Zum Inhalt springen
Startseite » Die Kleinstadt, der Revoluzzer und die Medien

Die Kleinstadt, der Revoluzzer und die Medien

Erinnert ihr euch noch an den bundesweiten Medienhype, den vor ein paar Wochen die Kandidatur eines etwas unorthodox auftretenden und ‚verwegen‘ aussehenden jungen Mannes zur Bürgermeisterwahl im oberbairischen Lech-Städtchen Schongau auslöste? Nun ist das, einige Leserinnen wissen’s ja, seit Jugendtagen meine Heimatstadt, und so wurde ich von meinem auswärtigen Bekanntenkreis in jener Zeit auch öfter mal so Sachen gefragt wie Oops, was geht denn da bei euch ab? Spinnts ihr jetzt, ihr Schongauer?
Ja, das Geschehen mag von außen betrachtet als ziemlich schräge Nummer dahergekommen sein, auch manchen Schongauern schien das offenbar nicht ganz geheuer, aber es waren weder Voodoo noch kleine bunte Pillen im Spiel. Vielmehr war der Kulminationspunkt einer langjährigen Entwicklung erreicht, die aber im oberflächlichen & unterkomplexen Sensationsgeheische keinen der medialen Sautreiber-Tagelöhner interessierte. Während des Wahlkampfs wollt ich dazu nix schreiben, zumal ich selber einige Jahre im Städtchen politisch engagiert war (samt gelegentlicher íœberschreitungen meiner Frustrationstoleranz), aber ich hatte mir da schon vorgenommen, die Hintergründe dieser ‚kollektiven Comedy‘ in der Art einer Genealogie ein wenig auszuleuchten. Der zeitliche und emotionale Abstand zum großen Gequake scheint mir nun groß genug, um mich nicht als Spassbremse oder gar Revanchist (in welcher Richtung auch immer) verdächtig zu machen – also ran ans historische Material, Gedächtnis und alte Ordner geplündert, ein paar Zeitzeugen zwecks Faktenkontrolle angerufen (die eigene Erinnerung kann ja manchmal ne trügerische Freundin sein) und dann sortieren, streichen, zusammenpuzzeln, bis am Ende die folgende, hoffentlich einigermaßen konsistente und nachvollziehbare Story rauskam. Die ist so ein Hybrid aus historischer Doku, investigativer Reportage und (lokal)politischem Essay geworden, und dabei in Stil und Länge ‚feuilletonkompatibel‘ zurechtgeschnitzt, da ich kürzlich von einem Münchner Journalisten gebeten wurde, meine Spurensuche doch auch für sein bayernweit erscheinendes Blatt (das auch den Mantel für unsere Lokalzeitung liefert) aufzubereiten. Von dort kam allerdings nach meiner Script-Zusendung bisher kein Feedback mehr, so dass ihr nun hier, rechtzeitig zum 1. Mai, in den Genuss des jungfräulichen und unverfälschten Textes kommt ;-)

Diese Geschichte soll nicht nur allen durch die Medienberichterstattung verschreckten Nicht-Schongauern ein wenig die Angst vor unserem eigentlich ganz nettem Städtchen nehmen, sondern kann auch exemplarisch gelesen werden für ein Es-hätte-überall-sein-können. Außerdem wollt ich die Schongauer Geschichtsschreibung nicht allein den Traditionalisten aus’m Stadtmuseum überlassen, sondern die „andere Sicht“ auf die Geschehnisse auch für den lokalpolitischen Nachwuchs mal festhalten, quasi zur Stärkung des ‚historischen Alternativ-Bewusstseins‘ ;-)

Mag sein, dass den hier mitlesenden SchongauerInnen noch die eine oder andere Anekdote zu unserer politisch-kulturellen Geschichte der letzten Jahrzehnte einfällt – die können sie dann gern hier in den Kommentaren verewigen…

(Wer die Story lieber in einer Druckversion lesen mag, kann sie sich auch als 7-seitiges PDF runterziehen.)


Spinnen die, die Schongauer?

Als der ‚Polit-Revoluzzer‘ Tobias K. das Lech-Städtchen Schongau in aller Medien Munde brachte. Eine Spurensuche in der Geschichte einer politisch-kulturellen Eruption

Beinah wäre die Sensation perfekt gewesen: Bei der Bürgermeister-Stichwahl im oberbairischen Schongau unterlag der parteilose Tobias Kalbitzer gegen den SPD-Kandidaten Falk Sluyterman nur knapp mit 49,7 zu 50,3 Prozent. Im Vorfeld hatte es um diese Endspiel-Paarung einen bundesweiten Medienhype gegeben wie kaum einmal zuvor bei einer Wahl in einer Kleinstadt, wobei sich das Interesse der Öffentlichkeit aber weniger auf die programmatischen Inhalte der Kontrahenten als vielmehr auf die bis ins Skurrile hochgejazzten Umstände des Wahlkampfs konzentrierte. Ein junger, politischer No-Name mit lockeren Sprüchen im Paradiesvogel-Outfit mit Dreadlocks zu Lederhose und Turnschuhen gegen bürgerliches Establishment mit Seitenscheitel, Anzug und Krawatte. Die Kandidaten der CSU und der UWV (Unabhängige Wählervereinigung) waren bereits im ersten Wahlgang unter ‚ferner liefen‘ ausgeschieden. Schon das darf man getrost als sensationell bezeichnen, denn schließlich befinden wir uns in jenem Schongau am Lech, wo einst die politische Karriere des CSU-íœbervaters Franz Josef Strauß als Landrat begonnen hatte und die rechtskonservativen Kreise jahrzehntelang und fast nach Belieben schalten & walten konnten.

