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Karl Popper gegen die „falschen Propheten“

Karl Popper

Es war kein Zufall, dass kürzlich in der BR-alpha-Reihe „Phase 3 „“ retro.Talk“ nach dem Gespräch mit Paul Feyerabend die Doku über Karl Popper angehängt wurde – beide Denker ticken ähnlicher, als es ob ihrer kleinen diskursiven Scharmützel manchmal den Eindruck erweckt haben mag. Nicht nur in ihrer Kritik an den etablierten Methoden des induktiven und positivistischen ‚Erkenntnisgewinns‘ in Philosophie und Wissenschaften, einig waren sie sich auch in ihrer Ablehnung absoluter Wahrheitsansprüche und „falscher Propheten“.

Nun stellt sich wohl manchen Philosophie-Interessierten nach einer ersten Einführung in die Philosophie die Frage, zu welcher Original-Lektüre sie danach greifen sollten. Dazu bietet sich imho Karl Popper aus mehreren Gründen an:

  • er formuliert leicht verständlich, ohne ausufernde Schachtelsätze und akademische Begriffs-Huberei, wobei sein Hang zu inhaltlichen Redundanzen den „Lerneffekt“ unterstützt
  • er setzt kaum fach-philosophisches Vorwissen voraus – allerdings dürften Grundkenntnisse vor Allem zu den Vorsokratikern, zu Platon und Kant sowie den Differenzen zwischen Rationalismus und Empirismus für das Verständnis von Poppers gelegentlich etwas ‚eigenwilligen‘ Interpretationen hilfreich sein
  • und vor allem: wer sich mit Poppers „kritischem Rationalismus“ gewappnet hat, läuft später kaum noch Gefahr, sich von den dialektischen oder analytischen Spitzfindigkeiten und absoluten Geltungsansprüchen mancher Groß-Philosophen so beeindrucken zu lassen, dass er/sie sich das eigene Denken (im Sinne Kants) vor lauter beeindruckt-sein in einer Art geistiger Untertanenhaltung kaum noch traut ;-)

Von Poppers vielen Büchern scheint mir der Auswahlband „Alle Menschen sind Philosophen“ am geeignetsten, um sich einen profunden Einblick in seine Themenbereiche zu verschaffen. Damit aber bezüglich des arg jovial daherkommenden Buchtitels kein Missverständnis aufkommt: der wurde nicht von Popper selbst gewählt, sondern den hat sich der Verlag posthum aus einem Bonmot Poppers rausgeschnitzt, mit dem er eigentlich nur zu mehr Reflexionsbereitschaft anspornen wollte: „Ich glaube, dass alle Menschen Philosophen sind, wenn auch manche mehr als andere.“ Das sei zu verstehen als Aufforderung an Alle, die eigenen Möglichkeiten und Einsichten durch Selbstkritik zu erweitern und eine entsprechend reflektierte Lebenseinstellung zu entwickeln.

popper_philosophenEs stimmt allerdings, dass Popper gegenüber der vermeintlichen „philosophischen Elite“ ein gesundes Misstrauen hegte, sobald sie dazu tendiert, sich mit ideologischem Tunnelblick und fachakademischer Selbstüberschätzung zu dogmatischen Welterklärungsansprüchen zu versteigen. Mit seiner ‚Kollegen-Schelte‘ hat sich der Wiener und Wahl-Brite nicht nur Freunde gemacht, der Verleihung eines Adelstitels durch die Queen hats aber nicht geschadet ;-)

Klar ist für Popper aber auch, dass manche unserer Daseins-Probleme und die damit verbundenen Denkaufgaben aufgrund des enormen Zeitaufwands und einigem an erforderlichem Vorwissen nur von Philo-Profis bearbeitet werden können; folglich sieht er deren Hauptaufgabe darin, „die Dinge, die manche andere als selbstverständlich hinnehmen, kritisch zu untersuchen. Denn viele dieser Ansichten sind einfach Vorurteile, die unkritisch und selbstverständlich hingenommen werden, aber sehr oft einfach falsch sind. Um das herauszubekommen, braucht es vielleicht so etwas wie einen Berufsphilosophen, der sich Zeit zum kritischen Nachdenken nimmt.“

In dieser hier vorliegenden Zusammenstellung verschiedener Reden und Uni-Vorträge (mit teilweise thematischen Überschneidungen) werden Poppers in sokratischer Bescheidenheit formulierte Ansichten etwa zur Wissenschaftstheorie, zum „Leib-Seele-Problem“, zur „Willensfreiheit“, zu „Bewusstsein und menschlichem Selbstbewusstsein“, zu „Erkenntnis-Lernen-Wissen“ sowie zu „Politik und Geschichte“ mitsamt seines Konzepts der „Offenen Geselllschaft“ deutlich – und zum Einstieg gibts einen lockeren, aber gehaltvollen Philo- und Erinnerungs-Talk mit seinem Jugendfreund Konrad Lorenz anlässlich eines Treffens zu ihrem (fast) gemeinsamen 80. Geburtstag.

