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Vom Schreiben-Lernen und von Literaturinstituten

Nehmen wir einmal an, Sie wollen Herrgottschnitzer werden. Dann empfiehlt es sich, eine der bairischen Holzbildhauerschulen, beispielsweise gleich bei uns ums Eck in Oberammergau, zu besuchen und das gediegene Handwerk der Schnitzerei so weit zu erlernen, dass Sie sich mit ihren Arbeiten in der Öffentlichkeit sehen lassen können. Und nehmen wir jetzt einmal an, Sie wollen Verfasser von Geschichten oder Gedichten werden, die in der Öffentlichkeit mit beifälligem Kopfnicken goutiert werden. Dann können Sie sich die handwerklichen Aspekte der Schreiberei in einer Schreibschule oder in einem unserer Literaturinstitute, etwa in Hildesheim oder Leipzig, vielleicht so weit aneignen, dass gelegentlich was davon gedruckt wird. In beiden Fällen sollte zumindest soviel handwerkliches Geschick bei rauskommen, wie man’s von einem gelernten Kunsthandwerker erwarten darf. So eine Ausbildungsstätte kann also durchaus hilfreich sein, denn meistens mangelt es dem Schnitzer ja nicht an Holz (auch wenns nur Weichholz ist) und dem Schreiber nicht an Stoff (auch wenns bei manchem nur Gesabber ist), doch Form & Stil bedürfen erstmal einer Führung durch den Meister (auch wenns manchmal nur ein selbsternannter ist). Und in beiden Fällen scheint eine Berufung auf eine höhere Instanz die intrinsische Wahlmotivation zu beflügeln; beim Herrgottschnitzer dürfte die klar sein, der Schreiberling dagegen findet im Wort Hölderlins „was bleibet, aber stiften die Dichter“ sein Unsterblichkeitsmantra – um auf den Schwingen des Pegasus in den ewigen Dichterhimmel zu reiten, nehmen viele gern allerlei Mühen und Kosten in Kauf, wenn sie sich’s leisten können.

Keilschrift-Tafel des Gilgamesch-Epos

Keilschrift-Tafel des Gilgamesch-Epos

Nun sind Schreibschulen ja nix Neues, schon die Keilschriftler haben neben ihrer Meißeltechnik auch ihr erzählerisches Know-How weitergegeben (was in der Folge zur Entstehung einer Reihe literarischer Werke, bekannt als Gilgamesch-Epos, führte); das hochentwickelte Story Telling der Alten Ägypter in den Hieroglyphen („Schrift der Gottesworte“) wäre ohne formale und stilistische Traditionen ebenso undenkbar wie der festgelegte Ablauf des antiken griechischen Theaters. Schon immer hatten Schreibnovizen also Einiges zu lernen, wobei die Anforderungen an Menge und Diversifizierung von Textproduktionen über die Jahrtausende immens stiegen. Um deren Bewältigung zu erleichtern, begann man gegen Ende  des 19. Jahrhunderts an amerikanischen Universitäten Seminare anzubieten, in denen Studenten praktische Schreiberfahrungen sammeln sollten. Schon damals (!) erschienen begleitend dazu erste Handbücher unter dem Begriff „Creative Writing“, was in Europa allerdings lang kaum wahrgenommen oder höchstens belächelt wurde. Ist denn der Begriff nicht nur eine Tautologie, als könne es auch ein Schreiben ohne oder vor der Kreativität geben? Schreiben, also das Klären, Ordnen und Komprimieren von Gedanken & Reflexionen, sei doch immer ein kreativer Akt, wenn auch von unterschiedlicher Intensität. Doch mittlerweile scheint man auch bei uns dem ‚creative‘ als Vor-Satz zu allem Möglichen nicht mehr abgeneigt zu sein, nicht nur beim Schreiben als Abgrenzung zum copy&paste, sondern als Selbstverwirklichungs-Etikett für jede Art von individueller Tätigkeit, von der Google-Suche bis zum Rasenmähen.

Allerdings verstehen die in den letzten Jahren auch bei uns entstandenen Schreibinstitute ihre Angebote zum „kreativen Schreiben“ in einem weiteren Sinn: als Vermittlung ‚höherer‘ Fertigkeiten, zu denen neben dem Spiel mit der Sprache auch Methoden der Ideenfindung, Therapie und autobiografische Selbstreflexion sowie eine umfangreiche Pragmatik des Schreibens in Literatur, Theater, Film und Wissenschaft gehören. Und nicht zuletzt eine (in den USA schon lange vollzogene) Überwindung der Grenzen zwischen „šhoher“˜ und „šniedriger“˜ Kunst, den Einstieg in ein literarisches Beziehungsnetzwerk und – im Preis inclusive – zumindest eine Handvoll Kritiker & Claqueure.

