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Steckt im Okkultismus Innovationspotential?

Das Okkulte

Weil ja kürzlich Halloween und Allerheiligen war und grad geisterhafte Herbstnebel durch unsere Vorgärten und Gemüter wabern, hatte Volker Panzer im letzten ZDF-Nachtstudio (am 6.11.2011) wieder mal ein paar Gäste zum Gespräch über „Okkultismus“ ans elektronische Kaminfeuer eingeladen – ein volksnahes Thema, denn schließlich glaubt jeder siebte Deutsche (zwei Drittel davon Frauen) an Magie, Hexerei und andere übersinnliche Manifestationen. Da wärs keine Schande, wenn auch Sie schon mal Stimmen aus dem Jenseits gehört oder zu Zwecken der Geisteraustreibung einen „Hausentstörer“, so ein Art Kammerjäger für Spukerscheinungen,  bestellt hätten.

Nun gibt es Leute, die auch abseits der damit verbundenen Scharlatanerie ihr Geld damit verdienen und sich literarisch oder wissenschaftlich mit paranormalen Phänomenen beschäftigen und beispielsweise „Anomalien im Bereich von Psychologie und Physik“ untersuchen und dokumentieren. Wie Studiogast Eberhard Bauer, der am „Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“ in Freiburg als Psychologe arbeitet und am Fall der 1976 in Folge von exorzisstischen Ritualen verstorbenen Anneliese Michel schilderte, wie sich in konservativ-religiösen Umfeldern der mittelalterliche Aberglaube an dämonische Besessenheit bis in die ‚aufgeklärte‘ Gegenwart halten konnte. Er glaubt, „die Begegnung mit dem Spukhaft-Außergewöhnlichen gehört zur menschlichen Natur, das ist quasi existenziell bedeutsam.“

Das OkkulteÄhnlicher Meinung ist auch Sabine Doering-Manteuffel, Ethnologin und Präsidentin der Universität Augsburg, die sich ausgiebig mit den Wurzeln und Erscheinungen des Okkultismus beschäftigt hat. In ihrem Buch „Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung„, beschreibt sie die Verbreitung okkulten Gedankenguts von „Gutenberg bis zum World Wide Web“.
Ob dem Glauben an das Paranormale bestimmte ‚abartige‘ Hirnfunktionen zugrunde liegen, untersuchte Peter Brugger, Leiter der neuropsychologischen Abteilung des Universitätsspitals Zürich in etlichen wissenschaftlichen Studien. Dabei zeige sich für den skeptischen Wissenschaftler, dass es eine große Nähe gibt zwischen okkultem Denken, Kreativität und Schizophrenie: „Menschen, die an Geistheilung, die Kraft von magischen Steinen und ähnlich Übersinnliches glauben, denken ein wenig ‚anders‘ als der gemeine Skeptiker“.

Einen anderen Zugang zum „Okkulten“ hat seit jeher die Kunst, in der Runde verteten durch die Schriftstellerin Sarah Khan, die in ihrem Erzählband „Die Gespenster von Berlin“ einige „unheimliche Geschichten“ von den zeitgenössischen Gespenstern im heutigen Berlin auftischt. Dabei verteidigt sie den Okkultismus auch als eine „künstlerisch-theatrale Strategie“, als eine „Form von Suche nach Antworten, die anders anscheinend nicht geleistet werden kann“. Viele europäische Städte seien zu bestimmten Zeiten schon mal die Zentren für das Okkulte gewesen, wie Lissabon, London, Paris, München oder nun eben Berlin.

 Dabei wurden schon immer Motivgruppen wie Vampire, Werwölfe etc durch die jeweiligen Medien in Form kollektiver Erzählungen verfestigt. Oft als Reflexion auf gesellschaftliche Veränderungen, die bedrohlich erschienen, wie etwa der immense technologische Fortschritt im 19. Jahrhundert, der überall spiritistische Zirkel als Gegenpole hervorbrachte und die Grusel-Literatur beflügelte. Mary Shelleys „Frankenstein“ ist in jeder Hinsicht so ein Kind dieser Zeit.

