Bei den brisanten Themen Urheber- und Verwertungsrechte, Creative Commons und Open Access geht es nicht nur um wirtschaftliche, juristische und technologische Interessen, sondern auch um kulturphilosophische Fragen und politische Weichenstellungen für die künftige Verbreitung von Wissenschaft und Kunst (nicht nur) im Internet und um nicht weniger als die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung einer offenen, kreativen Gesellschaft im „Informationszeitalter“.
Der Londoner / Wiener Medienkünstler und Journalist Armin Medosch hat die aktuellen Entwicklungen und den Stand der hochkomplexen Diskussion in dem folgenden scharfzüngigen Essay für „The Next Layer“ zusammengefasst und diese durchdachte Arbeit hier als Gastbeitrag zur Verfügung gestellt – die Themen wurden ja bei uns auch schon öfter „angebraten“ …
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Gastbeitrag von Armin Medosch:
„Die Zeit“ und die „intellektuelle Finsternis“
Die sogenannte Heidelberger Erklärung und die Kampagne namhafter deutschsprachiger Medien gegen Open Access und Google Books verrät nicht nur ihre Arroganz und Borniertheit gegenüber neuen Formen der Produktion und Dissemination von Kultur und Wissen, sondern offenbart auch anti-liberale, autoritäre Züge – die bürgerlichen Medien haben ihre liberalen Wurzeln wohl vergessen oder verdrängt. Die „intellektuelle Finsternis“, die von FAZ und Die Zeit auf Grund der „unheimlichen Kräfte“ des Internet befürchtet wird, ist bereits da und von ihnen selbst mitverschuldet. Was jedoch wirklich gebraucht wird, anstatt drakonischer Urteile und Netzsperren, sind neue Wege der Vergütung kultureller Produktion, die an den etablierten, im Niedergang befindlichen Instanzen vorbei gehen.
In einer Titelgeschichte in der Wochenzeitung Die Zeit holte Reporterin Susanne Gaschke kürzlich zu einer umfassenden Polemik gegen die, wie sie es nennt, „Umsonst-Mentalität“ des Internet aus. (siehe Im Netz der Piraten). Sie folgt dabei der breiten Schneise, welche die sogenannte Heidelberger Erklärung zuvor schon im deutschen Blätterwald geschlagen hatte. In diesem von mehr als 1600 Autoren, Autorinnen und Verlagen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum unterzeichneten Aufruf fordert Roland Reuß, Philologe und Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Heidelberg, „das bestehende Urheberrecht, die Publikationsfreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre entschlossen und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen.“
Die Rhetorik der Freiheit vermischt, wie Matthias Spielkamp von irights.de gezeigt hat, zwei Dinge, die nicht zusammengehören. Der großangelegte Versuch von Google Books, alle Bücher dieser Welt zur Not auch ohne vorhergehende Zustimmung der Autoren einzuscannen, wird mit den Bemühungen der Open-Access-Bewegung, die fordert, dass mit öffentlichen Geldern geförderte wissenschaftliche Textproduktion auch öffentlich zugänglich sein solle, „zusammengequirlt“, so Spielkamp. (Siehe Open Excess: Der Heidelberger Appell)
Die Autorin der Zeit-Titelgeschichte, Susanne Gaschke, ist selbst Unterzeichnerin des Heidelberger Appells, genauso übrigens wie Zeit-Herausgeber und ehemaliger deutscher Bundeskulturbeauftragter Michael Naumann. Die Zeit-Polemik strotzt nur so von kulturkonservativen Vorurteilen. The Pirate Bay wird als „Anleitungsbörse für Film- und Musikdiebstahl“ verunglimpft und die Haft- und potenziell – sofern diese nicht widerrufen werden – Existenzen verkrüppelnden Urteile ausdrücklich begrüßt. Die „Pose der harmlosen Kulturvermittler“ wird den schwedischen Copyleft-Aktivisten nicht abgenommen und ihr Vorgehen in die Nähe der Verfügbarmachung von Kinderpornografie gerückt. Netzsperren fordert Gaschke, auch wenn diese technisch umgangen werden können, denn entscheidend sei, dass „die Gesellschaft eine andauernde Rechtsverletzung ächtet.“
Die Pläne von Google-Books zur „Digitalisierung des Wissens der Welt“ werden als „unheimlich“ bezeichnet. Gemeinsam mit den Unterzeichnern der Heidelberger Erklärung wünscht sie sich ein „Stoppsignal“. Denn „wer wird die Nachtwachen und die Einsamkeit literarischer Produktion noch auf sich nehmen“, wenn man dafür nicht einmal die 10 Prozent vom Verkaufspreis bekommt, die Verlage Autoren üblicherweise zugestehen? In ihrer Schlusssalve spielt sie das „unlektorierte Mitteilungsbedürfnis der Nutzermassen“ im Netz gegen die „intellektuelle Finsternis“ aus, die drohen würde, wenn das „hohe Verfassungsgut“ der „Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft“ nicht gegen solchen Vandalismus verteidigt werde.