Wie es nun im Dunstkreis so eines Instituts zugeht, davon kann natürlich ein Insider am besten berichten. Das hat kürzlich der Jung-Autor und Journalist Florian Kessler, selbst Absolvent der Hildesheimer Einrichtung, getan, indem er in einer Glosse der ZEIT unter dem Titel „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!“ das dortige „Milieu“ der Nachwuchsliteraten aus gehobener Mittelschicht als saturiertes, family-gesponsortes Brav-Schreibertum karikierte. Wer aber nun denkt, eine Investigation in diesen Untiefen des deutschen LitBizz müsse sich in einer saftigen Bernhardeske entladen, kommt nicht ganz auf seine Kosten, denn Kessler bleibt beim feuilletonistisch korrekten Augenzwinkern, recht nett & lustig zu lesen. Man hätte diese Anekdote  zu den kleinen Aufmüpfigkeiten am Rande des business-as-usual legen können, doch Kesslers Stichelei hatte den Nerv anscheinend doch tiefer getroffen. So nahms der taz-Autor Enno Stahl in seinem Beitrag „Wer schreibt, der bleibt“ zum Anlass für die mit schöner Regelmäßigkeit gestellte Diagnose: „Die Funktions- und Entscheidungsträger des literarischen Feldes, Autoren, Lektoren, Feuilletonisten, Angehörige von Preisjurys, Leiter von Literaturhäusern, sie bewegen sich alle in ein und demselben hermetisch abgeschlossenen gesellschaftlichen Teilsystem. Über Habitus, familiäre Kontakte und eigenes Netzwerken ist es ihnen gelungen, direkt nach dem Studium, ohne nennenswerte Lebenserfahrungen außerhalb ihres eigenen Sozialverbunds, ihr Pöstchen im Betrieb zu ergattern.“ Ach geh, wer hätte das gedacht…

Ja, und dann gabs ne zünftige Repliken-Runde in der Süddeutschen, im Freitag, wieder in der ZEIT, in diversen Lit-Blogs, sogar Die Welt und die HUFFINGTON POST plapperten mit, bevor Florian Kessler, diesmal in der Süddeutschen, resumierte: „‚Brav‘ nannte ich in meiner Polemik die jüngeren deutschsprachigen Autoren. Jetzt weite ich das aus. ‚Brav‘ erscheint mir ein Betrieb, der seine Debatten betriebsscheu führt.“ Na ja, so ‚brav‘ war zumindest die Debatte nicht, Herr Kessler, und so Manches musste auch wieder mal gesagt werden, ob’s nutze oder nicht. Schließlich hängt es nicht allein von den Kreativen des Literaturbetriebs ab, welche Literatur sich an die Frau bringen lässt; so wenig wie der Herrgottschnitzer seine paar Motive variieren kann, ohne die Gläubigen zu verschrecken, so wenig Originalität und Qualitätsanspruch kann Autor sich erlauben, ohne die Leser intellektuell zu brüskieren. Hauptsach‘, das Handwerk stimmt im Laden, wo an der Kundenfront das gefällige Mittelmaß angepriesen wird. Hauptsach‘, es bleibt im Rahmen der Nacherzählbarkeit, wenn die immergleichen Damen & Herren in TV-Literaturkränzchen und auf blauen Sofas ihre mittelmäßige Lesekompetenz zu Markte sprich Einschaltquote tragen. Auch Literaturinstitute dürfen also an die Leser denken.
Wer sich allerdings zur Ausbildung und zum Aufbau eines Beziehungsnetzwerks dort bewirbt und über die dafür nötigen finanziellen und psychischen Ressourcen verfügt, sollte sich, sofern er’s mit dem Schreiben ernst meint, dieses aus Ludwig Hohls Notizen klar machen: „Das gut Geschriebene kann man nicht erklären aus dem einfachen Grund, daß es schon ein höherer Grad des Erklärenden ist.

Und daraus mag er folgern, dass es sehr wohl eine hilfreiche Methode gibt, an seinem eigenen Schreib-Denk-Stil zu arbeiten, und zwar in diesen zwei Stufen:

1) viel gut Geschriebenes lesen, lesen, lesen und danach

2) die Beherzigung von Hohls Ratschlag: „Die ganze Kunst des Schreibens besteht darin, dass man kein Wort verwende ohne volle Verantwortung.“

 wf

13 Gedanken zu „Vom Schreiben-Lernen und von Literaturinstituten“

  1. Interessanter Blick auf den Kessler-Text und seine Folgen.
    Ich kann die Lobeshymnen auf die aktuelle deutsche Belletristik nicht mehr hören. Da war Kessler eine gern gehörte Gegenstimme. Dann braucht sich ja niemand über die Einförmigkeit mehr wundern. Aber der weite Blick auf Geschichte und Nutzen von künstlerischer Ausbildung ist ebenfalls wichtig!!

