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Der Blog hatte Geburtstag während ich im Kloster war

Abbaye du Thoronet

Wer heutzutage seinen Geburtstag öffentlich preis gibt, kann sich auf was gefasst machen. Da flattern Geschenkgutscheine von Internetkaufhäusern und Rabattangebote vom Optiker und einem polnischen Bestattungsunternehmer rein, an der Facebook-Pinwand gratulieren Leute, die man im real life noch nie gesehn hat und dann gibts auch noch ne Exclusiv-Gewinnbenachrichtigung von einer afrikanischen Lotterie.
Und selber eine Geburtstagseinladung anzunehmen, ist auch nur für Anhänger von Frohsinns-Ritualen empfehlenswert, denn als ich mich vor einigen Jahren doch mal in solch eine Verlegenheitssituation begab, wollt ich mich guten Willens halt auch mit einem launigen Sinnsprücherl einbringen und beendete meine kleine Laudatio auf das Geburtstagskind mit sowas Abgewandelten vom guten alten Montaigne: „…denn älter werden heißt Sterben lernen.“ Na ja, das war dann, zumindest in jenem Kreis, meine letzte Einladung zum Geburtstag gewesen.

lorgue

Unser „Gartenhäuschen“ in Lorgues

Da ich’s also nicht so hab mit Geburtstagen, kam es mir ganz gelegen, dass ich während der Augustwoche, in der dieser Blog seinen sechsten hätte feiern können, von Freunden in die Provence eingeladen war, genauer: in das Städtchen Lorgues, im Hügelland zwischen der Mittelmeerküste und den Gorges du Verdon gelegen; und ja, das ist so eines dieser pittoresken südfranzösischen Städtchen mit engen Gassen, wo die Kinder bis Mitternacht auf dem Hauptplatz zu Livemusik tanzen, wo der Zeitungsladen höchstens ein Exemplar der „Süddeutschen“ parat hält (mangels deutscher Touris), wo es nach sarazenischen Gewürzen riecht und nachts die Benutzung eines Anti-Mücken-Spray ratsam ist. Wo auch locker mal eine wohl gut 60-jährige Hippie-Braut mit ner tiefergelegten Harley vors Café knattert und sich einen am Schoko-Eis abschleckt, während drinnen der alte Algerier ein paar provencalische Jungs beim Karteln abzockt und im Garten ums Eck leise die Boule-Kugeln klacken.

Lorgues ist ein guter, weil zentral gelegener Ausgangspunkt für Exkursionen ins Umland zu den zahlreichen landschaftlichen und architektonischen Sehenswürdigkeiten, von denen etliche auf der Liste des Weltkultur- und Naturerbes der Menschheit stehen.  Mit genügend Zeit kann man auf den Spuren der Kelten, Römer, West- und Ostgoten, Franken und Mauren die Region erkunden, in den lavendelduftenden Gassen von Grasse dem Mädchenhäuter Jean-Babtiste Grenouille aus Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“ hinterherschnüffeln, sich im Papstpalast von Avignon in die klerikalen Ränkespiele der Gegenpäpste hineindenken, mit’m Radl auf den berüchtigten Mont Ventoux, den heiligen Berg der Kelten, hochstrampeln oder, sofern man keine Bonzen-Allergie hat, im Port Vauban (einem der größten Yachthäfen Europas) seinen Skipperträumen nachhängen…

 

Abbaye_du_Thoronet

In der Abbaye du Thoronet

Für all das reichte diesmal die Zeit nicht, aber a bisserl was geht ja immer, wie etwa ein Ausflug in das „Abbaye du Thoronet„, ein mittelalterliches Zisterzienser-Kloster im romanischen Stil mit einer auf die Verschmelzung von Arbeiten, Beten und Leben bestens organisierten Gebäude- und Raumaufteilung mit klaren Linien (auch Le Corbusier ließ sich davon inspirieren) und einer großartigen Akustik, so dass dort regelmäßig hochwertige Klassikkonzerte aufgeführt werden. Der Besucher wird nicht durch künstliche Ausleuchtung der Gänge und Hallen beim Abtauchen in die Vergangenheit gehindert, lediglich durch kleine Fensterscharten gelangt etwas Tageslicht herein, und unter jeder Fensteröffnung schlief damals ein Mönch; die Schlafplätze werden noch heute durch Steinplatten angezeigt. Und dann wieder Auftauchen beim Durchgang zum Garten, der übrigens  auch als Parlarium diente – das war neben dem Kapitelsaal der einzige Raum, in dem die Mönche miteinander sprechen durften. Ach, wie muss das Philosophieren in Zeiten der Scholastik angenehm schweigsam gewesen sein…