Eine Revolution aus heiterem weiß-blauem Himmel? Sind die Schongauer einfach nur crazy people? Weder – noch, denn wie jedes Erdbeben und jeder Tsunami sich erst nach einer lang aufgestauten tektonischen Spannung entlädt, so finden wir auch bei politisch-kulturellen Eruptionen bei genauerem Hinsehen vorhergehende gesellschaftliche Gärprozesse, ein System miteinander verknüpfter Veränderungen. Wie und warum die in dem 12.000-Einwohner-Städtchen im März 2014 kulminierten, kann vielleicht ein Blick in die jüngere soziokulturelle Geschichte Schongaus erhellen, auf die Ursprünge und die Genealogie dieser Veränderungsbereitschaft. Eine Geschichte, die sich so ähnlich auch in jedem anderen Städtchen hätte zutragen können.

Die wilden Siebziger

Wenn wir die Zeit gut 40 Jahre zurückdrehen, sehen wir Schongau als eine bairische Kleinstadt wie viele andere auch. Wirtschaftlich gings der mit einigen mittelständischen Unternehmen aufgestellten Kommune nicht schlecht, die Bildungseinrichtungen samt städtischer Musikschule waren einer vormaligen Kreisstadt angemessen, aber die Freizeit- und Kulturangebote waren bieder und überschaubar. Es gab die Sport- und Brauchtumsvereine, im Sommer ein Volksfest, gelegentlich kam ein Zirkus in die Stadt; die Jugend traf sich im Freibad oder Eisstadion, einer Eisdiele oder Pizzeria, und bei öffentlichen Veranstaltungen lief der immergleiche Sound: Blasmusik bis zum Abwinken.

Die Schongauer Kleinstadtbehaglichkeit erfuhr die ersten Irritationen, als Mitte der 1970er Jahre eine Clique junger Leute eine kleine griechische Kneipe an der Papierfabrik, wo manche Arbeiter zu Sirtaki-Klängen ihr Feierabendbierchen tranken, als place-to-be für sich entdeckte, selber mitgebrachte Rock-Platten auflegte und den „Griechen“ so in kurzer Zeit zu einem attraktiven Jugendtreff machte. So etwas hatte es bis dato im Städtchen nicht gegeben und dementsprechend okkupierte bald ein ziemlich hippieskes Völkchen aus der ganzen Region den schon etwas maroden Schuppen, der sich innerhalb kurzer Zeit zu einem der heißesten Drogen-Spots in Südbayern entwickelte und Schongau damit auch eine unverhoffte mediale Aufmerksamkeit bescherte.

Aber dort traf sich nicht nur, wie viele um ihre Kinder besorgten Bürger glaubten, ein Haufen langhaariger Gammler zum Abrocken, Saufen und Dealen, sondern es fand sich auch ein lockerer Kreis von 20-30 „Aktivisten“ aus der gerade entstehenden Szene der Alternativ- und Friedensbewegung, der Proto-Grünen und einigen real existierenden Jusos zusammen, die dort ihr informationelles Basislager aufschlugen. Man wollte im behäbigen Schongau etwas verändern, und so wurden dort Ideen entwickelt für die ersten Rockkonzerte in Schongau, für die Alternativ-Zeitschriften „Streusand“ und „Alternativblatt Schongau“ (woraus später der bis heute bestehende „OHA“ wurde), und in der Altstadt gabs die erste Demo. Erstmals entstand so etwas wie eine mediale Opposition zum lokalen Monopoljournalismus – winzig zwar, doch aufmüpfig und vernehmbar. Der 68er-Geist von Rock & Revolte war, wenn auch mit einigen Jahren Verspätung, in der Provinz angekommen.

1. Schongauer Open-Air am alten Lechstausee - Foto: Georg Werner

1. Schongauer Open-Air am alten Lechstausee

Aus diesem Geist heraus formierten sich auch die ersten Schongauer Rockbands wie Treibhaus, Wintersonne, November, Troubadix oder Randy Dream. Ein Teil dieser Musiker und der Zeitungsmacher bildeten das Organisationsteam für die ersten Rock-Open-Airs am alten Schongauer Lechstausee, wo 1978 und 79 die zweitägigen Festivals mit einem Mix aus lokalen und bekannten Bands stattfanden. Mit Hilfe des THW wurde eine Bühne in die stillgelegte Kiesgrube gezimmert, es gab Zeltmöglichkeiten, Verpflegungsbuden, Toilettenwägen und einen Shuttle-Bus vom Bahnhof zum Gelände – und Ärger. Weniger mit den aus dem „Griechen“ schon bekannten Musikfreunden von der Drogenfahndung und dem Verfassungsschutz (denen man auch gern mal ein Bierchen ausgab), dafür aber mit der Naturschutzbehörde und dem Landratsamt. Mit der offiziellen Begründung einer möglichen Waldbrandgefahr war nach diesen beiden Festivals erstmal Schluss an diesem Platz. Auch der damalige Chefredakteur der Lokalzeitung wollte die Sache höchstpersönlich in Augenschein nehmen, fuhr einmal unerlaubt mit dem Auto über den Festivalplatz ohne auszusteigen und mokierte sich im darauffolgenden Zeitungsbericht über die „unerträglichen hygienischen Verhältnisse“ auf dem Gelände. Damit hatte er, freilich ohne es vorauszuahnen, manche Schongauer für ein Problem sensibilisiert, das Jahrzehnte später wieder auf die lokale Agenda und in den Wahlkampf 2014 kommen sollte: die „Wildbiesler“.