    Die ‚Verantwortung‘ wäre ein Kriterium, das den Autor mit ins Boot holt. Und Klaus Pohlmann hat recht, wenn er das auf die Internet-Kommunikation ausweiten will. Fehlende Verantwortung überall… Das ‚Risiko‘ würde ich als Kriterium für die Belletristik in diesem Zusammenhang ergänzen (in der Regel ‚ästhetische Risiken‘). Literatur, die nichts riskiert, die nicht wagt, ist meistens im besten Fall gehobene Langeweile. Und ohne zumindest ein kleines Risiko ist die Verantwortung ja belanglos.

  2. So brav und belanglos ist die deutsche Belletristik doch gar nicht, nicht mal die von Literaturinstitutlern, siehe Clemens Meyer (und eine Handvoll andere).
    Und mit ‚Verantwortung‘ meint Hohl wohl eher nicht eine Einmischung in gesellschaftliche Verhältnisse, sondern die semantische Sorgfalt, eine Genauigkeit des zu wählenden Wortes im Sinnkontext. Und das freilich wäre beim Twittern besonders wichtig, da die Kürze Exaktheit in der Art einer aphoristischen Verknappung verlangt (beherzigen allerdings nur wenige).

  3. Zunächst: Ich meine auch vor allem stilistische Sorgfalt (so auch mein ‚ästhetisches Risiko‘, das ich oben ergänzen wollte), aber, zugegeben, nicht nur. Nach meinem Verständnis zeigt der Begriff ‚Verantwortung‘ die Verbindung von Stil und Ethik an. Jedenfalls habe ich das Zitat so aufgefasst – Hohl kenne ich nicht. Das werde ich wohl nachholen müssen.

    Zur Literatur: Ja, ich kenne auch Gegenwartsromane, die ich schätze. Die Frage ist, womit man vergleicht. Die deutsche Literatur schlägt ja nun momentan nicht unbedingt hohe Wellen im Ausland beispielsweise. Vieles ist, von persönlichen Lieblingsausnahmen immer abgesehen, doch so ein gehobenes Mittelmaß. Wenig ragt da heraus. Nun kann man eben z.B. mit der aktuellen franz. Literatur vergleichen, die wohl international gerade einen besseren Ruf genießt. Oder man vergleicht mit der reichen literarischen Vergangenheit. In beiden Fällen sieht es nicht schwarz, aber doch etwas grau in grau aus, meiner Meinung nach.

  4. Aber, mein lieber wf, auch die ganze Kunst der Glosse besteht darin, dass man sich keine Boshaftigkeit erlaube ohne hundertprozentige Treffsicherheit ;-)

  5. Das Land der Dichter und Denker schätzt die Klarheit: entweder Dichter, oder Denker!
    Wo der Querulant unverstanden, blüht die Welt der Nieten. Denn Ordnung muss sein.

  6. Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schlägt in ihrer Einschätzung des deutschspreachigen LitBizz schon eher berhardeske Töne an und bezeichnet es als „extrem korrupt“, „nepotisch“ und von Vetternwirtschaft bestimmt: „Es ist ja immer lustig zu sehen, wer mit wem befreundet ist und wer wem einen Gefallen schuldig ist. Damit will ich jedenfalls nichts mehr zu tun haben.“
    Das ganze Interview mit der österreichischen Schriftstellerin, die ihre Werke nur noch auf ihrer Homepage veröffentlicht, findet ihr auf der neuen Website http://www.fiktion.cc, auf der man neue Verbreitungsformen anspruchsvoller Literatur im Netz erforschen will.
    Zum Interview: http://fiktion.cc/neues.php

    1. Wäre da – analog zu dem deutschen Ausdruck „Götter in Weiß“ – nicht auch der Ausdruck „Götter in Druckerschwärze“ ein möglicherweise zutreffender?

