Mütze: »Die bloße Mahnung an die Richter, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen, genügt nicht. Es müssten auch Vorschriften erlassen werden, wie klein das Wissen und wie groß das Gewissen sein darf.«
Die Einnahmen aus seinen Lesungen spendete Kraus fast ausnahmslos für gemeinnützige Zwecke.

Seine Hauptangriffsziele aber waren Phrasendrescherei und Sprachverlotterung („Der falsche Gebrauch von Sprache produziert auch falsche Wahrheiten“), die verfilzte Wiener Literatur-Schickeria und immer wieder die „meinungsmanipulierende Lügenpresse“, die er auch wahlweise mit Kosenamen bedachte wie „Pressköter“, „Tintenstrolche“, „geistige Jauche“, „Fanghunde der öffentlichen Meinung“, bevorzugt aber als „Journaille“ (dieser Schmäh stammt wohl aus der Wiener Theaterszene, aber K. hat Die Journaille 1902 als Überschrift des Fackel-Artikels „Die Verwüstung des Staates durch die Pressmaffia“ allgemein bekannt gemacht).

Trotz seiner zeitweiligen Popularität war sich Kraus der beschränkten (weil intellektuell zu anspruchsvollen) Wirkmöglichkeiten seiner Kunst bewusst: „Mein eigentlicher und einziger Erfolg besteht darin, die Welt, in die einzudringen mir von Natur verwehrt ist, hinreichend unsicher gemacht zu haben“ und gab sich selbstironisch: „Das gesunde Prinzip einer verkehrten Lebensweise innerhalb einer verkehrten Weltordnung hat sich an mir in jedem Betracht bewährt“ (ja genau, Adorno gehörte später zu den Bewunderern von Kraus).

karl kraus - die fackel

eine meiner Original-Fackeln

Heutzutage ist manches von Kraus schwierig zu verstehen, wenn man nicht über Insider-Kenntnisse der damaligen gesellschaftlich-politischen Verhältnisse in Wien (nebst den zugehörigen Namen) verfügt. So ging es kürzlich auch Jonathan Franzen bei der Arbeit an seinem Buch The Kraus Project: „Bei Kraus war schmerzhaft, dass wir bei einigen Sätzen auch zu dritt keinen blassen Schimmer hatten, was sie bedeuten „“ mir haben ja zwei Kraus-Spezialisten bei den Fußnoten geholfen: mein Freund Daniel Kehlmann, der österreichische Schriftsteller, und Paul Reitter, ein Literatur-Professor von der Universität Ohio.“ (Interview mit Franzen im SZ-Magazin).
Möglicherweise war Kraus‘ literarisch ausgefeilte Polemik für diese drei Herren aber auch einfach etwas zu anstrengend, wie Franzen selbst einräumt: „Kraus‘ Texte, die anfangs undurchdringlich scheinen, geben dem Leser bei jeder Lektüre ein wenig mehr preis, bis am Ende fast alles guten, klaren Sinn ergibt. Es ist, als würde man ein Puzzle lösen. Und Kraus‘ furchteinflößende formale Strategie passt gut zu seinem Genre. In einem Roman wäre ein solches Maß an Undurchdringlichkeit nur schwer zu tolerieren…“ (im Interview von Franzen in der „Welt“).
Es muss uns aber nicht wirklich interessieren (und wir müssen es auch nicht glauben), warum Franzen behauptet, dass die Kraus’sche Polemik für seinen eigenen Werdegang als Schriftstellers so bedeutend gewesen sein soll („Mich hat seine Wut beeindruckt. Er hat mich gelehrt, wie man eine Seite mit wütender Satire lebendig macht.“ – äh, wo jetzt nochmal bei Ihnen, Herr Franzen?). Aber immerhin beruft er Kraus als Zeugen für kritische Wachsamkeit gegenüber blindem Internet- und Medienkonsum und deren Manipulationspotential: „In Amerika hätte man einen Karl Kraus gebraucht, als die Bush-Regierung in einen sinnlosen Irak-Krieg zog. Die Medien haben in dieser Zeit extrem manipulativ berichtet.“
Allerdings verweigert Franzen als rigoroser Internetkritiker die naheliegende Spekulation, dass Karl Kraus seinen Job heute höchstwahrscheinlich als reichweitenstarker Blogger erledigt hätte…

