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Im Klaustall der Literatur: Auch ein Axolotl nährt sich von Plagiaten

axolotl roadkill

Gern hört und erzählt man die Geschichten von den kreativen Wunderkindern, die uns als Genies mit ihren scheinbar originären Schöpfungen beglücken, die der Menschheit das Schöne, Wahre & Gute, den Fortschritt in Wissenschaft und Künsten bescheren, als kämen sie als auserwählte Königskinder auf einem Strahl des Hegelschen Weltgeists dahergeritten.

axolotl roadkillSoeben wieder mal geschehen mit der Jungautorin Helene Hegemann, deren 200-seitiger Roman „Axolotl Roadkill“ in den letzten Wochen von vielen Feuilletons sensationsgeil vorschnell zur literarischen Sensation, zum Szene-Kultbuch hochgejazzt wurde, die nun aber nach ‚investigativen Enthüllungen‘ dummerweise als  ‚Fall Hegemann‘ die literarische Republik erschüttert: Der erst 17-jährigen Berlinerin wird  vorgeworfen, sie habe etliche Teile ihres Buches aus verschiedenen Werken anderer zusammenmontiert, teilweise mit fast wörtlich übernommenen Textpassagen, ohne diese entsprechend zu kennzeichnen oder dafür die Erlaubnis der Originalautoren oder deren Verlage eingeholt zu haben.
In einem SZ-Interview behauptet der Blogger Deef Pirmasens, dass viele Axolotl-Szenen und scheinbar originär-erfrischende Wortschöpfungen wie „Vaselintitten“ oder „Technoplastizität“ aus dem Buch Strobo des Berliner Bloggers Airen übernommen wurden. Auch aus einem Songtext der Band Archive habe Hegemann ohne Quellangabe zitiert. Und Deef Pirmasens dürfte wohl Recht haben mit seiner Vermutung: „Ein Buch von einem 28-jährigen Blogger aus einem Untergrundverlag ist offensichtlich nicht so interessant wie eine Veröffentlichung in einem Großverlag von einer Jugendlichen, deren Vater in der Kulturszene bekannt ist. Hegemann wird ja gelobt als das Wunderkind der Literaturszene, das den großen Generationenroman geschrieben hat.“

Ursprünglich geht der Begriff Plagiat  auf eine der ältesten bekannten Urheberrechtsverletzungen aus dem Rom des ersten Jahrhunderts nach Christus zurück. Damals prägte der römische Dichter Marcus Valerius Martialis  den Begriff „Plagiat“, als ein gewisser Fidentinus seine Gedichte fälschlich als eigene ausgegeben hatte, und da Martialis seine Epigramme gern mit freigelassenen Sklaven verglich, bezeichnete er jenen als „Menschenräuber“.
Angefangen hatte die Rechtssicherung literarischer Urheberrrechtsansprüche mit der höheren Wertschätzung des Individuums ab der Renaissance, als man  Autorenprivilegien gewährte, mit denen der Schöpfer für sein Werk belohnt werden sollte. In Deutschland wurde ein solches Privileg erstmals 1511 Albrecht Dürer eingeräumt.
Gerichtsmassige Streitereien aber, wer von wem und wer zuerst, entwickelten sich so richtig erst in den modernen Zeiten der geldwerten kulturindustriellen Ausschöpfung von Urheberrechten seit etwa zwei Jahrhunderten – proportional steigend zur Veröffentlichung neuer Werke, der Gründung weiterer Verlage und bei der Etablierung neuer Medien.
Wer sich die Mühe machen könnte, in der Masse der bis heute geschaffenen und ständig neu hinzukommenden Werke nach mehr oder weniger versteckten Plagiaten zu suchen, würde vielfach fündig, denn kaum eine Idee oder Szenerie, die nicht irgendwann so oder ähnlich schon einmal literarisch verbraten wurde (man denke nur an Thomas Manns „Dokor Faustus„) – die großen Erzählungen und Bilder bleiben halt immer die gleichen, auch wenn manches Wort, manch Pinselstrich für frischen Anstrich sorgt.
Folgerichtig verteidigt sich Jungautorin Hegemann im Magazin „Buchmarkt“: „Das, was wir machen, ist eine Summierung aus den Dingen, die wir erleben, lesen, mitkriegen und träumen. Es gibt da ziemlich viel, was mit meinen Gedanken korrespondiert und sich in mein Gehirn einschreibt, dadurch aber gleichzeitig auch etwas komplett anderes wird. Ich bin nur Untermieter in meinem eigenen Kopf.“
Und stellt konkret zu ihrem umstrittenen Buch klar: „Originalität gibt“™s sowieso nicht, nur Echtheit. Und mir ist es völlig egal, woher Leute die Elemente ihrer ganzen Versuchsanordnungen nehmen, die Hauptsache ist, wohin sie sie tragen. Von mir selber ist überhaupt nichts, ich selbst bin schon nicht von mir (dieser Satz ist übrigens von Sophie Rois geklaut) „“ ich habe eine Sprache antrainiert gekriegt als Kind und trainiere mir jetzt immer noch Sachen und Versatzstücke an, aber mit einer größeren Stilsicherheit. Das sind Formulierungen und Weltanschauungen und auch einfach bestimmte Floskeln, die mich prägen und weiterbringen in dem, was ich äußern und vermitteln will, und da beraube ich total schonungslos meine Freunde, Filmemacher, andere Autoren und auch mich selbst. Wenn da die komplette Zeit über reininterpretiert wird, dass das, was ich geschrieben habe, ein Stellvertreterroman für die Nullerjahre ist, muss auch anerkannt werden, dass der Entstehungsprozess mit diesem Jahrzehnt und den Vorgehensweisen dieses Jahrzehnts zu tun hat, also mit der Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation.“