Der schon irgendwie nur mehr ironisch zu verstehende Verweis auf die „intellektuelle Finsternis“ mag manche daran erinnern, dass bei der ZEIT selbst 1996 beinahe die Lichter ausgegangen wären, wenn nicht die Holtzbrinck Verlagsgruppe hilfreich eingesprungen wäre. Die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck ist laut Wikipedia der sechstgrößte Medienkonzern Deutschlands. Neben Publikumsverlagen wie Rohwolt, S.Fischer und Kiepenheuer & Witsch besitzt die Gruppe den US-amerikanischen Macmillan Verlag und hat damit eine starke Präsenz auch im Bereich der wissenschaftlichen Publikationen mit Titeln wie Scientific American, Nature und Spektrum der Wissenschaft.
Nach der aufsehenerregenden Übernahme des deutschen Studentennetzwerkes StudiVZ für kolportierte bis zu 100 Mio Euro im Jahr 2007 kam der ansonsten als „stiller Riese“ bezeichnete Konzern gerade eben wieder in die Schlagzeilen, durch einen familieninternen Verkauf der überregionalen Tageszeitungen, darunter ein fünfzigprozentiger Anteil an Die Zeit, an Dieter von Holtzbrinck. Die Übernahme der Zeit 1996 durch Holtzbrinck leitete eine Kehrtwende ein. Das anschließende Re-design und die Veränderung der redaktionellen Linie hin zu kürzeren und stärker populistisch betitelten Artikeln haben eine Erholung der Verkausfszahlen bewirkt, aber möglicherweise jene Senkung der redaktionellen Standards bewirkt, die solche Artikel möglich machen. (siehe: Die Gräfin gruselt es)
Was ist an dem Zeit-Artikel zu Google Books und Open Access falsch? So ziemlich alles, darin ist sich die Bloggerszene (siehe z.B. Susanne Gascke versteht das Netz nicht) mit Heise Online einig.
Wie Heise Online ebenfalls berichtete, wirft das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ den Unterzeichnern der Heidelberger Erklärung vor, eine „verantwortungslose Kampagne gegen den freien Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen“ gestartet zu haben. Denn anders als von der Erklärung unterstellt, ist die Open-Access-Bewegung eben keine Verschwörung aus dem Internet, sondern wird von nahmhaften ForscherInnen und Forschungsinstituten getragen.
Hierbei geht es darum, dass der Staat gleich zweimal für wissenschaftliche Publikationen bezahlt, einmal, indem die Gehälter für die Forscher und Akademiker vom Staat bezahlt werden, die diese Texte erstellen, und ein zweites Mal, indem Universitätsbibliotheken hohe Gebühren an privatwirtschaftliche Verlage zahlen müssen, damit Personal und Studenten Zugang zu diesen Artikeln bekommen. Denn Bedingung für die Aufnahme eines Artikels in eines der Peer-Reviewed Wissenschafts-Magazine, in denen zu publizieren für WissenschafterInnen geradezu Pflicht ist, ist, dass die Autoren, die übrigens nichts bezahlt bekommen, Exklusivrechte an die Wissenschaftsverlage abtreten.
