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Vom Füllen des Sommerlochs

So genau lässt sich nicht mehr feststellen, wann das erste Sommerloch aufgetaucht ist und wer es entdeckt hat. Schriftlich überliefert ist es erstmals auf einem ägyptischen Papyrus aus dem Jahr 2593 v. Chr., als der Steinetransport auf dem Nil zum Bau der Cheops-Pyramide wegen einer sommerlichen Flaute unterbrochen werden musste. Dieses Windloch vertrieb damals als Gesprächsstoff ein wenig die Langeweile in den Bierschänken der halbfertigen Pyramide.

Ab dem Beginn der Neuzeit wurden von namhaften Wissenschaftlern wilde Theorien zu Herkunft und Funktion verschiedener Sommerlöcher aufgestellt. Etwa von dem holländischen Astronomen Christiaan Huygens, der schon im 17. Jahrhundert das Sommerloch als eine Art Äther, als allgegenwärtiges Medium der Belanglosigkeit beschrieb; später behauptete Einstein, ein Sommerloch würde mit zunehmender Geschwindigkeit auch an Masse gewinnen und Stephen Hawking meinte, die Sommerlöcher im Zentrum einer jeden Galaxie verschluckten alles, sogar den Geist, und seien somit für allen Schwachsinn des Universums verantwortlich.

Heutzutage kündet das Sommerloch vom unsäglichen Verhältnis zwischen Boulevard-Journalismus, der politischen Urlaubsvertretung, dem Kraken Paul und diversen Promi-Affären; aber weil der sich zum Deuten berufen fühlende Journalist oder Blogger als Aufseher über das Sommerloch natürlich nicht in selbiges fallen will, klammert er sich zumindest an dessem Rand fest, der ja noch zum Etwas gehört, aber beständig in das Nichts sieht, eine Grenzwache der Materie.
Und dann schreibt er was, praktischerweise über das Loch an sich wie einst Kurt Tucholsky (alias Kaspar Hauser) in der Zeitschrift «Die Weltbühne»: «Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut…»

 

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Zur soziologischen Psychologie der Löcher

„Daß die wichtigsten Dinge durch Röhren gethan werden. Beweise: erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schießgewehr.“ (Lichtenberg)

Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.

Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.

Wenn der Mensch „ºLoch“¹ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch und manche an Goebbels.

Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch grade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.

Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aberbeständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rande eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs … festlig? Dafür gibt es kein Wort. Denn unsre Sprache ist von den Etwas-Leuten gemacht; die Loch-Leute sprechen ihre eigne.

Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht.

Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben.

Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem andern Loch, um ihm sein Leid zu klagen „“ wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines.

Wo ein Ding ist, kann kein andres sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein andres sein?

Und warum gibt es keine halben Löcher „“?

Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.

Das Ding an sich muß noch gesucht werden; das Loch ist schon an sich. Wer mit einem Bein im Loch stäke und mit dem andern bei uns: der allein wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein. Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives. Das ist nicht richtig: der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das Primäre. Lochen Sie nicht; das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt. Wenn Sie tot sind, werden Sie erst merken, was leben ist. Verzeihen Sie diesen Abschnitt; ich hatte nur zwischen dem vorigen Stück und dem nächsten ein Loch ausfüllen wollen.

Kaspar Hauser

Die Weltbühne, 17.03.1931, Nr. 11

wf

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