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Beim Echo Jazz darf ein Akkordeonvirtuose aufs Stockerl

Vincent Peirani & Emile Parisien

Zu den mächtigsten Medien-Lobbyisten der deutschen Kulturindustrie gehört die Deutsche Phono-Akademie, die sich selbst gern öffentlich als ‚Kulturinstitut‘ stilisiert, aber nur aus einem Häuflein bezahlter Marketingvertreter der kommerziellen Musikwirtschaft besteht. Ihr werbewirksamstes Instrument ist die jährliche Ausrichtung und Verleihung des Musikpreises Echo, der in der Sparte Pop seit 1992, für Klassik seit 1994 und für Jazz seit 2010 vergeben wird. Da der Echo Pop sich nur an Verkaufszahlen und Chartplatzierungen in Deutschland orientiert, wurde dafür auch zweimal, quasi automatisch, die umstrittene rechtslastige Südtiroler Band „Frei.Wild“ für die Rubrik „Rock/ Alternative“ nominiert und erst nach Shitstorms wieder ausgeladen bzw. zum Rücktritt veranlasst. In den Sparten Klassik und Jazz wäre so etwas ziemlich unwahrscheinlich, denn die haben immerhin Aufpasser in Form einer Alibi-Jury, die „nicht nur Weltstars für ihre musikalischen Leistungen auszeichnen, sondern auch herausragende junge Talente mit der Auszeichnung fördern“ will. Wobei diese „jungen Talente“ allesamt schon vorher mit Bepreisungen und Medienreputation gesegnet sein müssen, um vor diesem Götzenaltar in Dankbarkeit niederknien zu dürfen. Dieses, von musikästhetischen Kriterien ziemlich unbeleckte Selbstbeweihräucherungssystem taugt nicht allen Jazzern (die’s mit gesellschaftlichen Reputationsmechanismen meist eh nicht so haben) und so gabs auch schon Verweigerer wie etwa 2011 den Komponisten und Jazzproduzenten Manfred Eicher, der mit der Begründung ablehnte, diese Preisverleihung konterkariere die Wahrnehmung seiner Tätigkeit als Musikproduzent „nicht nur an Witz, sondern allen Ernstes.“ Oder, mit Kurt Tucholsky gesagt: „Je preiser gekrönt, desto durcher er fällt…“

Etablierte Künstler wie Eicher können sich das freilich leisten (auch im materiellen Sinn), doch für das Gros der Jazzer ist ihr Berufsalltag eine recht prekäre Angelegenheit. So ist es verständlich, dass jeder Honigtopf umschwirrt wird, und auch wer nicht selber direkt daran naschen kann, erhofft sich doch etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit für seine Herzensangelegenheit Jazz – auf dass irgendwann bei Club-Gigs dann vielleicht vor 80 statt vor 40 zahlenden Gästen gespielt werden kann.

Emile Parisien & Vincent Peirani

Emile Parisien & Vincent Peirani

Nun wird dieser Echo Jazz 2015 am 28. Mai wieder verliehen (in Hamburg), und im Gegensatz zum ESC (der heute Abend in Wien ausgetragen wird) stehen die Preisträger schon fest. Keine Überraschung, dass der Liebling der Musik-Feuilletons und Verkaufsgarant Michael Wollny (Klavier) erneut ausgezeichnet wird, wenig Überraschungen auch bei den anderen Ausgezeichneten – kleine Überraschung aber dann doch, dass mit dem Franzosen Vincent Peirani erstmals ein Akkordeonist aufs „Stockerl“ darf, zusammen mit seinem langjährigen Saxophon-Partner Emile Parisien.

Das Akkordeon hat sich ja schon lange aus der folkloristischen Ecke emanzipiert, in der Spielart des Bandoneons etwa auch im Jazz-Tango (Astor Piazolla, Dino Saluzzi et al.) und kann sehr percussiv eingesetzt werden (auch der Instrumentalkörper selbst!), was sowohl solistisch als auch im Ensemblespiel die mikro-rhythmischen Ausdrucksmöglichkeiten enorm erweitert. Gleichzeitig ist das Akkordeon schon ein Orchester für sich mit Melodie-, Harmonie- und Bass-Section, und wie der Peirani das um- und einsetzt, hört ihr in den folgenden drei – stilistisch sehr unterschiedlichen – Livestückerln.

 

Hier bei einem rumänischen Folk-Medley mit dem Cellisten Franí§ois Salque:

Da interpretiert er zusammen mit Saxer Parisien eine Komposition des Jazzmusikers Sidney Bechet:

Und bei jenem improvisert er „hypnotic“ mit dem jungen ‚Shooting Star‘ Michael Wollny:

Sehr empfehlenswert auch dieses Kulturzeit-Portrait von Vincent Peirani

wf

2 Gedanken zu „Beim Echo Jazz darf ein Akkordeonvirtuose aufs Stockerl“

    1. Die Wortbedeutung sollte sich eigentlich auch für Nichtkenner des bairisch-österreichischen Idioms aus dem Zusammenhang erschließen: Ein „Stockerl“ ist im Sportsprech ein kleines Podest für Siegerehrungen, abgeleitet von der ursprünglichen Bedeutung in der vor-sportlichen bäuerlichen Lebensweise: niedriger Holzschemel zum Draufsteigen zwecks Erlangung erhöhter Gegenstände und auch verwendet als Strafbankerl im Klassenzimmeck unterm Kruzifix zum Drauf-Knien für Grundschüler mit unbotmäßigem Verhalten ;-)

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