In diesen Jahren gabs in Schongau nur wenige Auftrittsmöglichkeiten für Bands und auch kaum Proberäume, so dass ein Teil der „Griechen“-Clique einen basisdemokratisch geführten Kulturverein gründete, der im Nachbardorf Schwabsoien ein altes Bauernhäuschen anmietete und renovierte. Mit einem Probe- und einem Veranstaltungsraum, in dem einige Jahre lang Konzerte, Lesungen, Filmvorführungen und Diskussionsabende stattfanden. Dort kam es 1979 unter Federführung der Schongauer Jusos auch zu einer ersten Gesprächsrunde zur Gründung eines Jugendzentrums in der Lechstadt, an der auch der spätere Bürgermeister Luitpold Braun als Vertreter der Schongauer Jungen Union und UWV-Chef Rudolf Gigl teilnahmen, man gab sich parteiübergreifend kooperationsbereit. Bis zur endgültigen Realisierung des Schongauer Juze sollten aber noch einige Jahre und Diskussionsrunden ins Land ziehen. Zwischendurch war noch das Problem zu lösen, dass der seinerzeit amtierende Schongauer CSU-Bürgermeister Georg Handl sich zunächst weigerte, alljährlich eine öffentliche Bürgerversammlung abzuhalten, auch nicht zum Thema Juze. Wieder waren es die Jusos, die hier die Initiative übernahmen und diese ‚Arroganz der Macht‘ mithilfe eines „Zündfunk„-Interviews (in dem Handl der „Amtsschimmel des Monats“ verliehen wurde) zu Fall brachten. Als sich dann herausstellte, dass der Mann im Laufe seiner Amtszeit auch den Schongauer Stadtsäckel weitgehend geleert und vergeblich mit Lotto-Spielen wieder aufzufüllen versucht hatte, war er eigentlich politisch nicht mal mehr für seine eigene Partei tragbar, doch zwei Jahrzehnte später wurde eine Straße in Schongau nach ihm benannt (in der dann der spätere SPD-Bürgermeister Zeller sein Haus baute). Braun wurde bei der nächsten Wahl Handls Nachfolger und konnte sich trotz dieser Spirenzchen seines Vorgängers damals noch einer absoluten CSU-Mehrheit im Stadtrat erfreuen. Schongau war noch nicht bereit zur Veränderung, auch wenn die Saat dafür schon langsam keimte.

Elvin Jones in Schongau Juli 1978

Elvin Jones in Schongau Juli 1978

In der Aufbruchs-Atmosphäre jener Zeit wagte sich auch ein idealistischer Schongauer Jazzfan an das Ein-Mann-Unternehmen, ein kulturelles Highlight in seiner Heimatstadt zu etablieren, das alle provinziellen Hörgewohnheiten sprengen sollte: Heinz Wensauer rief die Konzertreihe „Jazz im Pfaffenwinkel“ ins Leben, die sich mit Auftritten von Weltstars á la Elvin Jones, Chet Baker, Billy Cobham, Pat Metheny, B.B. King, Miriam Makeba und vielen anderen bald einen bayernweiten Ruf als Topadresse für Jazzfreunde erspielte. Auf Dauer für einen Privatmann aber kaum finanzierbar, zumal nur ein viel zu kleiner Teil der Schongauer dieses Angebot wahrnahm und die Parkplätze vor den Konzertsäälen fast nur von Auswärtigen besetzt waren. Statt nun diese Chance auf ein überregionales Renommí©e Schongaus zu ergreifen und die Konzerte finanziell anständig zu unterstützen, beließ es der Schongauer Stadtrat bei Peanuts, so dass die Reihe Mitte der 80er eingestellt werden musste.

Die Gründerzeit der 80er Jahre

Als Anfang der 1980er Jahre der Rock-Schuppen an der Papierfabrik wegen Baufälligkeit und das Schwabsoiener „Haisl“ wegen Finanzierungsproblemen schließen mussten und bald abgerissen wurden, stand die ‚Szene‘ aber keineswegs auf der Straße. Schongau erlebte zu der Zeit eine regelrechte Gründerwelle an alternativen Kneipen und Läden, teilweise aus dem Personenkreis der „ersten Stunde“. In den Musikkneipen Löwenhof, Eulenspiegel, Spontan, Lagerhaus und anderen fanden die Dagebliebenen (viele zogen ja wegen Studium und Beruf in die Welt hinaus) ihre neuen social rooms. Auch das Juze wurde endlich eröffnet und der „alte Grieche“ investierte sein reichlich verdientes Geld in einen großen Diskotheken-Neubau im Gewerbegebiet. Dort gings zwar noch mehr ab als in der alten Bude, doch die frühere Underground-Atmosphäre und das konspirative Networking hatten sich im kommerziellen Massen-Freak-Out verloren.

Alternative Bio-, Platten- und Buchläden wurden eröffnet, schließlich das Lagerhauskino mit seinem anspruchsvollen Programm und die Kleinkunstbühne „Schalander“ mit ‚gefährlichem‘ politischem Kabarett an wechselnden Spielorten. Zusammen mit etlichen anderen Veranstaltungen (u.a. ein Multikulti-Musikfest auf dem Lindenplatz) wurde so der politisch-kulturelle Bewusstseinswandel weiter angeschoben, zumindest in den aufgeschlosseneren Kreisen der Schongauer Bevölkerung. Und die ‚Revolutionäre‘ bekamen nun auch die ersten Kinder…

Im Frühsommer 1986 wurde in Schongau nach dem Schock von Tschernobyl auch ein regulärer Ortsverband der Grünen gegründet, zu dessen Besonderheiten es gehörte, dass man dort mitmachen konnte ohne Parteimitglied zu sein – es war übrigens das Jahr, in dem auch der spätere ‚Exoten‘-Kandidat Tobias Kalbitzer zur Welt kam. Schnell machten die Schongauer Grünen mit ihrem an alle Schongauer Haushalte verteilten Politblättchen „Klartext“ und etlichen Veranstaltungen auf sich aufmerksam, vor allem im ländlichen Umfeld hatten sie bei Gastauftritten prominenter Grüner wie Hias Kreuzeder oder Michael Sendl volle Säle. Zu einem kleinen Eklat kam es, als für einen Auftritt von Trude Unruh, der Bundesvorsitzenden der „Grauen Panter“, die Aula der Schongauer Hauptschule angemietet wurde, die wegen ihrer Größe und guten Akustik für viele, auch politische Veranstaltungen genutzt wurde. Der für die Aula zuständige Stadtverwaltungsangestellte wollte die Veranstaltung zunächst aufgrund des „politischen Charakters“ nicht genehmigen, doch mit diesem Sabotageversuch war er bei der streitbaren Dame an die Falsche geraten. Nach einem geharnischten Schreiben aus ihrem Bonner Abgeordnetenbüro an Bürgermeister Braun pfiff der seinen Wachhund zurück. Trude Unruh hatte an diesem Abend volles Haus und diskutierte in ihrem Powerstil über Ungerechtigkeiten in der deutschen Sozial- und Altenpolitik, bevor sie dem grünen „Jungvolk“ bei einem Glaserl Wein im „Eulenspiegel“ noch ein wenig Nachhilfe in politischer Streitkultur erteilte.