Lassen wir Popper selber ein paar Takte über seine philo-pädagogische Haltung sagen:

Philosophie als Aufklärung des Alltagsverstandes

Alle Menschen sind Philosophen. Auch wenn sie sich nicht bewusst sind philosophische Probleme zu haben, so haben sie doch jedenfalls philosophische Vorurteile. Die meisten davon sind Theorien, die sie als selbstverständlich akzeptieren: Sie haben sie aus ihrer geistigen Umwelt oder aus der Tradition übernommen.
Da nur wenige solcher Theorien uns ganz zum Bewusstsein kommen, sind sie Vorurteile in dem Sinne, dass sie ohne kritische Prüfung vertreten werden, obwohl sie von großer Bedeutung für das praktische Handeln und für das ganze Leben der Menschen sein können.

Es ist eine Rechtfertigung der Existenz der professionellen oder akademischen Philosophie, dass es notwendig ist, diese weit verbreiteten und einflussreichen Theorien kritisch zu untersuchen und zu überprüfen.

Solche Theorien sind die Ausgangspunkte aller Wissenschaft und aller Philosophie. Sie sind unsichere Ausgangspunkte. Jede Philosophie muss mit den unsicheren und oft verderblichen Ansichten des unkritischen Alltagsverstandes anfangen. Ziel ist der aufgeklärte, kritische Alltagsverstand. die Erreichung eines Standpunktes, der der Wahrheit näher ist, und der einen weniger schlimmen Einfluss auf das menschliche Leben hat. […]

Ich gebe zu, dass es einige sehr subtile und gleichzeitig überaus wichtige Probleme in der Philosophie gibt, die ihren natürlichen und einzigen Platz in der akademischen Philosophie haben, beispielsweise die Probleme der mathematischen Logik und, allgemeiner, die der Philosophie der Mathematik. Ich bin höchst beeindruckt von den erstaunlichen Fortschritten, die auf diesen Gebieten in unserem Jahrhundert gemacht wurden.

Aber was die akademische Philosophie im Allgemeinen betrifft, so beunruhigt mich der Einfluss derer, die Berkeley die minuziösen Philosophen (the minute philosophers) zu nennen pflegte. Gewiss, die kritische Einstellung ist das Herzblut der Philosophie. Aber wir sollten uns vor Haarspaltereien hüten. Eine minuziöse, kleinliche Kritik kleinlicher Angelegenheiten, ohne Verständnis der großen Probleme der Kosmologie, der menschlichen Erkenntnis, der Ethik und der politischen Philosophie und ohne das ernsthafte und hingebende Bemühen sie zu lösen scheint mir verhängnisvoll zu sein.

Es sieht fast so aus, als ob jeder gedruckte Absatz, der mit einiger Anstrengung missverstanden oder mißinterpretiert werden könnte, einen weiteren kritisch-philosophischen Aufsatz rechtfertige. Scholastik, im übelsten Sinne dieses Wortes, gibt es im Überfluss. Große Ideen werden eiligst unter einer Flut von Worten begraben. Auch scheint eine gewisse Arroganz und Ungeschliffenheit – einst eine Seltenheit in der philosophischen Literatur – von den Herausgebern vieler Zeitschriften für ein Zeichen von Kühnheit des Denkens und von Originalität gehalten zu werden.

Ich glaube, es ist die Pflicht jedes Intellektuellen sich seiner privilegierten Stellung bewusst zu sein. Er hat die Pflicht einfach und klar und in einer möglichst zivilisierten Art zu schreiben und weder die Probleme zu vergessen, die die Menschheit bedrängen und die neues, kühnes und geduldiges Nachdenken erfordern, noch die sokratische Bescheidenheit – die Einsicht dessen, der weiß, wie wenig er weiß. Im Gegensatz zu den minuziösen Philosophen mit ihren kleinlichen Problemen sehe ich die Hauptaufgabe der Philosophie darin, kritisch über das Universum und unseren Platz in ihm nachzudenken sowie über die gefährliche Macht unseres Wissens und unsere Kraft zum Guten und zum Bösen.