Die einsetzende Flut des modernen Okkultismus erreichte unter den Nazis einen Höhepunkt, als  der völkische, rassenideologische und germanozentrische Okkultismus die deutsche Gesellschaft schon von Kindesbeinen an durchdrang. Adorno spottete deshalb, „die Neigung zum Okkultismus ist ein Symptom der Rückbildung des Bewusstsein“ und der Okkultismus sei nichts anderes als „die Metaphysik der dummen Kerle“ (Minima Moralia Nr.151)

OkkultismusNun hatte sich dieses „Nachtstudio“ mit der etwas reißerischen Formulierung „Im Schatten der Moderne – Die Rückkehr des Okkulten“ betitelt, was insofern irreführend ist, als dass man dafür vorher einen Rückzug desselbigen hätte annehmen müssen.
Dass dies keineswegs der Fall war, zeigt Frau Doering-Manteuffel in ihrem neueren Buch „Okkultismus – Geheimlehren, Geisterglaube, magische Praktiken„, in dessen Vorwort sie feststellt: „Schon ein kurzer Blick auf den boomenden Esoterikmarkt von heute genügt um zu erkennen, dass sich ein halbes Jahrhundert nach Adornos kritischen Reflexionen das Spektrum okkulten Denkens eher erweitert als vereengt hat. Neben neuen spirituellen Bewegungen und religiös untermauerten Weltanschauungsgemeinschaften wie Scientology entwickelte sich zudem ein neuer Markt für Ritualwerkzeuge, Merchandising-Artikel und Dienstleistungen. Magische Berater sowie Erweckungs- und Erlösungsbewegungen haben diesen Markt erobert.
Einige Beispiele aus dem anonymen Raum des Internet illustrieren, welche Dimension dieses Geschäft angenommen hat: Ein Ratsuchender bewohnt seinem Bekunden nach ein verhextes Haus, in dem sich „schädliche Erdseelen“ befinden sollen. Eine „Heilerin“ verspricht, sie kostengünstig zu entfernen. Ein „Lichtarbeiter“ kämpft um den Aufstieg unseres Planeten in die fünfte Dimension. Andere wollen ihm dabei helfen. Er bietet seine Künste für einen scheinbar geringen Preis im Cyberspace an. …
Das sogenannte „Energetische Raumreinigen“ ohne mechanische Hilfen durch „mentales“ Entfernen von bösen Einflüssen, Partnerrückführung durch Liebeszauber, Jenseitskontakte zu Verstorbenen mithilfe von Medien, Erspürung von Lebensaufgaben durch „Engelcoaching“,  Heilsteine und Horoskope sind aber neben der Lebenshilfe, die sie versprechen, nicht nur Teil eines Gewerbes, sondern auch Massenunterhaltung. Es geht um Lebensenergie, um Einklang, Erlösung, Verwandlung oder verborgene, unsichtbare Kräfte. Esoterische Lehren versprechen, den Bannkreis des Rationalen zu öffnen und den Menschen von den Zwängen des Alltagslebens zu befreien.  Viele folgen ihren Verlockungen.“

Wie konstant und suchtpotenzialig sich diese Verlockungen in den letzten Jahrzehnten in dem gefährdeten Teil unserer Gesellschaft ausbreiten konnten, war auch schon dem SPIEGEL 52/1994 eine Titelgeschichte wert: „Die Flucht ins Spirituelle – Sehnsucht nach Sinn„.

Gegen Ende dieses Nachtstudio ließ der Moderator noch die Frage in der Runde kreisen, ob denn im Okkultismus nicht auch Innovationspotenzial stecke. Nun war halt kaum noch Zeit, diese dialektisch anspruchsvolle These näher zu untersuchen; unbestritten ist wohl, dass die metaphysische Spekulation das Vorantasten der Menscheit auf kultureller und auch wissenschaftlicher Ebene schon immer angetrieben hat. Dazu hätte man nun noch schön diskutieren können über Sabine Doering-Manteuffels Angriff auf das „Internet als erstem Medium, das nicht nur Esoterikprodukte vertreibe und das Okkulte transportiere, sondern in sich selbst, in seiner Anonymität und Regellosigkeit, okkult sei“. Denn die weitgehend ungeregelte Informationsproduktion im Internet führe zum Gegenteil von kritisch reflektiertem Wissen, nämlich zum Okkulten.
Aber diese These wäre ja auch eine eigene Sendung wert.

wf

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