Alles was die Open-Access-Bewegung will, ist die Möglichkeit, nichtexklusiver Rechte, so dass gleichzeitig im Wissenschaftsverlag und auf der eigenen Homepage oder in der Open-Access-Datenbank publiziert werden kann. Die bisherige Praxis hat die Öffentlichkeit von diesen hochwertigen Publikationen ausgeschlossen (Preise von 30 Euro und mehr für einzelne Artikel kommen einem defacto-Ausschluss gleich) und Verlage wie Springer (nicht zu verwechseln mit der Axel-Springer AG), Reed Elsevier oder Taylor and Francis reich gemacht. Holtzbrink mischt übrigens, via Macmillan und Nature-Gruppe auch kräftig im wissenschaftlichen Publikationsgeschäft mit. In Zeiten der Krise und Kürzungen bei Bildungsbudgets können sich Bibliotheken die teuren Subskriptionen immer weniger leisten. Kein Wunder dass das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ den Initiatoren der Heidelberger Kampagne „ein rückwärts gerichtetes und pur individualistisches Verständnis von Freiheit und Rechten“ (Heise Online, siehe oben) vorwirft.
Der Zeit-Artikel und der Heidelberger Ordnungsruf sind symptomatisch für ein in der Presse grassierendes, extrem einseitiges Verständnis von „Urheberrecht“. Offensichtlich werden als „Urheber“ nur jene verstanden, die in den Copyright-geschützten Publikationen der Kulturindustrie publizieren, wie bereits ein Kommentator auf Netzpolitik.org bemerkte. Ebenso auffällig ist die historische Unkenntnis über den Charakter des geistigen Eigentums. Es wird unterstellt, dass die mit dem geistigen Eigentum verwandten Rechte reine Individualrechte sei. Dem ist aber nicht so.
Die verschiedenen Facetten des geistigen Eigentums (Urheberrecht, bzw. Copyright, Patente, Markenrechte) haben sich historisch entwickelt, um eine Balance zwischen dem Interesse der Urheber, bzw. Rechteinhaber (wie z.B. Verlage) und dem Interesse der Öffentlichkeit an der Verfügbarkeit der Werke zu erzielen – das Urheberrecht ist keine Einbahnstraße. (siehe hierzu die von internationalen Urheberrechtsexperten erstellte Adelphi Charter der Royal Society of the Arts, sowie ein Artikel von Creative Commons Mitbegründer James Boyle Protecting the public domain). Erst in den neunziger Jahren, als mit dem Aufkommen des Internet und der digitalen Speicher- und Verfielfältigungstechnologien die Verlage und die Musik- und Filmindustrie ihr am Copyright orientiertes Geschäftsmodell in Frage gestellt sahen, kam es zu einer massiven Verschärfung des Copyright. Nachdem Frankreich ein Gesetz zur Sperre von Peer-to-Peer Downloadern erlassen hat, ist auch die EU auf dem Weg dazu, solche Netzsperren für Downloader zu implementieren.
Immer wieder gelingt es den Copyright-Industrien, ahnungslose AutorInnen (und noch ahnungslosere Politiker) auf ihre Seite zu ziehen, um solche drakonischen Gesetze auf den Weg zu bringen. Gerne benutzt man dazu das Argument, dass niemand die Mühen der Schöpfung auf sich nehmen würde, wenn es keinen extrem verschärften und auf tausend Jahre ausgedehnten Schutz des Copyright gäbe. Doch dieses Argument ist nicht nur löchrig, sondern empirisch widerlegt. Beginnen wir mit letzterem.