Karl Popper

Nun aber wird’s Zeit für die eingangs erwähnte Doku über Popper, die auf YouTube in mehreren 11-minütigen Teilen abrufbar ist; hier nun der erste, auch als Einstieg zu den weiteren:

Na, vielleicht hat ja nun der eine oder die andere von Euch Lust bekommen, den Popper als locker-nahrhafte „Sommerlektüre“ mit in die Reisetasche zu packen…


Karl R. Popper. Alle Menschen sind Philosophen.
Piper Verlag, TB 281 Seiten
ISBN-13: 978-3492241892

wf

10 Gedanken zu „Karl Popper gegen die „falschen Propheten““

  1. Alle Menschen denken nach – dann und wann sogar bewusst; denn innerlich „nachzudenken“ beginnt psychologisch gesehen wesentlich früher, und zwar in Form des sich „Erinnerns“. Das ist eine Leistung, die philosophisch noch viel zu wenig reflektiert worden ist, obwohl von ihnen alles Denken seinen Ausgang nimmt.
    Mehr dazu hier http://alturl.com/epfdn mit weiterreichenden Hinweisen auch auf wichtige neuere Literatur…

  2. Der Autor des kurzen Artikels suggeriert oben im vermeintlichen Abwägen zwischen Feyerabend und Popper eine Offenheit, die im nicht zu eigen ist. Die Wahl Popper-Feyerabend oder andere Philosophen ist bereits entschieden. Das merkt man an den textlich-inhaltlichen Formulierungen, die durch und durch popperianisch anmuten:

    „wer sich mit Poppers „kritischem Rationalismus“ gewappnet hat, läuft später kaum noch Gefahr, sich von den dialektischen oder analytischen Spitzfindigkeiten und absoluten Geltungsansprüchen mancher Groß-Philosophen so beeindrucken zu lassen“

    Hier wird auf dem Standpunkt von popperianischem Positivismus Immunisierung betrieben: Wer den popperischen Dogmatismus verinnerlicht hat, kann diesen als neu erworbene Waffe gegen „dialektisch[e] oder analytisch[e] Spitzfindigkeiten“ recken, und er soll sich bestenfalls nur ja nicht mit den vermeintlich so „absoluten Geltungsansprüchen mancher Groß-Philosophen“ argumentativ auseinandersetzen, sondern ihnen lieber die eigene großsprecherische Ignoranz entgegenhalten, da hat man wenigstens lange Zeit was von.

    Weiter oben steht:

    „er formuliert leicht verständlich, ohne ausufernde Schachtelsätze und akademische Begriffs-Huberei, wobei sein Hang zu inhaltlichen Redundanzen den „Lerneffekt“ unterstützt“

    Vertreter des positivistischen Erkenntnisideals gehen immer auf die Sprache, wobei interessant ist, dass inhaltliche Redundanz akzeptiert wird, nicht jedoch die sprachliche. Wo dem kritischen Geist schon Schachtelsätze und die Verwendung wissenschaftlicher Termini ein Graus sind, sollte man tatsächlich zu Popper greifen…

    1. Zunächst ist mir unverständlich, false _concious, wie du darauf kommst, es ginge hier um ein „Abwägen zwischen Feyerabend und Popper“ oder darum, diese beiden zu „Wahlsiegern“ in einem Wettstreit mit anderen Philosophen zu deklarieren – das lässt sich weder schließen aus diesem kleinen Review zu Sendereihe „retro.Talk“, in dem es nun halt mal um Feyerabend & Popper ging, noch aus der Empfehlung, Popper als „Einstieg“ und locker-nahrhafte Sommerlektüre einzupacken.
      Hauptsächlich aber darf die Frage erlaubt sein, ob du dich mit Popper überhaupt beschäftigt hast oder nur Adorno nachplapperst, der zu Beginn des ‚Postivismusstreits‘ Popper ebensolchen vorgeworfen hatte. Das war natürlich Quatsch, weil sich Popper argumentativ explizit gegen den Wiener Kreis und positivistische Umdeutungen seines Kritizismus gewandt hatte. Und natürlich kann man auch einen „popperischen Dogmatismus“ gar nicht verinnerlichen, da es einen solchen nicht gibt – Poppers kritischer Rationalismus und seine Forderung nach Einsicht in die (auch eigene) Fallibilität sind das Gegenteil von Dogmatismus – siehe auch Poppers „Texterl zum Tage“.
      Hoffe, dass du, false _concious, nicht zu den verkappten (dein Anonymus lässt’s befürchten) Philo-Trollen gehörst, die gelegentlich hier hereinstolpern…

      1. In der Tat ist das mein erster Kommentar auf der Seite, und ich hege wirklich keine Absichten, mich hier als „Philo-Troll“ zu etablieren, keine Angst. Was meinen Kommentar angeht: Oben findet sich der Satz: „Nun stellt sich wohl manchen Philosophie-Interessierten nach einer ersten Einführung in die Philosophie die Frage, zu welcher Original-Lektüre sie danach greifen sollten. Dazu bietet sich imho Karl Popper aus mehreren Gründen an“; klingt für mich ganz klar nach einem Abwägen, wenn auch nicht in der Form, dass man Feyerabend oder andere Wissenschaftstheoretiker deswegen vernachlässigen sollte, also ruhig Blut. Eigentlich wolle ich damit auch nur betonen, dass, gäbe es eine Situation des Abwägens, dass Urteil des Autors bereits feststünde; nämlich für Popper und gegen Feyerabend, was sich anhand der verwendeten inhaltlichen Bezüge leicht feststellen lässt.