Schongau um 1600 - Kupferstich von Michael Wening

Schongau zur Zeit der Hexenverfolgungen

Bei den Landtagswahlen im Oktober 1986 zogen die Grünen zum ersten Mal in den bairischen Landtag ein (mit 7,52 Prozent), die CSU verteidigte allerdings mit Ministerpräsident Franz Josef Strauß als Spitzenkandidat ihre absolute Mehrheit (mit knapp 56 Prozent). An jenem Wahlabend bekam die im Schongauer Rathaus feiernde CSU Besuch: Die junge Schongauer Grünen-Vorsitzende platzte in die Party der verdutzten Schwarzen und gratulierte im ‚kleinen Schwarzen‘ mit einer großen Sonnenblume – nicht die erste und nicht die letzte ironische Aktion gegen den Bierernst des Kleinstadt-Politbetriebs, und manche Schongauer hatten schon damals ihren Spaß dabei.

Nach Unstimmigkeiten mit dem Landesverband löste sich der Schongauer Grünen-Ortsverband allerdings Anfang 1989 wieder auf, doch ein paar Monate später wurde dafür die ALS, die „Alternative Liste Schongau“, als unabhängige Gruppierung gegründet. Bei der Kommunalwahl 1990 schaffte sie auch gleich den Sprung in den Stadtrat: Sigi Müller gab dort viele Jahre den Einzelkämpfer, wurde aber, von gelegentlicher Zustimmung der SPD-Fraktion abgesehen, politisch ausgegrenzt und abgeblockt. Er saß auch in keinem Ausschuss, aber seine Ideen erreichten über die „Schongauer Nachrichten“ und den „OHA“ immerhin die Öffentlichkeit. Und weil Müller so ein ‚zäher Hund‘ war, wurde ihm (zusammen mit seiner politisch ebenfalls engagierten Frau Renate) ein paar Wochen vor der 2014er Wahl die „Verdienstmedaille des Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland“ für soziales und politisches Engagement verliehen (was natürlich das Ansehen und die Wählbarkeit der ALS auch in konservativeren Kreisen steigerte). Vielleicht konnte „der Sigi“ die Jahre in der politischen Diaspora nur durchhalten, weil er wie Max Weber wusste: „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“

Die erste „Wende“ und der Problem-Stau

Doch siehe da, wenigstens das erste Brett war schneller durch als gedacht: Bei den Kommunalwahlen 1996 konnte der von der SPD aus Leipzig herbeigekarrte Verwaltungswissenschaftler Friedrich Zeller (ein gebürtiger Memminger) gleich im ersten Wahlgang den Schongauer Chefsessel erobern. Der bisher amtierende Luitpold Braun war auf den Zug ins Weilheimer Landratsamt gesprungen (um schon mal näher am Maximilianeum zu sein) und die Konkurrenten von CSU und UWV galten Vielen im Städtchen als zu bieder und konservativ, man traute ihnen keine Macher-Qualitäten zu. Und die hatte Schongau mittlerweile nötig, denn in den Jahrzehnten der CSU-Regentschaft hatten sich etliche Probleme aufgestaut, die eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung bremsten. Probleme, die bis heute die kommunale Diskussion bestimmen, wie die Erhaltung und Neuansiedlung von Gewerbe und Betrieben, Sanierung der Schul- und Sportanlagen und des heruntergekommenen Bahnhofs, mehr Freizeitangebote für Jugendliche wie Bolzplätze oder einen Bike- & Skater-Park. Fragen der Verkehrs-Infrastruktur und der (regenerativen) Energieversorgung harren der Lösung. Es gab und gibt die Feilschereien um Zuschüsse für Sport und Kultur (die meisten Stadträte sind stimmsicherheitshalber ja in mehreren Vereinen Mitglied) und in jüngster Zeit auch eine Auseinandersetzung um das leerstehende ehemalige Schongauer Forsthaus, das als Heim für Asylbewerber angedacht war. Aus Teilen der CSU waren alsbald fremdenfeindliche Töne zu hören, es hieß dort, das Forsthaus könne man „für was Besseres als Asylanten nutzen“. Das kam in Schongau, wo seit Jahrzehnten viele Italiener, Griechen, Türken und andere ‚Migranten‘ ziemlich problemlos im Sozialgefüge integriert sind, gar nicht gut an.

Schongauer Marienplatz - geplante Fussgängerzone

Schongauer Marienplatz – geplante Fussgängerzone

Und seit Jahrzehnten tickt die Dauerdiskussion über die Umwandlung eines Teils der Altstadt in eine Fußgängerzone. Andernorts in der Region sind die Innenstädte längst durch Fußgängerzonen touristisch aufgewertet und kulturell belebt, doch hier verhinderte bisher hauptsächlich eine starke Lobby (früher nannte man das Seilschaft) von einigen alteingesessenen Geschäftsinhabern die anständige Renovierung von Schongaus „guter Stube“. Mit einem Dauer-Gejammer wegen befürchteter Umsatzeinbußen, falls die Kunden nicht mehr direkt vor ihren Läden parken könnten.