Mit dem letzten Statement trifft sie die aktuelle Diskussion über eine Anpassung des Urheberrechts im Internetzeitalter auf den Punkt. Da stehen die copy&paste-generation gegen das althergebrachte Pfründedenken, die intertextuellen Spiele  gegen Elfenbeinturmmentalität, ein geändertes Produktions- und Konsumverhalten mit vermeintlich mangelndem Unrechtsbewusstsein gegen Alleinverwertungsansprüche. Allerdings steht Hegemann ja nicht allein mit ihrer Meinung, dass alles neu Geschaffenene auf bereits Bestehendem gründet und dieses Neue wiederum das Folgende ermöglicht – ist übrigens auch ein Prinzip in der Buddhistischen Philosophie, in der aus dem ‚Anatman‘ (bedingte Existenz) via Karma das Nirvana erreicht werden kann (Zustand höchsten Bewusstseins und Einsicht bei gleichzeitiger Leidfreiheit – aber hallo, da grüßt der ‚Weltgeist‘ doch nochmal mit ;-)

Bis zum Nirvana hat die Menschheit wohl noch ein Stückerl hin (auch wenn manche die Cloud schon dafür halten ;-), aber unabhängig von seiner Qualität zeigt das Buch (ich habs nicht gelesen und habs auch nicht vor), dass in der Diskussion um eine Novellierung des Urheberrechts der Begriff des ‚Geistigen Eigentums‘ und seiner Grenzen erst neu durchdacht und verhandelt werden sollte bevor man sich an die verwertungsrechtliche Ausschlachtung desselben macht. Und es führt auch dem ‚einfachen‘ Kulturkonsumenten wieder mal vor Augen, wie gern uns das sensationsheischende Groß-Feuilleton mit auffrisiertem Party-Smalltalk füttert, wie es uns mit dem schönen Märchen vom Genie zu unkritischen Bewunderern und ‚modebewussten‘ Käufern machen will.
Und die Autorin und ihr Verlag? Wie Kulturzeit heute berichtete, wird der Vorlagenschreiber Airen ab der zweiten Roman-Auflage mit Dank erwähnt, nachdem nun von dessem Originalverlag SuKulTur nachträgliche Abdruckgenehmigungen eingeholt wurden und die talentierte Schriftstellerin Hegemann will ihre Inspiration, den Blogger Airen, jetzt auch mal persönlich kennenlernen.
Schön, wenn aus intertextueller Netz-Kommunikation auch mal was Leibhaftiges wird.


