Zum Inhalt springen
Startseite » Buchmessen-Nachlese

Buchmessen-Nachlese

„Beim Besuch einer Buchmesse ergriff mich eine sonderbare Beklemmung“, schrieb Adorno 1963. „Als ich suchte zu verstehen, was sie mir anmelden wollte, ward ich dessen inne, dass die Bücher nicht mehr aussehen wie Bücher.“

logo buchmesseWenn also schon die Bücher von 1963 nicht mehr wie Bücher aussahen, weil sie „anfangen,  dramatisch Reklame für sich selbst zu machen“, wie hätte es den Mitbegründer der Kritischen Theorie wohl gegraust bei einem Rundgang über die diesjährige Frankfurter Buchmesse – nicht nur wegen der weiter fortgeschrittenen Degenerierung des Buches zum massenkompatiblen Konsumartikel mit allem denkbaren Werbe-Schnickschnack, sondern mehr noch wegen der ehrfurchtslosen beliebigen Austauschbarkeit ‚geistiger‘ Inhalte im digital publishing.

Seit 1988 wird jährlich ein wechselndes Gastland zur Buchmesse eingeladen, diesmal die Türkei.
Zu deren Auftritt und Rolle hat sich SZ-Feuilletonistin Iljona Mangold den ehemaligen Kanak-Sprachler und heutigen Kulturkonservativen  Feridun Zaimoglu geschnappt, der in diesem Beitrag der „Süddeutschen Zeitung“  die Aufmerksamkeits-Fokussierung auf die „Lauten“ beklagt.


Das letzte Wort zur diesjährigen Buchmesse soll, zumindest hier im Blog, der Lyriker Michael Zoch  haben:

Frankfurter Tirade

ihr seid nicht besoffen vom ausbruch der welt
eure sprache klingt dumpf wie ein päckchen kondome
das achtlos ins pissbecken fällt
und all überall die schriftstellerschnepfen
vom schambein zum knie bewußt recklinghausen
gepoppt nur nach ausdrücklich reifer lektüre
mehrwert gebündelt in mausgrauen augen
leistungsgerecht
und DIE blöde sau DORT studiert germanistik
schreibt seit drei jahren auch schöne gedichte
für eine tussi in köln oder hagen
wähnt sich mit 20 verdammt nochmal geistig
und war doch bereits mit 14 zu alt
schließlich der einmarsch der lieblingsautoren
gesponsert vom buchhandelsbörsenverein
parteitag der phrasen und heidenreich faselt
auf 3sat aus frankfurt von ostavantgarde
(rät außerdem dringlichst zum preise vergleichen)

wf / Michael Zoch

3 Gedanken zu „Buchmessen-Nachlese“

  1. vom schambein zum knie bewußt recklinghausen
    gepoppt nur nach ausdrücklich reifer lektüre

    Das ist dann wohl ein diskordantes Bild. Wenn der Dichter das Stadtimage von Recklinghausen zur Verdeutlichung einsetzt, und dem Recklinghäuser stattdessen Recklinghäuser Schambein-bis-Knie-Moden und Umgangsformen banal-bedeutsamen Liebemachens ins Bewusstsein ruft — was beides wohl sehr schlimm ist, aber eben auf ganz gegenteilige Art.
    Michael Zochs Frustration über Schriftstellerschnepfen wäre jedenfalls ganz anderer Art, wenn die ein bisschen mehr recklinghausen wären und weniger braunschweig.

    (Sorry, Lokalpatriotismus des glücklich Weggegangenen)

  2. Geistige Inhalte und Kulturkritik lassen sich auch via Internet transportieren, wie man an den „Philosophischen Schnipseln“ ablesen kann. Ansonsten braucht man aber nicht einmal überkritisch wie Adorno sein, um an dem „Konsumartikel“ Buch und seiner werbemäßigen Verkaufsdarstellung Anstoß zu nehmen. „Digital publishing“ ist aber nur etwas für Schriftstellerschnepfen.

  3. Pingback: Philosophische Schnipsel » Herbstlese - Kurzrezensionen Teil II (Lyrik)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.