Das Intellectuell Property Policy Research Centre der Universität Bournemouth hat eine vergleichende Studie zum Zusammenhang zwischen Copyright und dem Einkommen von englischen und deutschen Autoren erstellt (siehe Study on the Income of Authors). Das Ergebnis ist, dass die verbreitete Policy, die darauf beruhte, in starkem Urheberrechtsschutz einen Anreiz für kulturelle Produktion zu sehen, schlichtweg falsch ist. Nur eine Minderheit von AutorInnen wie J.K. Rowling oder Daniel Kehlmann verdienen wirklich gut. Über 60% der AutorInnen benötigen ein Nebeneinkommen aus einer anderen Tätigkeit und dieses kombinierte Einkommen wird zusätzlich oft dadurch ergänzt, dass der oder die Autorin mit einem besserverdienendem Partner zusammenlebt. Denn nur so können AutorInnen überhaupt existieren, die aus ihrer Arbeit in Deutschland laut Studie durchschnittlich ein Jahreseinkommen von 12.000 Euro (in den Jahren 2004/2005) erzielten, was 42% des nationalen Durchschnitteinkommens ausmacht. Und dennoch produzieren sie.
Das Argument ist darüber hinaus auch löchrig, weil es unterstellt, dass Kultur- und Wissensprodukte von vorneherein als Waren zu begreifen seien. Es klafft wohl nirgendwo eine größere Lücke zwischen Nutzwert und Tauschwert als in diesem Bereich. Die Warenform der kulturellen Güter (im weitesten Sinn, einschließlich wissenschaftlicher Publikationen) ist eine sehr junge „Errungenschaft“, wenn man das so nennen kann, und steht oft im Gegensatz zum intrinsischen Interesse der Gesellschaft an einer freien Zirkulation dieser Werke.
Das einseitige Verständnis von Kulturgütern als Waren beschneidet die vielfältigen Fäden, die Autoren und Publikum, Werk und Wirkung miteinander verbinden. Die Leser produzieren nicht nur das Werk durch ihre Rezeptionsleistung, die Gesellschaft ist zugleich auch jener Apparat, der die Produzierenden produziert und somit automatisch ein (Mit)Recht an ihren Produkten hat. Die individual-anarchistische Auffassung, dass „mein Werk“ mir und nur mir allein gehört, ist wohl ein Ergebniss eines falsch verstandenen Individualismus- und Schöpferkults, denn kulturelle Produktion ist immer schon per se gesellschaftlich. Was jemand allein im Wald erzeugt, hat der Unabomber exemplarisch klar gemacht.
Nicht zuletzt ist jegliche Produktion, ob Literatur oder Wissenschaft, von vorherigen Produktionen abhängig. Die Produktion ist dialogisch, insofern sie sich auf vorhergegangene Werke stützt, sie verwirft oder kritisiert oder über sie hinausgeht und neue Wege aufzeigt.
Indem Die Zeit sich der Kampagne gegen Google Books, Pirate Bay und Open Access anschließt, zeigt sie sich als treue Dienerin ihrer adeligen Großmedienbesitzer und demonstriert so ganz nebenbei, dass das einstmals als „liberal“ geltende Blatt die Bedeutung des Liberalismus
verlernt hat. Das Internet ist eben keine geheimniskrämerische Verschwörung finsterer Mächte, wie der Heidelberger Literaturprofessor und seine fehlgeleiteten Unterstützer uns weis machen wollen, sondern im Gegtenteil, beruht auf offenen und öffentlich einsehbaren Standards, den sogenannten Internetprotokollen, oder RFCs. Jeder kann diese Protokolle nutzen oder auch neue entwickeln, ohne vorher um Erlaubnis fragen zu müssen.
Google ist jene Firma, die es zum gegenwärtigen Stand der Dinge am besten verstanden hat, diesen Open-Source-Liberalismus zu nutzen. Google ist ja primär immer noch eine Suchmaschine, welche die im Internet veröffentlichten Inhalte zugänglich macht, gratis für die Nutzer. Dagegen kann man sich wohl kaum beschweren. Dass Google diese Funktion so gut erfüllt, dass daraus eine quasi-Monopolstellung erwachsen ist, die Google enorme Werbeeinnahmen beschert und das Unternehmen kürzlich wieder zur teuersten Marke der Welt werden ließ, liegt im Wesen des Kapitalismus, der zur Monopolbildung tendiert.