Gorges_du_Verdon

Gorges du Verdon

Den absoluten körperlichen und psychischen Kontrast dazu bot ein paar Kilometer weiter nördlich die Schlucht des Verdon. Sich unten im Fluss durchkämpfen ist ein Highlight für Kajak-Freaks, während Normalos wie wir sich ihren Adrenalin-Kick beim Hinaufkurven durch die engen Serpentinen des Bergpasses oberhalb des Canyon holen können – natürlich ein must für alle Provence-Urlauber; allerdings hab ich’s oben bei der Aussicht in 700 Meter Tiefe dann doch vorgezogen, nicht zu nahe an die Felskante zu treten, denn mittlerweile bin ich beim Blick in Abgründe (auch meine eigenen) nicht mehr ganz so jugendlich schwindelfrei.

Na ja, ob solcher Sachen und einer selbstauferlegten Urlaubs-Internet-Abstinenz hab ich an den Blog-Geburtstag da auch gar nicht mehr gedacht, aber wenn schon nicht ein paar launige Zeilen, so soll er doch einen kurzen Rückblick wert sein.

Ich war vor sechs Jahren Neuling in Sachen Bloggen, hielt vorher nicht viel davon, weil ich irrtümlicherweise glaubte, das sei so Schreibe just for the day (dazu noch später), aber im Zusammenhang mit einigen privaten und beruflichen Umorientierungen wollt ich das Neuland der Bloggosphäre dann doch mal ausprobieren, Bloggen als Therapie sozusagen. Immerhin kannte ich schon zwei Kultur-Blogger, die mir Tipps gaben und dann mein Projekt auch bei sich vorstellten und verlinkten. Allerdings hielten sich die Besucherzahlen hier in den ersten Monaten in überschaubaren Grenzen, und bei aller Anfänger-Lust, aus dem „Sicherheitsabstand“ der Provinz gelegentlich den Oxnzeam zu schwingen, war ich mir nicht sicher, wie lange meine Motivation das Projekt tragen würde. Denn mir reicht beim Schreiben nicht, wie Ludwig Hohl einmal über das seine sagte, „den einen, fernen Leser zu erreichen“, sondern ich mag schon ganz gern etwas Feedback, Austausch, und so zumindest die Einbildung füttern, ich könnte in all dem redundanten Schwarmgeplapper mit meinem eigenen Sound wenigstens ein paar andere Denk-Jazzer mit brauchbarer Musike inspirieren – an ein breiteres, von der Unterhaltungsindustrie gepäppeltes Publikum ist mit so einer Programmgestaltung eh nicht zu denken.
Aber schon so ab etwa dem ersten halben Jahr, nachdem ich in anderen Blogs einigermaßen fleißig kommentiert hatte,  spülten weitere Verlinkungen in jenen Blogs und auch Referenzierungen in ein paar reichweitenstärkeren Medien mehr und mehr LeserInnen an diese Gestade, seit drei Jahren wächst auch auf Facebook ein Trupp Follower heran, und mittlerweile traut sich allmonatlich eine fünfstellige Besucherschar in dieses Panoptikum. Allerdings lassen sich exakte Zugriffszahlen nicht wirklich ermitteln, denn würde man der folgenden Webserver-Quartals-Statistik, die ich mir ausnahmsweise „zum Geburtstag“ als PDF heruntergeladen habe, Glauben schenken, dann wären es allein im Juni 2013 an die 80.000 eindeutige Monats-Besucher auf diesem Blog gewesen – man darf sich von den Server-Zahlen nicht täuschen lassen, denn da sind alle Besuche, auch die von SuMas und die Aufrufe des RSS-Feed, mitgezählt – echte Unique Visitors sind laut meinen anderen Statistik-Tools (Piwik + WordPressStats) davon nur ca. 30%. Solche ‚Server-Mogeleien‘ solltet ihr auch im Hinterstübchen haben, wenn andere online-Auftritte mit ihren vermeintlichen Topstatistiken hausieren gehn.

blogstatistik2013

Zur Vielfalt des Blogs haben natürlich auch etliche Gastautoren beigetragen, bei denen ich mich bei dieser Gelegenheit nochmals herzlich bedanken möchte – auch für Zusendungen, die hier nicht publiziert wurden (Manches passt einfach nicht hier rein, auch wenns noch so gut gemeint und gedacht ist).  Der Dank gilt natürlich auch allen Kommentatoren hier und auf FB, wobei ich um Nachsicht bitte, wenn ich nicht immer jeden Kommentar abschließend beantwortet habe. Das ist weder einer Unhöflichkeit noch Arroganz geschuldet, sondern manchmal gibts dazu halt nichts Wesentliches mehr zu sagen, manchmal fehlt auch die Zeit für eine Vertiefung des Themas und außerdem muss der Blogwart ja nicht immer das letzte Wort haben ;-)