Nachtrag: Weitere Meinungen zum Thema:

wf

10 Gedanken zu „Im Klaustall der Literatur: Auch ein Axolotl nährt sich von Plagiaten“

  1. Ich kann es kaum glauben. Denn hier wird nicht verstanden was Sache ist. Natürlich sind die großen Themen immer wieder da und wir verarbeiten erfahrungen und lassen uns inspirieren. Aber es ist doch ein Unterschied ob ich ein Thema wieder aufgreife oder aber fast wortwörtlich abschreibe. Es liegt nicht am Urheberrecht, hier wird nur zu schützen versucht, was vorher hochgelobt wurde. Was sie machte war falsch und wie man richtig zitiert lernt man in der Schule. Schließlich hat sie nicht nur Thema und umgebung genutzt, sondern einzelne Handlungsstrukturen in Absätzen kopiert. Wer da den Unterschied nicht sieht, dem denke ich, ist nicht zu helfen.

  2. Hier geht’s ja nicht um eine Verteidigung von Hegemanns Abschreiberei, sondern um die Selbstentblödung eines sensationsgeilen Genie-Kults, der allerdings grundsätzliche Fragen zu den heutigen Entstehungsbedingungen von Werken und somit also auch nach ‚Geistigem Eigentum‘ und dessen Verwertung impliziert.

  3. Da stehen die copy&paste-generation gegen das althergebrachte Pfründedenken, die intertextuellen Spiele gegen Elfenbeinturmmentalität, ein geändertes Produktions- und Konsumverhalten mit vermeintlich mangelndem Unrechtsbewusstsein gegen Alleinverwertungsansprüche. Allerdings steht Hegemann ja nicht allein mit ihrer Meinung, dass alles neu Geschaffenene auf bereits Bestehendem gründet und dieses Neue wiederum das Folgende ermöglicht –

    Ersteinmal verbergen natürlich Anglizismen hier schön, was auf Deutsch sehr viel realistischer ist, als es auf englisch so schön ausschmückt. Denn zum Kopieren und Einfügen gehören doch weniger Kunst, als ein einfacher Grundverstand. Hier liegt auch kein Prinzip hinter, dass ist einfach Dummschwätzerei.

    Aber wenn ich das in dem Artikel richtig lese, wird hier Hegemanns Sicht sehr viel verständnisvoller dagelegt als die andere Seite. Denn intertextuelle Spiele liest sich schön und „vermeintliches“ Unrechtsbewusstsein verschönigt die Tatsachen, während Elfenbeinmentalität und Alleinverwertungsansprüche sich direkt nach „die da oben“ anhört und dem Leser einen negativen Eindruck verschafft. Dann wird schön auf Thomas Mann verwiesen, denn was irgendeine Berühmter mal gemacht hat, muss ja auch gut sein.

    Dann wird noch schön der Buddhismus missbraucht, denn wo der Leser sich nicht auszukennen vermag, glaubt er das gelesene. Das Buddhistische Prinzip lehrt uns aber nicht das Copy&Paste verhalten, sondern mehr ein Copy&upgrading verhalten. Nehme das bestehende, finde den richtigen Kern und schaffe daraus etwas besseres. Überprüfe jedes Wort, jeden Satz, jeden Gedanken. SO heißt es im Buddhismus; und wenn ich einfach abschreibe ist es damit nicht getan. Der Buddhismus unterstützt hier die Inspiration und nicht das kopieren. Das finde ich ist in diesem Text vielleicht nicht falsch, aber schleierhaft dagestellt und lässt Lesern andere Schlüsse zu als sollte. Eine neutralere Schreibe vielleicht beim nächsten mal, ohne jemanden angreifen zu wollen.

  4. Unterschiedliche Schlüsse zulassen, nicht-neutrale Schreibe und schleierhafte metaphorische Beziehungen sind halt nun mal die Merkmale der changierenden Opazität ironischer Sprachspiele, die sich deshalb auch nicht so einfach dekonstruieren lassen, geschweige denn jedem zugänglich sind ;-)

  5. Zu behaupten es gäbe Zusammenhänge die nicht sprachlich einfacher dagestellt werden als getan, weil sie so tiefengängig werden, spricht nicht für die Korrektheit dieser Aussage, sondern einfach nur gegen die Intelligenz des Aussagenden. Und ich weiß nichteinmal wen ich gerade ungefähr zitiere.