Die Einscan-Aktion von Google Books ist sicherlich kontrovers. Aber immerhin macht Google dadurch viele vergriffene und antiquarische Bücher weltweit zugänglich. In meinem persönlichen Nutzerverhalten hat ein Treffer bei Google Books schon öfter zum anschließenden Kauf des Druckwerks geführt. Und immerhin zahlt Google den Autoren in den USA 63% der Werbeeinnahmen, was sich gegenüber den 10% vom Verkaufspreis, die deutsche Verlage üblicherweise an Autoren zahlen, relativ großzügig ausnimmt. In seiner ganzen Funktionsweise ist Google, ob man das nun gut findet oder nicht, der perfekte Ausdruck des radikalen Wirtschaftsliberalismus eines Friedrich von Hayek. Dieser der liberalen „österreichischen Schule“ angehörige Ökonom vertrat eine strikte Ideologie des freien Marktes auch dann noch, als die Weltwirtschaftskrise nach dem Börsencrash 1929 den Wirtschaftsliberalismus in Verruf gebracht hatte. Nach dem Zweiten Weltrkieg ein relativ einsamer Gegner des Keynisianismus, wurde Hayek seit dem Einsetzen des Neoliberalismus eine späte Renaissance zuteil. Seine Theorien des „verteilten Wissens“ wurden zunehmend auch von den Schwarmtheoretikern und Artificial-Life-Forschern in der Informatik aufgegriffen.
Die Attacken der Heidelberger Unterzeichner und der deutschen Presse (siehe z.B.auch diesen Artikel in der FAZ Unter Piraten) gegen das freie Publizieren im Internet, gekoppelt mit Rufen nach „Stoppsignalen“, „Netzsperren“ und der Befürwortung harter Strafen, offenbaren den zutiefst antiliberalen Grundzug in weiten Teilen der deutschen „Geisteseliten“. Ähnlich wie die Musikindustrie versucht man, den Status Quo mit allen Mitteln zu verteidigen. So werden Hierarchien zwischen anerkannten und freien Produzenten einzementiert und dringend benötigte Reformen verhindert.
Denn die Frage ist in der Tat, wie hochwertige kulturelle Produktion finanziert werden kann. Der Weg der privaten Medien in den letzten 30 Jahren war, zunehmend von Werbung abhängig zu werden. In der Folge hat sich auch der inhaltliche Spielraum in der Medienlandschaft immer mehr verengt. Kritische Autoren haben kaum noch Orte, wo sie publizieren können und weichen auf unabhängige Formate wie eben eigene Blogs aus. Ich habe es schon längst aufgegeben, Artikel in deutschen Printmedien publizieren zu wollen. Die paar Euro sind mir die Verwässerung meiner Ideen nicht wert. Die zunehmend dünner werdende, werbefinanzierte Soße – das Zeit-Magazin „Leben“ mag als Beispiel dafür dienen, ebenso wie alle anderen Life-Style-Supplemente aller großen Zeitungen – braucht redaktionelle Inhalte nur noch zur Auflockerung der vielen Inserate.
Die Zeitungen führen sich auf, als wären sie die einzigen Garanten der Meinungsfreiheit und demokratischen Kontrolle, dabei haben sie sich längst an den schrankenlosen Konsum-Kapitalismus verkauft, und schlittern dennoch immer tiefer ins Finanzloch (siehe Endlose Verluste für Zeitungen).