Im Lauf dieser Jahre entwickelten sich auch etliche Kontakte zu den Lesern, nicht nur über die Comments im Blog oder auf Facebook, sondern auch via mail und sogar bei ein paar ‚leibhaftigen‘ Treffen. Immer wieder überraschend war dabei das Auftauchen von „alten Bekannten“, die ich seit langem aus den Augen und dem Browser verloren hatte und die mehr oder weniger zufällig hier hereingestolpert waren.

Bedauert hab ich in diesen Jahren aber öfter mal, wenn ‚befreundete‘ Blogs mit ähnlicher Ausrichtung aufgaben, teils wegen beruflicher Zeitüberlastung, teils eben wegen nachlassender Motivation – vielleicht lassen sich ja ein paar von euch (ihr, sofern ihr hier noch mitlest, wisst schon wer gemeint ist) zu einer Wiederbelebung der Blogaktivitäten animieren.

Aber jetzt noch kurz dazu, warum Bloggen doch nicht nur Schreibe just for the day ist. Zwar rutschen die Artikel irgendwann vom Screen, können aber auf vielfältigere Art aufgerufen werden als in traditionellen Printerzeugnissen. Natürlich über die Datenbank des Blogs mit seinen Rubriken, Schlagwörtern, dem Archiv und dem RSS-Feed, als auch – und das macht einen Hauptsinn der ganzen Bloggerei aus – durch externe Verlinkungen einzelner Beiträge in anderen Medien bzw. deren Aufrufe über SuMas; je höher ein Blog im Google-Ranking klettert, desto häufiger wird ein Beitrag auch von potentiellen Interessenten gefunden. So haben hier mittlerweile viele der älteren Beiträge die 20.000er-Besucherzahl weit überschritten, aber eine „Klick-Hitparade“ möcht ich euch hier nicht präsentieren, weil die Quantität allein ja kein „best of“ sein kann – seine persönlichen Favorits kann sich hier ja jeder mit genug Zeit zum Stöbern selber nach Gusto zusammenstellen.
Lediglich der Spitzenreiter soll genannt werden, weil er so schön zum eigenen Weiterbasteln einlädt:

 


Freu mich auch in Zukunft auf eure Comments, Gastbeiträge, Hinweise & Diskussionsanregungen und – was heute zum Seltensten gehört – eure Treue.

wf

13 Gedanken zu „Der Blog hatte Geburtstag während ich im Kloster war“

  1. Mein Blog hat zwar nur noch wenige Monate, bis er seinen fünften Geburtstag feiern kann, aber wenn ich ein Wort wie „SuMas“ lese – keine Ahnung, was das ist -, merke ich, wie sehr ich immer noch ein blutiger Anfänger in der Bloggerei bin. Auch mein Blog entstand „… im Zusammenhang mit einigen privaten und beruflichen Umorientierungen … „. Auch ich hatte meine Voururteile gegenüber der Bloggerei. Vorher hatte ich mich im analogen Metier bewegt und eine beachtliche Publikationsliste von Zeitschriftenartikeln, Monographien und Herausgeberbüchern zusammengeschrieben, die sofort nach dem Erscheinen in den Bibliotheken verschwanden, wo sie kaum jemand jemals wieder in die Hand nahm. In die Buchhandlungen schaffte es kein einziges dieser literarischen Erzeugnisse. Mit der Bloggerei hatte ich mir eine Fortsetzung der intellektuellen Auseinandersetzung, wie ich sie von der Uni gewohnt war, erhofft. Die ist leider ausgeblieben. Was ich aber zu schätzen gelernt habe, ist die Vorstellung, daß ich jede Woche mehr Besucher auf meinen digitalen Seiten habe, als alle meine analogen Schriften jemals von irgendwelchen Flaneuren aus dem Regal genommen wurden. Dein Hinweis, daß man den Statistiken nicht trauen könne, setzt dem allerdings einen Dämpfer auf.

    Übrigens: schöner Urlaubsbericht! Hat Spaß gemacht, ihn zu lesen.