  7. Diese Fiktion e.V. ist interessant, aber irgendwie auch traurig. Wahrscheinlich bin ich hoffnungslos nostalgisch. Da ist auf der einen Seite der Literaturbetrieb mit seinem Nepotismus, und nicht zu vergessen die Unverschämtheit, mit der eine bestimmte Verlagssparte sich an den Druckkosten ihrer Autoren, die zudem die ganze Lektorierung und die Erstellung des Drucksatzes selbst erledigen müssen, zu bereichern, ohne irgendeine eine andere Gegenleistung als die Zurverfügungstellung einer ISBN. Da ist es schon gut, wenn man seine Sachen einfach selbst ins Netz stellen kann.
    Aber auf der anderen Seite bin ich auch Leser, und als solcher will ich einfach nicht aufs Buch verzichten. Es gibt nichts Intimeres und Befriedigenderes (was das Lesen betrifft!) als das Buch.
    Schließlich braucht ein e-book immer noch eine extra Energiequelle, während das Buch nur durch den Verstand des Lesers zum Leben erweckt wird.

    1. Um die Zukunft des gedruckten Buches, lieber Detlef, brauchen wir uns wohl keine allzu großen Sorgen machen, das wird, wer’s mag, sich auch zukünftig bei totalem Stromausfall zum heimeligen Licht einer Kerze aufs Nachtkasterl legen können ;-)
      Allerdings dürften sich die Produktions- und Verbreitungstechniken noch stärker verändern, im Sinne von ‚verbessern‘ für Autoren und Leser: gegen nur geringe Materialkosten kann man dann wählen, ob’s zur Digital- auch gleich eine Printausgabe sein soll, bald wird der in jedem Haushalt stehende Multifunktionsdrucker (3-D, Hologramme, Computerchips, Papiererzeugnisse etc.) das erledigen. Die ISBN braucht dann auch keiner mehr, weil ALLE Produkte mit einer Digital-ID versehen sind, die dann auch ohne die (bald gestorbenen) Verlagsgeier zur Vergütung der Künstler dient (ein praktikables Modell dafür muss freilich noch entwickelt werden). Und auch ein Vorteil des ebooks, die digitale Verlinkungsmöglichkeit, lässt sich heute schon theoretisch im Holz realisieren, indem z.B. die gewünschten Begriffe mit Links auf Miniaturchips hinterlegt werden, die man bei Bedarf mit einer Datenbrille oder WLAN auslesen kann (da hilft allerdings die Kerze nix).
      Hauptproblem bleibt in der unüberschaubaren Masse des Angebots aber auch dann das Kuratieren und Hervorheben von Qualitäts-Denkerzeugnissen – hier können die zeitgenössischen Verlage ja mit einer Versagensquote von 99% aufwarten.
      Umso mehr werden konzernunabhängige Kritik- und Präsentations-Instanzen wichtig, und in die Richtung zielt wohl das Ansinnen von „Fiktion“ – und in dieselbe Richtung zielt natürlich auch das Angebot von „Qualitäts-Bloggern“ wie wir es sind ;-)

    1. Die schöne neue Welt, die Du beschreibst, mitsamt ihren beeindruckenden 3-D-Druckern, hat ein entscheidendes Defizit: sie ist nicht realitätstauglich. Das Problem ist unser Wirtschaftssystem, das total auf Kante genäht ist, mit ihrer Just-in-time-Produktion und ihren Just-in-time-Lieferungen. Ein etwas längerer Stromausfall ist dann nicht nur ein Problem wegen der dann unbrauchbaren Leselampe. Die Tage habe ich einen Kollegen dabei ‚erwischt‘, wie er im Internet auf der Suche nach dauerhaften Lebensmitteln war. Sein Plan: jeden Monat 100 Euro für haltbare Lebensmittel auszugeben und so nach und nach einen Vorrat zu bunkern, der im Falle eines Totalzusammenbruchs ein halbes Jahr lang vier Personen am Leben erhalten kann. Das nennt man dann ‚preppen‘ (von ‚präpariert sein‘), und die Leute, die das tun, nennt man ‚Prepper‘. Die sind nach der Krise von 2008 ‚aufgewacht‘, meistens junge Familienväter, die auf diese Weise ihrer Verantwortung gerecht zu werden versuchen. Eine familiäre Daseinsvorsorge der etwas anderen Art.

      Irgendwie habe ich das Problem zwar selbst auch schon länger auf dem Schirm; aber ich war irgendwie davon ausgegangen, daß ich selbst noch ein wenig von meiner Rente haben würde. Nach dem Motto: nach mit die Sintflut, verbunden mit einem leisen Bedauern für die nachwachsende Generation. Aber letztlich wird das wohl schneller kommen, als wir alle bislang gedacht haben. Eine solche Wahnsinnsproduktion, die sich um die Bedürfnisse von echten Verbrauchern statt Konsumenten nicht kümmert, ist nur mit einem immensen logistischen und energetischen Kraftaufwand aufrechtzuerhalten. Das kann man einfach nicht lange durchhalten.

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