Insofern braucht die „intellektuelle Finsternis“ nicht erst durch das Internet herbeigeführt zu werden, sie ist bereits da, und das Netz bietet einen der wenigen Lichtblicke. Opportunistische Artikel über die Finanzkrise in den Organen der Presse können nicht überspielen, dass es sich um eine Krise der liberalen Marktwirtschaft und der Demokratien nach westlichem Muster handelt, die in ihrer Panik zunehmend zu autoritäten Mitteln greifen. Anstatt das „schrankenlose Mitteilungsbedürfnis der Nutzergemeinschaften“ zu geißeln, sollte man lieber anerkennen, dass im Netz eine neue Breite und Tiefe der aktiven Partizipation bereits entstanden ist und dass es eine geeignete Plattform für die vielfältigsten Formen der Wissensproduktion und -Distribution bietet.
Da die alten Geschäftsmodelle der Content-Industrien brüchig geworden sind, sollte man über neue Wege der Finanzierung geistiger Produktion nachdenken. Als Radio und Fernsehen noch neue Medien waren, zweifelte niemand daran, dass der Staat eine gewichtige Rolle in der Regulierung von Produktion und Distribution einnehmen sollte. Daraus entstand das System der mit Lizenzgebühren finanzierten, von direkter Regierungseinflussnahme unabhängigen öffentlich-rechtlichen Anstalten, die von den Zeitungsherausgebern nur zu gern kritisiert werden.
Die Öffnung des Internet fiel in die Hochphase des Neoliberalismus und mit dem Bangemann-Report 1994 einigte man sich EU-weit darauf, dass das Internet den Marktkräften überlassen sein solle. Der wirtschaftliche Liberalismus lässt sich jedoch nicht von den radikal libertären Kräften trennen, welche die Entwicklung von Peer-to-Peer-Protokollen für Filesharing vorantreiben, also z.B. die Hacker hinter Initiativen wie The Pirate Bay und die Entwickler der Bittorrent-Protokolle.
Offiziell sanktionierter Wirtschaftsliberalismus und der ultralibertäre Flügel der Open-Source-Community sind auf der selben Seite der selben Medaille (die Rückseite dieser Medialle bildet die Kultur des elektronischen Underground, siehe Netzpiraten – die Kultur des elektronischen Verbrechens, Medosch und Röttgers, dpunkt 2001). Jetzt, da man die Geister, die man rief, nicht mehr los wird, versuchen Sarkozy, Hollywood, Holtzbrinck und Co autoritär durchzugreifen. Dadurch untergräbt man jedoch die Fundamente der „Wissensgesellschaft“, die man angeblich so liebt.
Deshalb sollte man über radikale neue Modelle nachdenken, wie z.B. einen Fonds für freie Wissens- und KulturproduzentInnen, ob gedruckt oder im Netz, die neue Wege gehen und außerhalb der etablierten Medien und Hierarchien arbeiten, wie z.B. Thenextlayer.org. Finanzieren könnte sich ein solcher Fonds z.B. aus einer Tobin-Steuer. Dafür verzichte ich dann auch gerne weiterhin auf Google-Ads auf den Seiten von thenextlayer.org.
Armin Medosch (Erstpublikation in „TheNextLayer.org“ / Mai 2009)
In der buddhistischen Vorstellung kann es „geistiges Eigentum“ gar nicht geben, weil sich jede Schöpfung aus bereits vorher Entwickeltem speist. Diese unendliche Vernetzung im „Anatman“ bringt das Karma hervor, das sich emergent aus den Bedingungen des „Nicht-Ich“ entwickelt.
So benennt man in buddhistischen und anderen asiatischen Traditionen zwar einen Urheber als vorübergehende Manifestation karmischer Wirkungen (etwa die großen Philosophen und Dichter), leitet aber keine kapitalistische Exklusiv-Abzocke aus „seinen“ Werken ab, weil die eben Teil der „Soheit“ sind.
(Das mag übrigens der Hauptgrund sein, dass Asiaten keinen Respekt vor westlichen Patent- und Urheberrechten haben ;))
Eine hübsch sarkastisch-ironische Replik auf Susanne Gaschkes kulturkonservatives Gejammer hat auch Tapio Liller bei den „Netzignoranten“ losgelassen:
http://www.opensourcepr.de/2009/05/03/gaschke/trackback/
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