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Notizen aus der ‚Musik-Hauptstadt‘ Berlin

Soeben ging die Berlin Music Week zu Ende, das  Musikfest Berlin läuft noch und demnächst steht das JazzFest Berlin auf dem Programm der Hauptstädter, die sich auch in Sachen Musik gern als solche bezeichnen. Die Voraussetzungen dafür sind ja auch gar nicht schlecht, denn wenn der Bär los ist und tanzen will, braucht er Platz, und den haben die Berliner beispielsweise mit dem ehemaligen Flugplatz Tempelhof, dessen weitläufige Hangars gerade als passende event-location für die Berlin Music Week diente. Dabei traf sich die verunsicherte Szene der europäischen Musikindustrie erstmals zu einem gemeinsamen einwöchigen Pow-Wow, weil sich Sorgen halt gemeinsam leichter ertragen und verdrängen lassen. Man gab also die Popkomm, den Kongress all2gethernow, lud zur schon traditionellen Clubnacht, traf sich zu diversen Sit-Ins der Berlin Music Commission und der Clubcommission Berlin und vor Allem zum werbewirksamen Berlin Festival.
Dieses zweitägige Festival mit einem zumindest in Pop-Kreisen ‚bombastischen‘ Line-up war zwar ausverkauft, wurde aber am samstäglichen Höhepunkt wegen Sicherheitsbedenken (man hat immerhin von der Love-Parade gelernt) schon um 23.00 Uhr beendet; da geht der Berliner sonst erst aus’m Haus, is also veritabel genervt und fordert schon mal sein Eintrittsgeld zurück…

Eine völlig andere Baustelle, auf der mit etwas feinerem Material gearbeitet wird, ist das noch bis 21. September laufende Musikfest Berlin, bei dem diesmal das wegweisende Werk des 85-jährigen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez (steht dort auch live am Pult!) in einen spannungsvollen Dialog mit musikalischen Traditionen aus aller Welt gestellt wird –  Lesenswertes dazu findet ihr in den essayistischen Begleitkolumnen zum Musikfest in Michael Jägers Musikblog.

Das Musikfest findet alljährlich unter dem organisatorischen Dach der „Berliner Festspiele“ statt, in deren Rahmen auch das bevorstehende JazzFest Berlin organisiert wird, eine der ältesten und angesehensten Jazz-Veranstaltungen Europas.
Als „Berliner Jazztage“ 1964 von Joachim-Ernst Berendt gegründet, genießt das Festival den Ruf eines progressiven und zugleich traditionsbewussten Jazzereignisses europäischer Prägung – mit einer Kontinuität auf hohem internationalen Standard, die nur dank der Co-Finanzierung durch die ARD und ZDF, das Land Berlin und Bundesmitteln aufgebaut und gehalten werden konnte. Wie in den Vorjahren übernahm heuer wieder Nils Landgren die künstlerische Leitung und ist hauptverantwortlich für das Programm vom 3.-7. November.

Aus der Festival-Programm-Ankündigung:

„Verschiedene Generationen des deutschen Jazz sind zu erleben: vom swingenden „elder statesman“ Emil Mangelsdorff über den rastlosen Sucher und Neuerer Joachim Kühn bis hin zum Senkrechtstarter Pablo Held. In die Zukunft der Jazzszene Europas hört das JazzFest Berlin mit einer langen Konzertnacht des Jazz Institut Berlin. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit der ARD manifestiert sich in gemeinsamen Projekten wie Kinsmen mit dem Altsaxophonisten Rudresh Mahanthappa, dem Auftritt von zeitkratzer und dem Konzert der hr-Bigband.

Als europäisches Kernland wartet Österreich mit einer vielfältigen Gesandtschaft auf, angeführt von der Jazz Bigband Graz. Neben Improvisatoren wie dem Bassklarinettisten Denis Colin und der Baritonsaxophonistin Céline Bonacina schickt Frankreich sein „Orchestre National de Jazz“ mit einer außergewöhnlichen Hommage an Billie Holiday nach Berlin. Auch an den Rändern Europas ist der künstlerische Leiter Nils Landgren zwischen Helsinki und Skopje, zwischen Kiev und Dublin, fündig geworden. Genannt seien: Iro Haarla aus Finnland, das fulminante Kocani Orkestar aus Mazedonien und Sängerin Christine Tobin aus Irland.“

Hm, was soll man da aus dieser Vielfalt als Appetizer aussuchen? Ich entscheide mich mal für die JazzBigBand Graz, weil die mit ihrer enormen Vielseitigkeit zeigt, dass große Ensembles mit viel Gebläse nicht unbedingt nach Miller, Kempfert und schon gar nicht nach James Last klingen müssen, sondern das Spielfeld für musikalische Experimente und neue Formen erweitern können.  Die JBBG arbeitet auf der Bühne auch mit Videoinstallationen, baut spoken poetry und exotische Instrumente wie das „Theremin“ (Ätherwellengeige) ein und bringt immer wieder klasse Solisten aus dem eigenen Nachwuchs hervor. Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich, denn lang bevor in Deutschland die ersten universitären Ausbildungsmöglichkeiten für Jazzer eingerichtet wurden, hatten die Grazer ihre Jazz Akademie. Einige meiner bairischen Mitmusiker aus früheren Jahren hatten deshalb auch dort studiert.

Der folgende Teaser ist ein Zusammenschnitt aus dem JBBG LIVE Programm „Electric Poetry & Lo-Fi Cookies“, live aufgenommen beim JazzBaltica Festival/ Juli 2009. Musikalisch zwar etwas „zerrupft“, spiegelt dieses ‚Werbe-Video‘ aber die angesprochene Vielfalt einigermaßen wider. Die Spannung und Poesie solch elaborierter Musik lässt sich eh nur im akustischen und psychischen Resonanzraum eines Konzertsaals richtig erspüren.

wf

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