Dabei hätten die meisten Schongauer gar nichts gegen eine Fußgängerzone und ein wenig mehr Tourismus. Die Lage im Voralpenland, der Lech mit dem Schongauer See, die Sehenswürdigkeiten des Pfaffenwinkel, die historische Altstadt mit gut erhaltener Stadtmauer, die vielen Sport- und Freizeitmöglichkeiten: All das bietet beste Voraussetzungen für eine sanfte touristische Entwicklung. Und ein paar Ansätze in diese Richtung gabs ja schon, etwa in den 1990ern jeden Sommer einen Mittelalter-Markt in der Altstadt, dessen Highlight das auf historischen Tatsachen basierende und professionell inszenierte Schauspiel „Die Hexe von Schongau“ von Herbert Rosendorfer war – allein, die überregionale Vermarktung des Stückes klappte nicht wie erhofft und die Unterstützung durch die Stadt war, wieder einmal, zu gering fürs íœberleben. So gibts den Markt zwar heute noch unter dem Etikett „Schongauer Sommer„, doch ohne das Alleinstellungsmerkmal der „Hexe“ ist der halt nur ein beliebiger unter Dutzenden anderer solcher Märkte in der Region.

Doch auch Zeller als erstem ‚Intellektuellen‘ im Bürgermeisteramt war es in seinen 12 Schongauer Amtsjahren nicht gelungen, gemeinsam mit dem Stadtrat ein Stadtentwicklungskonzept zu erarbeiten, in dem ökonomische und ökologische, soziale und kulturelle Belange miteinander vernetzt und auf eine zukunftsfähige Agenda gebracht werden konnten. Wenn man jenerzeit eine Stadtratssitzung besuchte, konnte man eher den Eindruck gewinnen, dass logisches und vorausschauendes Argumentieren in den Diskussionen kaum auf fruchtbaren Boden fiel, Partikularinteressen und Parteiendünkel verhinderten die Entwicklung gemeinsamer Perspektiven und die Probleme dümpelten in einer Art von politischem Waffenstillstand vor sich hin.

Das sollte bald auch Karl-Heinz Gerbl zu spüren bekommen, der 2008 von Hohenfurch die paar Kilometer den Lech herauf nach Schongau gerudert kam und als erneut klarer SPD-Wahlsieger Zellers Chefposten erbte. Der hatte sich bei jener Wahl nach Weilheim aufgemacht, um dort Luitpold Brauns Landratsposten zu erobern, den er aber 2014 schon wieder für die CSU-Kandidatin Andrea Jochner-Weiß räumen musste.  Zumindest darf  Zeller nun als Schongauer Stadtrat noch seinen Nach-Nachfolger Sluyterman beraten, während Braun seine politische Karriere schon mit der Niederlage in 2008 an den Nagel gehängt hatte. Die 18 Jahre von 1996-2014 mussten sich die Schongauer SPD-Bürgermeister Zeller und Gerbl, die das mit den Bürgerversammlungen übrigens auch nicht so recht ernst nahmen, noch an einer rechtskonservativen CSU/UWV-Mehrheit im Stadtrat abarbeiten, was sich erst mit der 2014er Wahl ändern sollte.
Immerhin kam während der ‚roten í„ra‘ neuer Schwung in die alternative Kulturszene: im ehemaligen Butterwerk, am alten Stausee und im Eisstadion wurden die Festivals „Rock am Lech“ im Geist der 70er und 80er wiederbelebt; bis zu seinem Abriss wurde das altstadtnahe Butterwerksgelände auch für mehrere Kunstaktionen genutzt, etwa die große Lomographie-Ausstellung „Schongau in 24 Stunden“, dann kam dort ein Supermarkt hin. Es entstanden Initiativen wie „Kultur pur“ und „lechwärts„, die bis heute mit Ausstellungen, Kabarettabenden, Lesungen, Rock- und Jazzkonzerten oder auch einer mehrjährigen Poetry-Slam-Reihe ein gut diversifiziertes Kulturangebot auf die Beine stellten. In der Altstadt etablierte sich ein alljährlicher „Kunst- & Kuriositätenmarkt“ und eine Zeitlang gönnte sich Schongau für sein schönes Stadtmuseum sogar einen professionellen Kunsthistoriker als Leiter: Richard Ide kuratierte dort pfiffige Sonderausstellungen und erreichte durch mehrere Museumsnächte mit Live-Jazz auch ein jüngeres Publikum. Allerdings wurde sein Vertrag nach einigen Jahren von der Stadt nicht verlängert und das Museum fiel zurück in Vereinsmeierei und einen betulichen Konservatoren-Modus.

The revolution was televised

Der Angriff auf die politische Behäbigkeit in Schongau begann ein Jahr vor der Kommunalwahl, als der Fussballer Tobias Kalbitzer mit ein paar Freunden die „Unabhängige Wählergruppe Karl-Heinz Rumgedisse“ ins Rennen schickte. Zunächst mal nur als Gaudium im Schongauer Fasching, wo er als „Bürgermeister“ in Sacko und Unterhose auftrat, symbolisch für seine Forderung nach der Abschaffung gesellschaftlicher Zwänge (ironische Polit-Spielchen haben ja, wir erinnern uns, in Schongau eine gewisse Tradition).

