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Camus und das Absurde

Albert Camus

In Frankreich zählt Albert Camus zu den Nationalheiligen und dementspechend hoch ist dort in diesen Tagen die Artikeldichte mit Würdigungen des Literaturnobelpreisträgers von 1957 anlässlich seines bevorstehenden 100. Geburtstags (am 7. November). Aber auch bei uns gab und gibt es viel mediale Resonanz auf diesen zwischen Philosophie und Literatur changierenden humanistischen Denker, dessen Leben mit erst 46 Jahren 1960 bei einem absurd anmutenden Unfall endete. Camus‘ Fahrer und Freund Michel Gallimard war mit dem Auto nach dem Platzen eines Hinterreifens an den einzigen Baum weit und breit gekracht – Verschwörungstheorien von wegen Manipulation durch den sowjetischen Geheimdienst machten alsbald die Runde.

Albert Camus

Albert Camus

Camus ist immer noch einer der beliebtesten französischen Autoren, was sich nicht zuletzt auf seiner Facebook-Seite widerspiegelt, die mehr als eine dreiviertel Million Follower hat und damit etwa dreimal so viele wie die seines langjährigen Kontrahenten Jean-Paul Sartre. Das ist auch deshalb erwähnenswert, weil es die These zu unterstützen scheint, dass Camus‘ Philosophie von menschlicher Solidarität und systemunabhängigem Denken gegen Sartres antihumanistischen Existenzialismus, bei dem die Gewalt als quasi unvermeidbar  für das historische Ziel einer weltweiten kommunistischen Revolution akzeptiert wird, nach dem Ende des Kalten Krieges letztlich ‚gewonnen‘ habe.

Diese Differenzen in der Weltanschauung hatten zu einem, von Sartre teilweise polemisch geführten, jahrelangen Streit der beiden ehemaligen Freunde (aus Résistance-Zeiten) geführt, während dessen Camus gesellschaftlich und publizistisch immer mehr isoliert wurde, da Sartre sich die öffentliche Meinungshoheit sicherte, indem er die maßgebliche Szene auf seine Seite zog: die Pariser „Intellektuellen“ (das sind bekanntlich Leute, die sich gern ihres eigenständigen Urteils rühmen).
Zu den Ursachen und Folgen dieser Auseinandersetzung zwischen den beiden französischen Ikonen lest bitte das aufschlussreiche Gespräch mit dem Sartre-Kenner Vincent von Wroblewsky hier in der FAZ.

Erst nach Camus‘ Unfalltod revidierte Sartre öffentlich sein Urteil über den „algerischen Gassenjungen“ und bezeichnete ihn als „eine der Hauptkräfte unserer geistigen Welt“ und als seinen „vermutlich letzten guten Freund“. Da aber hatte ein Begriff von Camus, der sich für die fachakademischen, theoretischen Diskussionen nie sonderlich interessiert hatte, längst eine über Frankreich hinaus reichende ‚philosophische Mode-Karriere‘ gemacht: Das „Absurde“.

In dem Essay Der Mythos des Sisyphos entwickelt Camus erstmals 1942 seine ‚Philosophie des Absurden‘, dem man nicht entrinnen könne, weil es auf die existenziellen Fragen nach dem ‚Warum‘ keine sinnstiftenden Antworten gebe. Der Mensch werde sich in seinem Allein-Sein seiner Machtlosigkeit und „Fremdheit in der Welt“ bewusst, habe aber dennoch die Möglichkeit,  sich durch einen „existenziellen Sprung“ zur Wehr zu setzen und „über das Bestehende hinauszugehen“. Denn er habe auch die Freiheit zur engagierten Tat, die als einziges zählt, wobei auch für Camus wie schon für die Vorsokratiker der Mensch das „Maß aller Dinge“ ist (Protagoras). Camus möchte zu einer Lebenshaltung aufrufen, die „wach“ und sich der menschlichen Lebensbedingungen „bewusst“ ist und fordert den Menschen auf, „innerhalb seiner Möglichkeiten“ das „richtige Maß“ zu finden.

Sisyphos meistert als von den Göttern Bestrafter sein Schicksal und steht für die „ewige Auflehnung“ des Menschen gegen die „Bedingungen seines Daseins“. Doch durch das Akzeptieren der Sinnwidrigkeit einer scheinbar hoffnungslosen Situation schöpft er die Kraft zum Weitermachen, zur Selbstverwirklichung:

„Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. […] Der absurde Mensch sagt ja, und seine Anstrengung hört nicht mehr auf. Wenn es ein persönliches Geschick gibt, dann gibt es kein übergeordnetes Schicksal oder zumindest nur eines, das er unheilvoll und verachtenswert findet. Darüber hinaus weiß er sich als Herr seiner Tage. In diesem besonderen Augenblick, in dem der Mensch sich seinem Leben zuwendet, betrachtet Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt, die Reihe unzusammenhängender Handlungen, die sein Schicksal werden, als von ihm geschaffen, vereint unter dem Blick seiner Erinnerung und bald besiegelt durch den Tod. Derart überzeugt vom ganz und gar menschlichen Ursprung alles Menschlichen, ein Blinder, der sehen möchte und weiß, daß die Nacht kein Ende hat, ist er immer unterwegs. Noch rollt der Stein. [„¦] Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jeder Gran dieses Steins, jedes mineralische Aufblitzen in diesem in Nacht gehüllten Berg ist eine Welt für sich. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

camusDieser letzte Satz ist wohl Camus‘ berühmtester und meistzitierter, denn viele von uns kennen das sehr wohl, wie es sich anfühlt, einen Stein immer wieder von neuem auf einen Berg zu wälzen – und manchen gelingt ein „höhnisches Trotzdem“, auch wenn sie wie Camus wissen: „Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“