        Sie haben Recht: Popper sollte man historisch-chronologisch besser als neo-neo-Positivisten bezeichnen, wenn die Abfolge: Comte-Wiener Kreis-Kritischer Rationalismus gilt. Nur wird er deswegen des Positivismusvorwurfes nicht enthoben. Selbst der späte Carnap oder der späte Wittgenstein hatten deutlich geringere positivistische Anverwandlungen entwickelt als dies bei Popper zeitlebens der Fall gewesen war. Der Nexus Popper-Positivismus behält seine Berechtigung, wenn man einen weiten Positivismus-Begriff gelten lässt, der u.a. – Sie sagen es – den Vertretern der Kritischen Theorie zu Grunde liegt. Da Sie diesen Vorwurf kennen, genügt an dieser Stelle ein Verweis auf das Vorwort Adornos im >PositivismusstreitDie offene GesellschaftWas ist Dialektik?Der lange Marsch zum Neoliberalismus< nachlesen kann) zur Polemik und vergaß dabei die rationale Beherrschung, die sein Wissenschaftsideal betulich einfordert. Da gönne ich mir doch lieber die bissige Boshaftigkeit Adornos, der offen und bewusst seine Gegner verlacht, als das Großaufgebot Poppers, der leugnet, auch menschliche Eigenschaften zu haben….

      2. Hm, scheinbar ist da der Text an einer Stelle ineinander gerutscht; auch Fehlen einige Zeilen. Kann der Admin den vollständigen Text wiederherstellen oder ist der verloren?

      3. Um nochmal kurz auf den fehlenden Teil einzugehen: Aus >PopperDogmatismus< einen absoluten Gegensatz zu konstruieren, finde ich immer putzig. Die Immunisierungsstrategie ist klar erkennbar; die Verklärung des Meisters und die unkritische Betrachtung vieler seiner Schriften (auch seines Briefverkehres; hier wie dort kann man sehen, wie wenig fair und objektiv Popper sich zu philosophischen Ideen/ Zeitgenossen verhielt) lassen Zweifel an seiner sich so gebarenden Leserschaft aufkommen.

  3. Ich bin kein Kenner von Poppers Schriften. Und ich habe durchaus Sympathie für die scharfe Kritik an Autoren, deren Grundeinstellung man ablehnt. So geht es mir z.B. mit Luhmann, auf den ich auch immer gerne bei jeder passenden Gelegenheit draufhaue. Aber der von wf zitierte Text zur „Philosophie als Aufklärung des Alltagsverstandes“ gefällt mir ausnehmend gut. Was ich bisher auszugsweise von Popper gelesen habe, entspricht diesem von wf zitierten Text. Die Gefahr, wenn man Autoren grundsätzlich ablehnt – wie gesagt: ich beziehe mich in dieser Kritik mit ein -, besteht darin, daß man Denkverbote erteilt. Man darf diesen Autor nicht lesen! Man darf jenes nicht denken! Man sollte nicht Dogmatismus mit Dogmatismus bekämpfen. Wenn uns eine Stellungnahme wie die von wf zu Popper/Feerabend als unbegründet erscheint, beginnt eigentlich erst das Gespräch, die Rückfrage nach Begründungen, bis ein Niveau erreicht ist, das alle mehr oder weniger zufrieden stellt und das immer nur so lange gilt, wie es nicht jemand aufs Neue in Frage stellt. Ist das nicht der Kern des kritischen Rationalismus?

  4. Wer sich zu sehr in Schubladen vertieft, verliert gelegentlich jede Ahnung über den Schrank.
    Popper und Feyerabend gemeinsam „“ so ich beide richtig gelesen habe „“ ist meines Erachtens deren Blickwinkel. Aus diesem macht erst das (gelegentliche) Inhumane des singulären subjektiven Denkens den Mensch zum Menschen, und jede Philosophie mit dem Geltungsanspruch eines humanistischen Universalismus gilt diesem als unmenschlich.
    Vielen Dank für die höchst leckeren Delikatessen aus Österreich, den Kostproben zu Feyerabend und Popper.

  5. Pingback: Konrad Paul Liessmann "“ Verantwortung in einer komplexen Welt | Juli bis Dezember

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