Wahlplakat von Tobias Kalbitzer

Wahlplakat von Tobias Kalbitzer

Das fanden einige Leute so gut, dass sie ihn zu einer ernsthaften Kandidatur überredeten. Die Formalitäten dafür waren schnell erledigt und dann gings auch schon ab in den „sozialen Medien“: Auf YouTube und Facebook scharte der „Rumgedisse“ eine ständig wachsende Fangemeinde um sich, und nachdem er mit der ins Netz gestellten Facebook-Blödelei des „Bier-Exens“ (mit öffentlicher Herausforderung seiner Wahlkampf-Konkurrenten, die allerdings höflich ablehnten) zu seiner ‚verdächtigen‘ optischen Erscheinung auch noch einen scheinbar skandalösen Auftritt hingelegt hatte, wurde Kalbitzer durchs bundesrepublikanische Medien-Dorf getrieben. Sämtliche überregionale Zeitungen, sogar der „Spiegel“, und eine Reihe TV-Anstalten hatten den 27-jährigen Heilerziehungspfleger (der sich auch beruflich für die Genesung von Suchtkranken engagiert) nun auf dem Schirm. Fehler und Simplifizierungen in den zusammengeschnipselten Hintergrund-Berichten waren dabei an der Tagesordnung, auch wegen der Unsitte des Voneinander-Abschreibens.  Die Stichwahl zwischen Kalbitzer und Sluyterman (auch wieder ein „Neubürger“, die Schongauer SPD scheint ihrem vorhandenen Personal wenig zuzutrauen; Gerbl trat aus Gesundheitsgründen nicht mehr an) wurde zum Show-Down „Brandstifter gegen Biedermann“ stilisiert – dabei hatte die eigentliche ‚Revolution‘ mit der Abwahl der jahrezehntelangen CSU/UWV-Mehrheit da schon stattgefunden. In Schongau selbst wurde der Medienhype von den meisten Bürgern eher gelassen zur Kenntnis genommen, auch wenn manche mit Schnappatmung reagierten: die Rumgedisse-Fans vor Begeisterung, die um den ‚guten Schongauer Ruf‘ besorgten Traditionalisten vor Entsetzen, Schongau könnte zur Lachnummer werden.

Seinen rasanten Aufstieg verdankt Kalbitzer auch der íœberlegenheit seines Teams auf der viralen Tastatur: Das Rumgedisse-Wahlwerbevideo war um Klassen besser als die Heim- & Hobby-Filmchen seiner Mitbewerber, auf Facebook wurde mehrmals täglich aktualisiert und fleißig diskutiert, die Verlinkungen durch andere Medien brachten regelrechte Besucherströme. Dazu kam noch ein anderer ‚Möglichmacher‘, denn es hatte sich auch bis nach Schongau herumgesprochen, dass in der isländischen Hauptstadt Reykjaví­k 2010 der Komiker Jon Gnarr zum Bürgermeister gewählt wurde. Der machte dort nach der großen Krise offenbar einen recht guten Job „“ warum sollte nicht auch in einer bairischen Kleinstadt eine „Witzfigur“ für eine Verbesserung des Gemeinwohls sorgen können?

Nein, die Schongauer sind nicht verrückt geworden. Und auch wenn wir die Hermeneutik des Verdachts walten lassen, dass ein Teil der ‚Revoluzzer-Wähler‘ nur Mitläufer bei einer Art von kollektivem Fun-Sport waren, erklärt das noch nicht die Dimension der Gesamtverschiebung.  Aus dem íœberdruss an den eingefahrenen lokalpolitischen Verhältnissen und dem in 40 Jahren langsam herangewachsenen Myzel eines Anders-denken-ist-möglich emergierte bei wenigstens einem Viertel der Schongauer diese Veränderungsbereitschaft, die zu einer Neuordnung der politischen Kräfteverhältnisse im Stadtrat führte. Die ALS konnte im Fahrwasser von Kalbitzers Popularität (der auf deren Liste auch für den Stadtrat kandidierte und die höchste jemals erzielte Einzelstimmenanzahl eingefahren hatte) satt von zwei auf fünf Sitze zulegen und zusammen mit der siebenköpfigen SPD-Fraktion sowie seiner eigenen Stimme kann sich der neue Bürgermeister nun auf eine links-alternative Mehrheit stützen. Und deren Capo hätte statt Sluyterman eben auch Kalbitzer heißen könne, nur 32 Stimmen fehlten dem „Exoten“ zum Sieg.
Wo die hängengeblieben sind, wird sich wohl nie herausanalysieren lassen, gut 40% der Wahlberechtigten beteiligten sich nicht an der Stichwahl, CSU und UWV hatten auf eine Wahlempfehlung verzichtet. Aber vielleicht spielte ja, wir erinnern uns, die Schongauer Angst vor den „Wildbieslern“ eine gewisse Rolle: Denn vor einigen Jahren wurde im Städtchen eine „Sicherheitswacht“ aus einer kleinen Truppe ordnungsliebender Bürger aufgestellt, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, auf nächtlichen Kontrollgängen die Personalien der in der Altstadt an Fassaden und in dunkle Ecken urinierenden Kneipengänger aufzunehmen und zur Anzeige zu bringen. Das finden manche Schongauer gut, andere eher lächerlich, und Kalbitzer setzte sich im Wahlkampf für eine Abschaffung dieser ‚Saubermänner‘ ein. Man kann aber letztlich nicht sagen, ob ihn das Stimmen gekostet oder ihm gebracht hat, denn die Anzahl der Wildbiesler in der Schongauer Bevölkerung ließ sich bis heute nicht exakt feststellen.

Die gute alte „Veränderung“ war Kalbitzers Wahlkampf-Mantra, am Ende auch für seine eigene Performance, als er sich für die eigens angefertigten Stichwahl-Plakate doch noch chic in Schale schmiss. Und nachdem er den Rummel um seine Person offenbar unbeschadet überstanden hat, kann er sich nun als Stadtrat weiter für seine politischen Vorstellungen wie mehr Bürgernähe, einen offeneren Politikstil und ein parteiübergreifendes miteinander Reden & Gestalten einsetzen „“ Sluyterman scheint einer Kooperation in diesen Dingen nicht abgeneigt.