Camus war nicht der erste, der über die Absurdität des menschlichen Daseins philosophierte; er kannte die Werke seiner Vor-Denker wie etwa Kierkegaard, Dostojewskij, Schestow, Kafka, Heidegger und vor allem Nietzsche, dessen Ideal des aktiven, sich unabhängig selbst verwirklichenden Menschen (mit einem Bewusstsein von neuen Möglichkeiten der Schicksalsüberwindung) seiner eigenen Vorstellung vom Widerstand gegen die heuchlerischen und oberflächlichen Formen menschlicher Beziehungen und einer anzustrebenden ‚inneren Revolte‘ wohl recht nahe kam; aber eben nur nahe, denn Camus fordert dazu etwas ein, das Nietzsche vielleicht fehlte: „Ohne im Daseinskampf gewonnene Werte ergibt die Revolte keinen Sinn. Aber diese Werte müssen sich auf das richten, was wirklich existiert: auf die Menschen selbst. Was der Mensch braucht, ist menschliche Wärme.“

Viele Motive aus dem Sisyphos finden sich auch in Camus‘ Bühnenstücken und seinen Romanen Der Fremde und Die Pest, gedanklich noch einmal gebündelt in seinem philosophischen ‚Hauptwerk‘ Der Mensch in der Revolte (das freilich von Sartre ebenfalls als ‚unphilosophisch‘ abqualifiziert wurde).

Alle Versuche, vor dem Absurden fliehen zu wollen, hält Camus für vergeblich; weder der Selbstmord noch der „irrationale Sprung“ in metaphysische, ästhetische, religiöse oder rationalistische Rettungsangebote könnten das Absurde bannen, denn:

„Wenn es das Absurde gibt, dann nur im Universum des Menschen. Sobald dieser Begriff sich in ein Sprungbrett zur Ewigkeit verwandelt, ist er nicht mehr mit der menschlichen Hellsichtigkeit verbunden. Dann ist das Absurde nicht mehr die Evidenz, die der Mensch feststellt, ohne in sie einzuwilligen. Der Kampf ist dann vermieden. Der Mensch integriert das Absurde und läßt damit sein eigentliches Wesen verschwinden, das Gegensatz, Zerrissenheit und Entzweiung ist. Dieser Sprung ist ein Ausweichen.“

 

Wer nun Lust bekommen hat, sich näher mit Camus‘ undogmatischem „mittelmeerischen Denken“ zu beschäftigen, dem sei neben der Lektüre seiner Originalwerke die soeben erschienene Biographie des Philosophen Michel Onfray empfohlen:
Im Namen der Freiheit – Leben und Philosophie des Albert Camus (Albrecht Knaus Verlag, 576 Seiten).

Zum Schluss noch ein Zitat, das ich kürzlich bei Stephan Schleim gefunden habe, zwar in einem anderen Zusammenhang, aber Camus-mäßig aktuell und auch als Gruß an alle Edward Snowdens dieser Welt:
„Das Absurdeste ist aber meiner Erfahrung nach, dass diejenigen, die über eine gewisse moralische Sensibilität verfügen und sich dann anschicken, ein moralisches Ziel zu verfolgen, von ihrem Umfeld belächelt, wenn nicht gar ausgegrenzt werden.“

wf

 

5 Gedanken zu „Camus und das Absurde“

  1. Es hätte Frau Iris Radisch und ihrem Buch in Bezug auf die Bewertung der algerischen Einflüsse auf Camus sicher gut getan, hätte sie sich wenigstens ein paar Monate in jene „ärmlichsten, geradezu vorzivilisatorischen Verhältnisse“ in einem Haus einer „Putzfrauen-Mutter“ hineinbegeben statt sich in solche hineinzuversetzen, um aus diesem kläglichen Versuch heraus ein Argument zu stricken, das ein vorhandenes „verklärtes Idol archaischer Einfachheit“ bei Camus konstatiert.

    Wenn sie so aus der Ferne die Ferndiagnose als Tatsache hinstellt, Camus hätte eine „unsentimentale Erziehung unter der Sonne Nordafrikas“ verabreicht bekommen, so geht sie vermutlich von ihrer Meinung über sich selbst und der gelebten Erfahrung ihrer Kinder aus, bzw. wie sie diese einschätzt. Und wenn sie feststellt, Camus Mutter sei eine Analphabetin mit einem „Wortschatz von 400 Wörtern“ gewesen, so ist festzustellen, dass ein Wortschatz von 400.000 Wörter nicht zwingend intelligenter macht, sondern nur eloquenter.

    Mein Therapievorschlag: Ticket für einen Flug in das verlorene Paradies des Albert. Therapiedauer: mindestens 2 Monate. Kann sein, dass dann Frau Radisch mehr weiß.

  2. Arte creative versucht in der neuen Serie „Streetphilosophy“ mit ‚lebensnaher‘ Aufbereitung seinem hauptsächlich jungen Publikum Reflexionsmöglichkeiten in ihrer Lebenspraxis aufzuzeigen. Los gehts hier in der ersten Ausgabe mit Camus‘ Existenzialismus (im Film konkret ab etwa 7:20):
    http://creative.arte.tv/de/folge/streetphilosophy-camus-bestimme-dein-schicksal

    Wir danken übrigens für den dortigen Referenz-Link auf diesen Artikel ;-)

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