So scheint mir an Franzens „Kraus Projekt“ das Wichtigste die dadurch erreichte rezeptive „Wiedererweckung“ des Satirikers zu sein, und auch wenn man einige seiner gelegentlich pathosgeladenen Tiraden und Szene-Beschimpfungen heute als ziemlich überzogen belächeln mag, bleibt seine sprachliche Kunstfertigkeit und Wortschöpfungskraft eine Inspirationsquelle für alle, die sich und ihren Lesern einen intellektuellen Spaß gönnen wollen bei der Unterminierung normalsprachlicher Erwartungshaltungen und der Verfertigung nachhaltiger „Erledigungen“.

Zum Anlesen empfehle ich Euch die geprüfte Auswahl seiner Aphorismen in der Kraus-Wikiquote, und wer dann auf den Geschmack gekommen ist, kann sich alle Ausgaben der Fackel als Digitalisat sowie Volltext im „Austrian Academy Corpus“ (kostenlose Registrierung erforderlich) runterziehen.  Und wer’s gern mal haptisch hätte, kann bei einem (bitte vorangekündigten) Besuch bei mir auch gern mal in ner Original-Fackel blättern und so etwas direkter an Kraus‘ Aura schnuppern…

Neben der Herausgabe der Fackel und den satirischen Lesungen schrieb Kraus einige längere Essays (als Sonderdrucke, später gesammelt in Buchform) und das als unspielbar geltende Theaterstück „Die letzten Tage der Menschheit“, eine „Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog“. Für den Pazifisten Kraus war der Wahnsinn des 1. Weltkrieges nicht mehr mit den Mitteln der intellektuellen Polemik kritisierbar, so dass er die Unmenschlichkeit und Absurdität in über 200 nur lose zusammenhängenden Szenen, die auf wahren Quellen beruhen, als Realsatire darzustellen versuchte. Das Drama endet in einer apokalyptischen Szene, nämlich in der Auslöschung der Menschheit durch den Kosmos; die Menschheit habe sich des Lebens auf der Erde als unwürdig erwiesen, indem sie all diese Grausamkeiten zugelassen hatte. Und am Ende tritt Gott auf mit den Worten „Ich habe es nicht gewollt!“ – Geschichtskenner wissen, dass es sich dabei um einen O-Ton von Kaiser Wilhelm II. handelt…

Wegen der enormen Gesamtlänge und der Vielzahl der auftretenden Figuren wurde das Drama bisher noch nie ganz in einer Aufführung auf die Bühne gebracht, doch es gab etliche Versuche von Teil-Aufführungen und eine Reihe szenischer Lesungen. Weil dabei einige der auftretenden Typen im Wiener Dialekt sprechen, oft alkoholisiert und an der Debilitätsgrenze, stellt das Stück auch schauspielerisch und lesungstechnisch hohe Anforderungen. Und wer könnte sowas besser performen als der wunderbare Helmut Qualtinger?

 

wf

2 Gedanken zu „Besser bloggen mit Karl Kraus“

  1. Interessant aber ist, dass Franzen selbst die Nähe von Kraus zu heutigen Bloggern durchaus klar ist:
    „Aber der Hauptgrund für die Anmerkungen ist, dass Kraus selbst der große Anmerker war, der großartige frühe postmoderne Meister des Zitats und der Glosse, der direkte Vorfahr der Blogger von heute.“

    Auch wenn das Interview, aus dem dieses Zitat stammt, ihn erneut als pauschalisierenden Internetkritiker zeigt, lese ich darin auch ein gewisses Differenzierungsvermögen.

    http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article134937600/Suechtige-hoeren-nicht-gern-dass-sie-suechtig-sind.html

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