Wir werden sehen, was da geht, nichts ist bekanntlich so schwerfällig wie die Macht der Gewohnheiten. Und damit weiter an denen gerüttelt wird, wollen wir nicht nur dem Schongauer Tobias Kalbitzer, sondern auch allen anderen Polit-Revoluzzern in bairischen Kommunen die Ermutigung des Abenteurers Bertrand Piccard an den Stadtratssitz tackern: „Machen Sie weiter! Jede Vision kämpft am Anfang gegen den Zweifel des Establishments.“

Werner Friebel (ein Schongauer Bürger)

Druckversion (PDF, 7 Seiten)


Nachtrag: Bei der konstituierenden Sitzung des neuen Schongauer Stadtrats am 6. Mai wurde Tobias Kalbitzer mit 15:9 Stimmen gegen eine CSU-Kandidatin zum 2. Bürgermeister gewählt; er erhielt somit +3 Stimmen aus dem ‚rechten‘ Lager.

15 Gedanken zu „Die Kleinstadt, der Revoluzzer und die Medien“

  1. Danke, Werner. Nicht nur schöne Erinnerungen an die gute alte Zeit, sondern auch eine treffende Herleitung, wie das ganze zum recht unterhaltsamen Wahlkampf bei den diesjährigen Kommunalwahlen führte.
    Übrigens hat sich schon einmal bewiesen, dass aus einem Spaßwahlkampf ernsthafte und auch erfolgreiche Kommunalpolitik entstehen kann: http://www.rp-online.de/politik/wahlkampf-mal-anders-bananen-fuer-alle-aid-1.2253387
    So wie’s ausschaut, sind in Schongau noch nicht alle Lichter ausgegangen.

  2. Auch anderswo traten in den letzten Jahren „junge Wilde“ und „Politikverdrossene“ auf die politische Bühne „“ meist unter der Flagge der neu gegründeten Piraten. Ein solcher ist Tobias Kalbitzer zum Glück genau NICHT! Bei aller äußerlicher Diskrepanz zum Polit-Mainstream und allen „Blödeleien“ wie dem „Bier-Exen“, für die er berühmt wurde, wohnt ihm nach meiner Überzeugung doch wesentlich mehr Ernsthaftigkeit und politischer Gestaltungswille inne als dem chaotischen Haufen meist rotzlöffeliger, neunmalkluger Netzaktivisten, aus denen sich die Piratenpartei zusammensetzt. Mit dem infantilen Verein, der keine echte Zukunft zu haben scheint, ließe sich gewiss keine (Kommunal-)politik machen, mit einem sich offen zu (gesunder) politischer Naivität bekennenden Tobias Kalbitzer hat das „Projekt“ dagegen durchaus eine Chance, die er zugegebenermaßen als Bürgermeister wesentlich besser hätte unter Beweis stellen können als „nur“ als Stadtrat. Da besteht ein großes Risiko, dass sein Schwung in den Mühlen des unveränderten politischen Alltags zerrieben wird. Ich wünsche ihm, dass das nicht so sein möge.

    1. Ja, es gab mal einen Ortsverband der FDP, der in den 80ern auch mit einer Liste kandidierte, angeführt vom damaligen Skiclub-Vorsitzenden. Waren aber nie im Stadtrat und lösten sich still und heimlich auf, politisch auffällige Aktionen gabs von deren Seite keine.
      Andere Gruppierungen hatten in SOG keine Ortsverbände, der ÖDP-Kreisverband lud mal zu einem Infoabend (kenn aber niemand, der dort war),
      Ein ‚Gastauftritt‘ der NPD wurde von deren Seite frühzeitig abgebrochen, und das gehört zu den vielen Anekdoten, die ich wegen Überfülle des Materials im Artikel nicht eingebaut hab, aber hier also:
      Am Samstag vor der Landtagswahl 86 wollten alle politischen Gruppierungen im Schongauer Altstadt-Zentrum um Rathaus und Kirche nochmal Flagge zeigen, auch die Grünen. Die besten Plätze waren schon für die ‚Angestammten‘ vergeben, so dass die Grünen ihren Tapeziertisch in einer schattigen Mauernische der Stadtpfarrkirche aufstellen wollten. Der für die Genehmigung zuständige gute Mann von der Stadtverwaltung verweigerte die aber mit der Begründung, dass der Stadtpfarrer auf Kirchengrund keine politischen Aktionen haben wolle. Die Grünen bekamen dann am Marienplatz ‚Asyl‘ vor einer (heute nicht mehr existierenden) Apotheke, während an jenem Vorwahl-Samstag die ursprünglich avisierte Kirchenmauer-Nische doch belegt wurde – von der NPD. Aber nicht lang, denn ein paar ‚linke‘ Jugendliche standen alsbald mit Störmanövern an deren Seite (Antifa-Transparent, Pamphlete zu Papierfliegern, jemand ließ auf einem Auto-Cassettenrekorder Konstantin Weckers „Willi“ laufen, etc.). Da hatte dann der Spaß für die (auswärtigen) Braunen doch zu viele Löcher und sie verzogen sich hurtig wieder in ihre ebensolchen…

  3. Pingback: Die alte Hoffnung auf Veränderung: Wahlen im Irak, in Mazedonien und Schongau

  4. Na also, geht doch, das starre Block-Denken löst sich langsam auf: die Wahl zum 2. Schongauer Bürgermeister fiel gestern mit 15:9 Stimmen (also +3 aus dem ‚rechten‘ Lager) auf Tobias Kalbitzer…

  5. Kleine Falschmeldung! Ein Kandidat der FDP war im Schongauer Stadtrat vertreten. Fritz Dopfer wurde 1990 als Kandidat der FDP in den Stadtrat gewählt und hielt die 6-jährige Amtszeit durch. Er ließ sich von der CSU „kaufen“. Durch seine Stimme wurde Stadtrat Schmidbauer (CSU) 2. Bürgermeister. Dafür bekam Dopfer von der CSU einen Sitz im Bauausschuss. Schmidbauer erhielt damals 13, sein Gegenkandidat Heinrich Forster (SPD) 12 Stimmen.