    Aber dennoch wüsste ich dann gerne die genaue Stellungnahme. Wenn dies hier nicht verteidigt wird… dann wird was getan? Mir scheint es doch so, eine klare Seite in diesem Fall im Text ausmachen zu können.

  6. Leibhaftig wurde die Hegemann heut abend auch bei Harald Schmidt. Aber gar nicht so vorgeführt vom Altmeister als unbedarfte Nachwuchs-Schmuddeltippse im Klaustall-Saustall-Laufstall des LitBizz (wie man es vielleicht erwartet hätte), dazu war die Kleine einfach zu eloquent und bis zum Schluss war unklar, wer da wen an der Nase rumführte. Hätte jedem Ironiker bestimmt gefallen, könnt es euch ja in irgendeiner Wiederholung oder der Mediathek reinziehen

  7. Ich habe viel über den „Fall Hegemann“ nachgedacht. Nach den ersten Berichten wollte ich das Buch unbedingt lesen. Als ich erfuhr, dass vieles einfach abgeschrieben wurde, hatte ich keine Lust mehr dazu.

    Ich bin selber Bloggerin. Jeder Blogger weiß, wieviel Arbeit ein Blog macht, wieviel von uns selber in das Blog einfließt. Ich finde es nicht richtig, wenn die Blogtexte geklaut werden.

    Ich frage mich, ob die erst 17jährige sich darüber überhaupt Gedanken gemacht hat. Ich denke nicht.

    Gruß Susanne

  8. Der Fall ist ja nun in allen Medien überreichlich ausgeweidet und das reine „Klauen“ ohne Quellenangabe findet niemand gut. Dennoch zeigt die Diskussion, dass man den Begriff des „Geistigen Eigentums“ heute neu verhandeln muss. Der hat nämlich erst seit gut zwei Jahrhunderten bei uns diese merkantile Konnotation bekommen, als handele es sich um verkäufliche Werkstücke. Dabei entstehen Ideen ja aus Adaptionen von früherem, sie emergieren aus deinen zusammengesammelten Hirninhalten, aus den Memen der kulturellen Evolution und wirken entsprechend karmatisch weiter, sind also wie die Erfindung des Rads oder der Raumfahrt, wie philosophische Konzepte, Religionen oder neue Medikamente allgemeines Kulturgut, das keine Exclusivität beanspruchen kann, sobald einmal ins Weltwissen eingebracht. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass da ein eigenständiges „Ich“ mit ‚göttlichen Eingebungen‘ vor sich hinwerkelt.
    Als Bloggerin solltest du, Susanne, dich doch freuen, wenn jemand was von dir aufgreift – bis allerdings die Neurowissenschaften und die ‚Philosophie des Geistes‘ irgendwann vielleicht mal mehr Klarheit zum Thema Kreativität gewinnen, darfst du natürlich auf deine schöpferische Anerkennung durch Namensnennung und kleine Aufwandsentschädigung bestehen ;-)

  9. Ach, es wird so viel über Hegemann und das Plagiat gesprochen… niemand redet mehr über die eigentlichen QUALITÄTEN des Romans… bzw. die Abwesenheit davon… im Ernst: ich habe vor einigen Tagen die ersten 50 Seiten gelesen. Man kann’s drehen und wenden wie man will: das mag ein gewisses pädagogisches, soziologisches oder auch psychologisches Interesse wachrufen – ein Literarisches jedoch nicht! Es ist ein scheußlicher Stil, unbeherrscht, undiszipliniert und amateurhaft. Das mögen einige Kritiker zwar äußert „zeitgeisty“ finden – aber es ist schon irgend zynisch Inhaltsleere, Formverfehlung und Zeitgeist in einem Atemzug zu nennen…

    Wie dem auch sei: wer noch Lust hat, über den Roman zu diskutieren, kann das ja gerne hier tun:
    http://literaturen.net/autorinnen-und-autoren-f2/was-haltet-ihr-von-helene-hegemanns-roman–t7.html

    Empfehlen kann ich die Lektüre jedoch niemandem…

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