    1. So wie deinen wissenschaftlichen Analog-Publikationen ergeht es wohl 99% aller anderen auch, wenn sie sehr speziell sind und ein gewisses Rezeptions-Niveau voraussetzen. Aber du kannst die ja auch alle in PDFs oder HTML-Texte umwandeln und mit passender Verschlagwortung ins Netz stellen (wenn das verlagsrechtlich möglich ist), und dann natürlich verlinken, bei dir und als Ergänzung zu deinen Kommentaren an thematisch geeigneter Stelle.
      Mit der „intellektuellen Auseinandersetzung“ läufts in der Bloggerszene ja recht unterschiedlich – mit einer ‚populistischen‘ Ausrichtung auf Polit- und Gesellschaftsthemen kannst recht schnell einen veritablen Stammtisch um dich scharen (nebst dreistelliger Kommentarzahl zu jedem Artikel), bei ‚Spezialitäten‘ dagegen traun sich viele nicht zu kommentieren, oft wohl aus Angst, der Komplexität des (vielleicht fremden) Themas nicht gerecht werden zu können. Es hängt auch ein wenig von Zufällen ab, denn wenn erstmal ein paar kompetente Leser regelmäßig kommentieren, sinkt für die anderen die Hemmschwelle (hätt ich auch gern mehr davon). Die meisten „philosophischen“ Blogs, die ich kenne, haben fast gar keine Kommentare oder nur wenige von einem kleinen Häuflein der Immergleichen.
      Eine positive Ausnahme in Sachen „intellektueller Auseinandersetzung“ sind m.E. die „SciBlogs“, da ist aber durch die breite Aufstellung an Wissenschaftsbloggern das Kommentatorenpotential schon immanent.

      Ja, man sollte Web-Statistiken, wie im ‚echten Leben‘ auch, nicht unbedingt vertrauen, aber auch wenn man sich bewusst ist, dass realiter weniger Besucher da waren als die Zahlen vorgaukeln, sollte das die Motivation nicht zu sehr runterziehen. Denn darin kann man Ludwig Hohl schon recht geben, dass auch „der eine, ferne Leser“ das Schreiben lohnt – man weiß ja nicht, was damit in Gang gesetzt wird (so, da wären wir wieder mal beim Prinzip des Karma ;-)

      Übrigens: „SuMa“ ist die Kurzform für „Suchmaschine“

      1. Danke für die Korrektur von ‚digital‘ in ‚analog‘!
        Die Blogleser sollten mehr ihrem eigenen Verstand vertrauen. Ich finde ja, daß es keine dummen Kommentare gibt, es sei denn, sie arten in Kränkungen oder Beleidigungen aus. Oft geht es ja erstmal nur um Eindrücke, die man ruhig auch mal aussprechen kann. Ungefähr so, wie wenn man etwas ‚liked‘ oder auch nicht. Nur daß man es in Worten ausdrückt, statt ein Button anzuklicken. Wenn man den Faden dann fortspinnt, kommt oft Überraschendes zu Tage. Aber dafür bedarf es wohl einer face-to-face-Situation, weil dem geschriebenen Wort eine gewisse Gnadenlosigkeit anhaftet. Es geht eben nichts über ein echtes Gespräch! (Seufz)

  2. Weiß schon dass du kein solcher „Geburtstagerer“ bist, Werner, aber dennoch und ohne Schleimerei Glückwunsch an den Blog! Ich lese zwar fast seit Anfang hier mit, kommentiere aber nur selten, weil ich mich dazu oft nicht belesen und kompetent genug fühle (um auf eure Diskussion hier einzugehen). Aber mir haben bisher die meisten Blogposts gut gefallen, könnten ruhig mehr davon sein!
    In der Provence war ich übrigens auch schon mal, aber nur am Meer. Nächstes Mal werd ich deine Tipps fürs Hinterland beherzigen. Wirst du dafür eigentlich vom Touristikverband der Provence gesponsort?

  3. (Kralle) Darin zeigt sich eben die Kunst: den Oxnzeam ausgiebig zu gebrauchen, ohne dass dies der Getroffene auch nur bemerke. Und daher den Schwingenden irrtümlich für bieder halte.

      1. Dein Einwand, Detlef, ist berechtigt, allerdings spielt der O-Text durch die Konjunktion „und“ einerseits mit der nicht erfüllten semantischen Erwartung (weshalb das vorangestellte „Auge“ als Initialzünder der Erinnerung an das Sprücherl benötigt wird) und andererseits wird dadurch die Ambivalenz und gleichzeitige Doppelung der Wahrnehmung analog – digital (Auge – Browser) symbolisiert. Der Browser ist ja, wie du richtig meinst, unser „Auge“ ins Netz, wir haben also inzwischen Cyborg-mäßig zwei Arten von Augen).
        Aber vielleicht sollte man gar nicht zu viele Interpretationsmöglichkeiten vorkauen für all die Germanisten, die sich irgendwann auf dieses Notizbücherl stürzen werden ;-)

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