    1. Ah, danke Sigi! Nachdem der Dopfer von der CSU gekauft worden war, verhielt er sich offenbar so unauffällig, dass er nicht mal mehr in meiner Erinnerung präsent war ;-)
      * Hätt bei meinen kleinen Recherchen doch auch bei dir anrufen sollen *

  6. @Carlo

    Danke für den Link!

    Die Vokabel „Herrschaft“ trägt den Anspruch bereits in sich: Die „Herren“, im Sinne von „les notables“ (die Angesehenen). Ob nun sich selbst so sehend, und/oder von anderen als solche anerkannt, ist unerheblich, da in all diesen Ausprägungen Anspruch enthalten. In diesem Sinne bezeichnet der Bezeichner „Herrschaft“ das Bezeichnete über dessen signifikante Tätigkeit, welche über das Verb „herrschen“ ausgedrückt, was immer dies auch sein mag, und was immer darunter auch verstanden wird. Jedem solchen Tuns „“ so ist zu hoffen „“ geht die/eine Absicht voraus, die über die Tätigkeit „herrschen“ in eine Erfüllung überführt werden soll, denn wäre dem nicht so, worin läge dann Sinn im „herrschen“. Die Tätigkeit „herrschen“ benennt demnach die Absicht einer einzelnen Person. Aus dieser heraus kann es nur Kombattanten geben oder Nicht-Kombattanten.

    So wird verständlich, aus welchem Grund heraus solche Personen mit dem Wort „Anarchist“ schnell bei der Hand sind, nur weil da einer nicht „herrschen“ will bzw. den Anspruch das Anderen auf „Herrschaft“ wegen dessen erwiesener Unfähigkeit nicht mehr hinnimmt.

    Wenn nun einer die „Herrschaft“ eines anderen bzw. dessen Forderung, „herrschen“ zu dürfen, nicht mehr hinnimmt wegen erwiesener Unfähigkeit, und ein solcher dadurch bereits als „Anarchist“ gilt, so wäre zu wünschen wie nachvollziehbar, dass dort derer mehrere sein mögen, denn im anderen Falle wäre dies sonst ein Persilschein für Unfähigkeit, allein aus dem Grund heraus, da diese Unfähigen sich selbst als Notabel betrachten bzw. dieser Status ihnen von Ignoranten zugestanden wird. Und wäre dies dann nicht die Herrschaft der Unfähigen über ein Volk von Ignoranten?

  7. Und noch ’n Nachtrag: Einige der Schongauer Altstadt-Geschäftsinhaber haben mich in den letzten Wochen per mail bzw. im Gespräch darauf hingewiesen, dass die Stimmung in Sachen „Fussgängerzone“ bei ihnen und den meisten ihrer KollegInnen mittlerweile ins Positive gewendet sei, nur noch zwei würden dagegen opponieren. Allerdings müsse die Realisierung einer FGZ mit optischen und verkehrstechnischen Verbesserungen des Marienplatzes einhergehen, um attraktiver zu werden. Dieser Standpunkt würde von ihnen auch über Parteizugehörigkeiten hinweg politisch/ öffentlich vertreten.
    Na prima, dann sollte doch was vorangehen…

      1. Ja, das war überfällig und ist zumindest in dieser beinah Einstimmigkeit überraschend. Allerdings dürfte dabei die kleine Erpressung des Immo-Investors entscheidend gewesen sein, der eine FGZ als Voraussetzung für die Ansiedlung einer Attraktion wie „H&M“ forderte.
        Mit so einem Laden allein wird eine FGZ aber noch nicht zur ‚guten Stube‘ der Stadt, die Aufenthaltsqualität muss durch Bepflanzung, Café-Sitzplätze, Spielmöglichkeit für Strassenmusiker etc. verbessert werden – vielleicht findt sich auch ein Platzerl für ’n Freiluft-Schach…

  8. Ich bin einer, der vor 40 Jahren nach Hamburg auszog, um dort Soziologie und Psychologie zu studieren, nachdem ich mein Abitur 1977 in Schongau gemacht hatte. Die hiesigen „Revolutionäre“, die mich damals in Hamburg besuchten, brachten mit Hamburger Orts- oder besser Stadt-Schildern einen Hauch Weltstadt und Verwirrung mit zurück nach Schongau, als sie die hier aufstellten.
    In Hamburg gab es mit Thomas Ebermann bereits 1982 die „Hamburger Verhältnisse“, eine grün-alternative Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung in der Hamburger Bürgerschaft. 1987 wurde dieser Thomas Ebermann, über den damals wohl ähnlich in den Medien berichtet wurde wie 2014 über Tobias Kalbitzer, dann mit einer Mehrheit gegenüber Otto Schily überraschend Fraktionssprecher der Grünen im Bundestag.
    Zurück nach Schongau: 1976 hatte ich noch das mich durchaus prägende Erlebnis, Franz-Josef Strauß live schamlos und kritische Bürger beleidigend auf dem Schongauer Marienplatz zu sehen, zu hören und mit einem kalten Schauer auf dem Rücken zu fühlen. Und gleichzeitig konnte ich noch selbst die Anfänge dieser Gegenbewegung und Aufbruchstimmung miterleben und der damit verbundenen Entwicklung Schongaus, wie sie sehr schön von meinem Mitschüler und Freund Werner Friebel in diesem Artikel beschrieben wird.
    Alle 5 bis 10 Jahre, viel zu selten, war ich dann in Schongau – und ich habe es immer wieder gesehen und gespürt: diese Kleinstadt hat was, was andere nicht haben. Und sie hat eben auch das kritische Potential seiner Menschen, die hier wohnen. Bereits 1976 gab es subversive Wahlplakate für Biene Maja, die damals für Aufsehen sorgte, aber den politischen Durchbruch nicht geschafft hat. 40 Jahre später ist die Schongauer Revolution (fast) perfekt. Bitte weiter so! Ich komme wieder, keine Frage.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.