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Unseriöse Literaturkritik

‚Was hat der Mann wohl dafür bekommen?‘ mag sich mancher verwundert fragen, wenn er eine lobhudelnde Rezension zu einem Buch, das er selbst schon als grottenschlechtes Machwerk enttarnt hat, in seinem als glaubwürdig geachteten Lieblings-Feuilleton liest. Natürlich traut man dem ‚gemeinen Literaturkritiker‘ zu, dass er sich von Verlagen, ja vielleicht sogar von manchen eitlen Autoren selbst, für ein wenig Schönschreibe schmieren lässt, ohne achtbare Kritik schließlich kein Verkauf und kein Ansehen, aber wie so oft ist auch diese Verschwörungs-Vermutung ziemlich haltlos, von Teilen der Reise-, Esoterik- und Wellness-Verlagsbranche mal abgesehen ;-)
Denn in der ’seriösen‘ Literaturkritik sind Bestechungversuche eher die Ausnahme, sogar „Freundschaftsdienste“ sind verpönt (kommen ja doch irgendwann raus), und die „Anmache“ der (meist kleineren) Verlage beschränkt sich auf die unverlangte Zusendung von Rezensionsexemplaren mit beiliegenden Bittschreiben. Da muss der angebaggerte Literaturkritiker dann von Fall zu Fall nach seinen (subjektiven) Qualitäts- und Interessenskriterien entscheiden, ob das Werk überhaupt rezensabel ist oder ob man’s wenigstens noch im Flohmarktwarenbestand der Hartz-IV-Nachbarin verwerten kann.
Nein, so direkt käuflich ist ‚literaturkritische‘ Gefälligkeits-Schreibe selten, hat aber heutzutage oft sehr wohl mit Kohle zu tun. Denn wie für die meisten freien Journalisten ist natürlich auch für Literaturkritiker, die von ihrer Arbeit den Lebensunterhalt bestreiten müssen, der massive Abbau der Zeitschriften-Feuilletons eine veritable Katastrophe.  Um im Geschäft zu bleiben, muss man sich halt den Erwartungen der Kunden (= Redaktionen) und also auch denen einer bestimmten Leserschaft anpassen.
Einen krassen Fall von derartigem Opportunismus und Glaubwürdigkeitsmissbrauch schildert nun Andreas Simmen (Programmleiter bei Rotbuch) in einem Enthüllungsartikel in der Schweizer „Wochenzeitung“ (Auszug):
„Dieser Rezensent unterhält eine Art Rezensionenmanufaktur; er hat einen gewaltigen Ausstoss, weshalb man von ihm nicht erwarten kann, dass er die Bücher auch noch liest. Seine Geschäftsphilosophie besteht darin, dass es nicht darauf ankommt, dem Buch gerecht zu werden, sondern dem jeweiligen Abnehmer der Rezension, seinem Kunden. Er schreibt für elektronische und gedruckte Medien im deutschen Sprachraum, manchmal unter verschiedenen Namen.“
Und weiter: „Bei der NZZ-Version fügt er jeweils kundengerechte Textbausteine ein, die, was unsere Bücher angeht, immer in die gleiche Richtung zielen. Etwa: «Warum eigentlich müssen fast alle Hauptfiguren auf der „¹guten“º, der linken Seite stehen?», oder: «Wer mag, kann den Roman als linke Streitschrift feiern.» Das hat zwar mit den Büchern, um die es hier ging, nicht das Geringste zu tun. Aber […] meinte es auch nicht allzu ernst, denn was in seinem ND-Text eine freundliche Besprechung sein kann, wird erst in der NZZ zum Verriss. Warum tut er das? Vielleicht weil er denkt, die NZZ wolle es so haben. Also aus vorauseilendem Opportunismus. Dieser dürfte das entscheidende Movens dieses Feuilletonschreibers sein.“

Unwahrscheinlich, dass der (dort namentlich genannte) Mann noch lange im Geschäft bleibt,  für seriöse Feuilletonredaktionen ist er damit verbrannt. Denn bei „Qualitätsmedien“ wird der Kritiker-Ehrenkodex zumindest nach Aussen noch hochgehalten, weil ja gerade der das gute Image begründet – gelegentliche Vitamin-B-Spritzen für bessere Buchhandels-Zieleinläufe werden im Business eher abseits der Redaktionstische gehandelt, etwa auf Buchmessen oder Literaturwettbewerben.

Vielleicht muss dieser Herr dann seinen bisherigen Kritiker-Job als Amazon-Leser-Rezensent zum Hobby machen und ansonsten wieder Taxi fahren …

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Ein Gedanke zu „Unseriöse Literaturkritik“

  1. die vermeintlich gute Tat, schlechte Bücher an Bedürftige zu Flohmarktzwecken abzugeben, ist aus literaturethischer Sicht ziemlich unredlich – Müll sollte einfach entsorgt werden.

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