Zum Inhalt springen
Startseite » Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

weiblicher Narzissmus

Mittlerweile haben sich die meisten Neurowissenschaftler und Philosophen der jahrtausendealten buddhistischen Überzeugung angeschlossen, dass unser „Ich“ nur eine Illusion ist, die uns unser Neuronenfeuerwerk mit viel Blendwerk, Rauch und Leid an den Himmel unseres Bewusstseins gaukelt. Aber weil sich offenbar immer mehr Menschen entgegen dieser Einsicht mit einem aufgeblasenen Ego, einer narzisstischen Störung, durch unsere medialisierte Welt bewegen, hat sich gestern Gert Scobel mit seinen Gästen in3sat/ „delta“ des Themas angenommen.

weiblicher NarzissmusIn dem antiken Mythos vom schönen Jüngling Narziss, der sich in sein Spiegelbild verliebt, endet die unerfüllte Sehnsucht nach Wiedergeliebtwerden mit Verweiflung und Tod. Die zeitgeistgemäße Variante sei die Gier nach permanenter Anerkennung der Fassade unseres Schein-Selbst durch die Anderen; die Repräsentation unseres aus mangelndem Selbstwertgefühl erwachsenen Größenwahns im Streben nach Schönheitsidealen, medialer Aufmerksamkeit, Perfektion und Machtausübung – ein Geltungsbedürfnis, das durch die Medien täglich weiter angefüttert werde.
Der Philosoph Georg Frank („Ökonomie der Aufmerksamkeit“) ging darauf ein, welche gesellschaftspoltitischen Auswirkungen der selbstherrliche Führungsstil von narzisstisch Gestörten in Politik, Medien und Wirtschaft habe; der scheinbare Erfolg bestätige sie in ihrem Verhalten. Typisch sei dabei auch der oberflächliche Charme, mit dem sie andere zu umgarnen und täuschen versuchten.
Etwas heikel erschien der Expertenrunde offensichlich die Frage, ob und wie sich Frauen narzisstischer als Männer verhalten würden. Dass die Ursachen für narzisstische Störungen in Kindheitstraumata lägen, wie Freud behauptete, gelte heute als gesichert. Als Krankheitssymptome zeigten sich bei Frauen vornehmlich Depressionen, Magersucht und Selbsthass, während Männer eher mit Versagensängsten und Abwehr von Minderwertigkeitsgefühlen zu kämpfen hätten.
Auch die Internet-Community fungiere als moderner Zauberspiegel. „Hot or Not“ sei so eine Seite: Dort stellen Menschen ihr Bild ins Netz, damit die anderen – auf einer Skala von eins bis zehn – über ihr Äußeres abstimmen können. Wo endet die Normalität, wo beginnt die Störung?
Gesunde Eigenliebe sei, so Psychotherapeutin Barbara Wardetzki, die psychologische Basis für die achtsame Hinwendung zu Anderen, oder, wie Martin Buber einmal sagte: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“
Ist krankhafter Narzissmus heilbar? Da er aus einem Mangel an Selbst-Achtsamkeit resultiere, ginge das nicht über das Denken, sondern über die Selbstwahrnehmung, so Coach Klaus Eidenschink. Also wohl erst, wenn der Leidensdruck beim Betroffenen wie bei jeder anderen Sucht groß genug sei, den Dampf aus dem Ego abzulassen.

Den meisten dieser Binsenweisheiten (zur Vertiefung des interessanten Themas reichte die Zeit natürlich nicht) mag man als aufmerkamer Zuschauer wohl zustimmen und sich zum Weiterdenken anregen lassen, aber letztlich hat in der Runde doch der Buddhist gefehlt, um die Wege zu ‚Sunnata‘, dieser ‚Leerheit vom Ich‘, aufzuzeigen – im Glücksfall folgt gleich darauf das ‚Nirvana‘ ;-)

(WH am 18.1., 14.00 in 3sat)

wf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.